B. Nagy S.J.

 

DER  JUGENDFREUND  HANS MERZ

 

Vorwort

Bald werden es fünfzig Jahre sein seit in Zagreb am 10. Mai 1928 der junge Professor der französischen Sprache Hans Merz starb. Seit all dieser Zeit hort sein Name nicht auf, auf den Seiten unserer katholischen Presse zu erscheinen. Was war dieses starke Format in diesem jungen katholischen Intellektuellen besonders, dass er das Interesse und die Bewunderung erweckt hat auch unter solchen, die ihn nicht persönlich gekannt hatten? Dr. D. Kniewald, der Freund und naherer Mitarbeiter von Dr. Merz, druckte das mit den folgenden Worten aus: «Johannes Merz ist ein Enigma für diejenigen, welche nicht glauben; fuhr uns Christen jedoch ist er eine Offenbarung!» Wir wissen aber, dass der Mensch vor jeder authentischen Offenbarung Halt machen soll und aufmerksam darauf horchen muss, was uns Gott mitteilen will.

            Dr. Johannes Merz ist eine klare und unzweifelhafte Antwort auf die Frage vieler moderner Menschen: Kann ein heutiger Intellektueller angesichts vor so vielen sich widerstreitenden moderner Strömungen im Jahrhundert so vieler technischer und wissenschaftlicher Fortschritten gleichzeitig ein Überzeugter Christ und ein ergebener Anhänger der katholischen Kirche sein? Das göttliche «Jasagen» von Hans Merz mochte dieses Büchlein eingehender darstellen und analisieren. In erster Linie ist es den Jungen bestimmt, die nach den Werten hungern, die den rechten Weg im Leben suchen und die sich mit den billigen Rezepten der Konsumgesellschaft nicht begnügen. Viel Gemeinsames werden die Jungen im Leben des Hans Merz finden. Er war ein Laie, ein weltlicher Mensch  und kein Mitglied der kirchlichen Hierarchie oder irgendeines Ordens. In seiner Jugend erlebte er alle moralischen und Glaubenskrisen, die jedem jungen Menschen, der sich entwickelt und zu einer reifen Persönlichkeit wachst zu eigen sind. Wie dieser Jungmann kämpfte, wie er seine Zweifeln, seine Probleme des Lebenssinnes, der Liebe und des Leidens loste; über all das spricht er uns in seinem umfassenden Tagebuch. Das, was ihn uns so anziehend macht, dass er zum Ideenführer einer ganzen Generation wurde, ist die Tatsache, dass er nie auf halbem Wege stehen blieb. Beim Ausbau seiner Weltanschauung und beim Losen aller Probleme der menschlichen Existenz, gab sich Johannes Merz ganz im Dienste des Lichtes, das ihm jeden Zweifel zerstob und seinen Lebensweg umstrahlte. Schon als Student schrieb er seiner Mutter aus Paris: «Der katholische Glaube ist mein Lebensberuf.» In Zagreb angekommen weihte Hans Merz alles, was er hatte und konnte, sein ganzes Leben und Arbeiten Christus, indem er Ihm ungezahlte Scharen der kroatischen Jugend zuführte. Viele Aussagen dieser Jungen und Madchen, denen Hans seine Freundschaft geschenkt hatte und den Weg ins Leben zeigte, werden wir auf den folgenden Seiten lesen. Uns, der Jugend dieser Nachkriegsgeneration will er nur Eines mitteilen:

Es lohnt sich, nach jenen Grundsatzen und für jene Ideale zu leben, für welche ihr großer Freund und Bruder aus den jungen Tagen lebte und opferte.

            In meiner Jugend hegte ich das Sehnen,

Der Andern Herz mit meinem zu durchdringen,

Nationen zu erleuchten, und zu steigen – ich wusste nicht wohin...

 

Sorglose Kindheit

Unser Hans war am 16. Dezember 1896. in Banja Luka geboren. Sein Vater, ein Österreichischer Offizier war dort als Chef der Bahnhofstation. Johannes war das Einzelkind. Schon seit frûhester Kindheit umgab ihn eine große Elternliebe. Die hohe Stellung seines Vaters in der Gesellschaft, gesicherte materielle Mittel ermöglichten ihm eine sorglose und glückliche Kindheit.

            Dr. Ladislaus Vlasiæ, Freund des Johannes schon seit Banja Luka erzahlt: «Johannes hatte eine solche Kindheit und Jugend, dass er sich eine bessere nicht wünschen konnte. Erzogen in einer Herrenfamilie, stets elegant angezogen, fuhr schon fruh mit dem Rad, lernte Schlittschuhlaufen, Kegelspiel, spielte Schach. Privat lernte er Englisch, Klavier, Violine. Ich erinnere mich mit welcher Bewunderung ich ihn auf dem Tennisplatz im Tannenwaldchen neben der Kaserne ansah, wie er noch als Kind mit Österreichischen Generalen Tennis spielte, und die Soldaten sammelten ihm die Balle. In kurzen weißen Hoschen, weißen Schuhlein mit der Rakette in der Hand war er wirklich ein Herrenkind. Für uns kleine Bosnier, die ihn aus der Umzäunung beobachteten, wie geschickt er die Rakette handhabte – war es etwas Unerreichbares. Alle diese Umstande mussten seinem Lebenslauf eine andere Richtung weisen, die des Genusses, des Luxus, der Sorglosigkeit und eines leichten Lebens. Aber Gottes Hand führte ihn in einer ganz anderen Richtung.»

            Von seinen Eltern erhielt Johannes eine angemessene bürgerliche Erziehung, jedoch ohne einen besonderen religiösen Hintergrund. Er wuchs in einer liberalen Mitte auf, in welcher man die weltlichen Werte hoch schatzte, wahrend das Christentum und die Zugehörigkeit zur Kirche bloße Formalitäten waren, die im praktischen Leben dieser höheren bürgerlichen Schichten von Banja Luka nicht einschnitten.

            Hans besuchte in Banja Luka die Volksschule und das Gymnasium, die damalige Realschule. Man bemerkte bald seine angeborene Begabung, was sich später in einer großen Neigung für die Kunst, besonders Literatur, zeigen wird.

            Seiner Natur nach war Johannes sehr edlen Herzens, aber ohne eine besondere natürliche Neigung für die religiösen Werte. Eine interessante Tatsache erzahlt uns sein Professor Ljubomir Marakoviæ: «In Johannes war bis gegen Ende der Realschule der Sinn für den Glauben und das Glaubensleben ûberhaupt nicht erweckt. Seit meiner ganzen Wirkungszeit in Banja Luka war er der einzige Schüler, den ich in der 5. Klasse als Inspektor in der Kirche zu einem würdigen Benehmen ermahnen müsste, da er nach der Wandlung die Hände hinter dem Rucken hielt. Zweifellos war die Mehrzahl seiner Kameraden nicht frommer als er, aber das Gefühl der Pietät dem Heiligen gegenüber war ihnen angeerbt, war ihnen angeboren aus den Familien, in welchen man das Erbe der Vater eifersüchtig hütete.» Es war gerade der Professor Lj. Marakoviæ, der am meisten dahin bewirkt hatte, dass sich Johannes dem Glauben und der Religionswelt näherte. Mit seinem ausgebildeten Charakter, seiner tiefen religiösen Überzeugung, seiner intellektuellen Formung und weiten Bildung vermochte er es, viele zu begeistern. Sein folgerichtiges Glaubensleben und das freundschaftliche Offenheit gegenüber den Interessen und Problemen seines Schulers wirkten derart, dass Hans in seinem 27. Lebensjahr von ihm schrieb: «Ein katholischer Laie rettete mich für die Ewigkeit.»

 

Die Jugend – Ein Gesang

Oft kommt es vor, dass wir über die Kindheit und die Jugend großer Menschen kaum etwas wissen. Der Schleier des Geheimnisses hüllt die Jahre ihrer Jugend ein und vor uns erscheinen fertig ausgebildete Grossen, die uns so bezaubern und wir glauben, dass ihre Grosse mit ihnen geboren wurde und sie von der Wiege bis zum Grabe begleitet hatte. Und doch, sie alle waren Menschen mit grosseren oder kleineren Schwachen und Mangeln, die sie erst mit ihrer persönlichen Anstrengung und Kämpfen überwinden konnten und allmählich ihr Leben in Werte verwandelten.

            Johannes Merz war einer der seltenen Großformatmenschen, der uns seine jugendliche Seele vollkommen öffnete. In seinem umfangreichen Tagebuch von 800 Seiten enthüllte er uns alle seine Jugendgeheimnisse, hinterließ uns jeden Schlag seines jugendlichen Herzens aufgeschrieben. Er begann, das Tagebuch in Banja Luka zu schreiben, als er seine 17. Lebensjahr erfüllte. Sein Professor der kroatischen Sprache Dr. Ljubomir Marakoviæ gab ihm die Anregung dazu. Er schrieb es ganz bis zu seinem 16. Lebensjahr, an allen Orten und in allen Lagen, in denen er sich befand: als Gymnasiast, in der Militärakademie, auf der italienischen Front im I. Weltkrieg, als Student in Wien und Paris. Als er nach Zagreb kam, horte er auf, es zu schreiben. Die Ursache davon war wahrscheinlich Zeitmangel. Kurz vor seinem Tode füllte er einige Seiten. Wir besitzen indessen aus dieser Zeit viele seiner geschriebenen Dokumente, Artikel, Broschuren und Anderes, wodurch wir nun in seine jetzt schon vollkommen ausgereifte Seele hineinblicken können.

            Was schreibt Hans in seinem Tagebuch? Alles, was er in sich und um sich erlebt. Am interessantesten ist, ohne Zweifel, seine Seele, die er getreulich auf das Papier übertrug, und zwar in allen Zeitabschnitten seiner Jugendzeit. Wir folgen ihm von Tag zu Tag, wie er wachst, sich entfaltet, sich durch sein jugendliches Zögern und Suchen hindurchringt... Wir schauen ihm zu, wie er von den ernsten Lebensfragen der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit eingenommen ist, wie er die Probleme des Lebens und der Liebe lost, wie er nach seiner tragisch beendeten ersten Liebe trauert. Seine Seele findet nach und nach ihren Weg, seine Anschauungen über die Welt kristallisieren sich und wie er beschleunigten Schrittes sich den Hohen der Lebenswerte näherte. Wir sind Zeugen, wie sich seine Seele allmählich Gott nähert. Wie durch Zweifeln und Krisen sein Glaube wachst und sich bis zur vollen Reife des Christen stärkt, der am Ende sein ganzes Leben Christus zum Opfer bringt.

            Viele jungen Menschen werden auf den Seiten seines Tagebuches sich selber erkennen. Sie werden darin soviel Gemeinsames finden, das ihnen Zuversicht und Tapferkeit einfliessen wird, damit sie auf der Suche nach der Wahrheit, dem Guten und der Liebe nicht nachlassen, welche auch Johannes am Ende gefunden hatte und damit sich selber und so viele, die ihm folgten, beglucken konnte.

            Auf den folgenden Seiten bringen wir nur einige der wichtigsten Auszuge aus seinem Tagebuch, die uns wenigstens etwas Einblick in sein reiches Innenleben gewahren werden. Viel Schönes und Interessantes mussten wir auslassen, was der Umfang dieses Buches nicht mehr zuliess. Wir weisen den Leser auf seine umfassendere Biographie: «Borac s bijelih planina» = «Der Kampfer von den weissen Alpen» vom demselben Autor (herausgegeben vom Philosophisch-theologischen Institut, Zagreb 1971.), in welchem viele Auszuge aus seinem Tagebuch veröffentlicht sind, wodurch die Leser das Bild des Johannes und seiner Jugend werden vervollständigen können.

 

Es lebe die Kunst!

Am Anfang seines Tagebuches setzt Hans den Ausruf «Evviva l'arte!» - «Es lebe die Kunst!» – und gibt damit seiner Begeisterung und Liebe für die Welt der Kunst kund. Gleich darauf folgt das Motto des Tagebuches – Verse aus Byrons Manfred, die er dem «heiligen und ehrenvollen Andenken der ersten Liebe» weiht. Diese Verse sind sehr charakteristisch, sicher prophetisch. Wenn wir sie im Lichte vom ganzen Leben von Hans betrachten, sehen wir, wie sich seine Wunsche und sein Sehnen in einem tieferen und schöneren Sinne, als Johannes damals erahnen konnte, erfüllten.

            Johannes befindet sich in der letzten Klasse des Realgymnasiums, vor der Matura, als er sein Tagebuch zu schreiben begann. Kaum hatte er 17 Jahre erfüllt (er ging früher in die Schule). Im Tagebuch finden wir zunächst viele Anekdoten, Abenteuer und Anderes aus seinem Schulleben. Als Gymnasiast las Johannes viel und in der Hauptsache Werke vom literarischen Werte. Durch sein ganzes Tagebuch notiert er seine Eindrucke über die gelesenen Bucher, analisiert sie, schatzt sie ab. Oft gibt er eine komplette Zusammenfassung des gelesenen Werkes und fugt dann seine Kritik dazu.

            Unmittelbar vor seiner Matura wurde in Sarajevo Franz Ferdinand getötet. Gleich darauf begann der I. Weltkrieg. Das alles findet ein Echo in seinem Tagebuch.

            Indessen dominiert in diesem Teile des Tagebuchs die Erinnerung seiner ersten Jugendliebe. Als Hans 16 Jahre alt war, lernte er im Familienkreis ein sehr schönes und intelligentes Madchen seines Alters kennen, Greta Teschner. Sie war die Tochter eines Forstrates aus Travnik und besuchte die Schule in Banja Luka. Und bald flammte die Liebe auf, eine ideale, jugendliche Liebe, die junges Hansens Herz ganz gefangen nahm. Über die Sommerferien kehrte Greta zu ihren Eltern nach Travnik zurück. Als Protestantin war sie ziemlich leichter Lebensanschauung. Dort erlebte sie ein Liebesabenteuer. Sie liess sich von einem Betrüger verfuhren und als dieser sie im Stiche liess, beging sie aus Verzweiflung Selbstmord. Ihr Tod verursachte in der Seele des jungen Hans einen grossen Bruch und hinterliess ein tiefes Leid. Lang noch wird er sie in seinem Tagebuch erwähnen, trauernd über ihr tragisches Schicksal.

            Johannes betrachtet gerne, wie es seine Umwelt merkt. Er betrachtet das Leben und sieht, wie alles vergänglich ist. Er bewundert das Weltall und schliesst ohne Vorurteil auf dessen Schöpfer. Obwohl er nicht besonders dem Glauben zugetan ist, merkt man aber doch seine positive und persönliche Stellungnahme Gott, Christus und der Religion gegenüber. Es wird indessen noch viel Zeit vergehen bis Gott seinen Geist gänzlich ausfüllen wird.

 

Tagebuch

 

Es lebe die Kunst!

Motto des Tagebuchs:

(Johannes schrieb es auf Deutsch, da er Byrons Manfred in deutscher Sprache gelesen hatte).

In meiner Jugend hegte ich das Sehnen

Der Andern Herz mit meinem zu durchdringen,

Nationen zu erleuchten, und zu steigen –

Ich wusste nicht wohin – vielleicht zu fallen,

Doch fallen wie ein stürzender Koloss,

Der nieder springt von blendend hoher Zinne,

Doch selbst in seines Abgrunds schwarzen Schlund,

Der Nebelsäulen auf zum Himmel schickt,

Die dann als Wolken wieder niederstürzen –

Wohl tief, doch noch gewaltig liegt.

            Byron, Manfred, III

 

Das ist mein Kranz, den ich auf ihrem Grabe lege,

Dem heiligen und ehrenvollem Andenken

an die erste Liebe,

die mich neugeboren hatte.

 

 

Montag, 2. Marz 1914

Bei der Physikstunde sprachen wir von der Schnelligkeit des Lichtes. Das Licht mancher Sterne braucht 8, 10, 25, und gar 250 Jahre, um zu uns zu kommen. Gott, wie ist das Universum; alles dreht sich vollkommen genau, alles ist gross, unermesslich gross, alles strahlt. Die Sterne sausen durch den Raum, alles ist unermesslich in diesem machtigen Raum. Unsere kleine Erde, wie ein Krumlein, rennt und dreht sich ebenso. Der Mensch ist auf ihr ein besinnender mathematischer Punkt – und er beneidet, beisst und brüstet sich. Nichts? Dieses Nichts, dieses mathematische Punktlein in dem Punkte, umfasst und sieht die grosse Weltallbuhne und noch weiter – weiter. Ist denn nicht diese Materie, die als Mensch erscheint, nichtig, aber doch so, so gross? Und dieses ganze Weltall, das, was man sieht und was man nicht sieht; das, was man hort und nicht hort, wer regelt dieses Buhnenwerk, wer ist dieser majestätische Geist, der das umfasst? ER ist es.

 

9. Marz 1914

Heute nacht träumte ich von Travnik. Ich war dort und man horte ein Steinklopfen. Ich suchte ihre (Gretas) Wohnung. Als ich erwachte, schwebte mir vor den Augen ihr Bild, wie sie fröhlich mit mir schreitet, in kurzen Ärmeln und im Hauskleid, von zuhause in Travnik zu einem Laden. Sie war froh. Sie ist nicht mehr, ihr Leib ist nicht mehr, aber die Erinnerung bleibt. Gott, verzeihe ihrer Seele! Meine Ahnung, warum sie Selbstmord begang, ist psychologisch erklärt... Die Welt sah in ihr nur ein Madchen, mit erotischer Anziehungskraft, aber sie benahm sich mit Offenheit, so dass sie diese Meinung von sich selber nährte. Die dumme Welt erkannte jedoch nicht richtig dieses gutherzige Madchen, offen, von Natur begabt, belesen und viel kluger als ihre Genossinnen. In Travnik fand sie niemanden, der sie verstand, und war unzufrieden, dass sie es selber nicht bewusst war. Solange sie da war, liebte sie mich, da sie wusste, dass ich in ihr nicht nur ein weibliches Wesen, sondern einen Menschen sah. Sie nannte mich Freund. Unsere geistige Verbindung basiert – ich muss es bekennen, wenn ich es jetzt von einer Distanz anschaue – auf einer etwas (nicht ganz) erotischen Basis... Unsere Liebe darf sich ideal nennen. Ich erlebte meine Jugendtage mit ihr, der Einzigen, dergleichen es nicht mehr auf der Welt gibt, und mit Trauer gedenke ich ihrer Erscheinung. Es ist mir schwer ums Herz, wenn ich mir ihre Gestalt und ihr Temperament vorstelle, und denke es war Staub und es entschwand.. Wieviel Trost gibt mir der Glaube, dass ich sie selber wiedersehen werde, mit Leib und Seele. Es gibt keine Frau, die ihr ähnlich wäre, und deswegen vernichte ich jedes tiefere Gefühl im Keime, das sich wem nur immer gegenüber wecken sollte. Das Ziel, das Lebensideal wäre mir, ein gutes Beispiel zu geben und dass auch ich in diesem «mechanischen Zeitalter der Technik» meinen Teil zum Idealismus beitrage. Darüber, über meine seelische Umkehr ein anderes Mal.

 

25. Marz 1914

Ich las Cain. Es bleibt weit zurück hinter Manfred, da es nicht so viele allgemein—menschliche Gedanken hat. Ich beendete die kroatische Aufgabe. Bin gestern bei der Beichte gewesen und bekam 7 Vaterunser, 7 Ave Maria und 7 Ehre sei dem Vater. Heute freute ich mich über die Hl. Kommunion und bemuhte mich zu überzeugen – es ist ein bisschen Skepsis in mir – dass ich Gott empfange, der aus Liebe zu uns, den schwachen Menschen, sich selbst als Trost und Nahrung hingab. Die Kommunion ist die Lebensquelle.

 

26. April 1914

Ich lese Gral, lebe mich ganz darin ein und erhebe mich. Je mehr ich den Katholizismus erkenne, umsomehr sehe ich ein, dass er unerschöpflich ist. Ich wünsche schon, Seinen Leib zu empfangen, das Ziel und die letzte Ursache der Menschheit. Wie gross ist Seine Liebe, wenn Er, den wir nicht begreifen können, Er , der das Weltall ordnet und jedes Graslein und der das Streiten des winzigen Menschengeschlechtes sieht und kennt, uns, den Kleinen und Nichtigen, sich selber zur Speise gibt.

 

12. Mai 1914

Heute war der vorletzte Schultag. Skok nahm von uns besonders rührend Abschied. Zuerst schlug er mit dem Buch, das erste Mal seit ich ihn kenne, und dann fragte er jeden, was er werden wollte. Er riet uns: ehrlich arbeiten und nie eine Belohnung fordern. «J'esperais pleurer, mais je croyais souffrir.» (Ich hoffte zu weinen, aber es schien mir, dass ich litt.) So vergeht die Zeit. Was mir lieb war, hort auf.

 

13. Juni 1914

2 Uhr in der Nacht

Gott, was ich jetzt gesehen habe! Schmutz und Ekel... Die Kollegen, von denen ich am meisten gehalten habe, gingen mit den Dienstmadchen zum Bedürfnis und andere zu provozieren und zu beschämen. Etliche Andere gingen «hinunter». Elende! So muss es sein, wenn ihr Tiere seid. Immer von Idealen reden, sich jedoch im Kote walzen!

 

Samstag, 21. Juni 1914

Jetzt ist eine herrliche Nacht. Der unermessliche Weltallmechanismus steht unbeweglich. Man sieht weder Faden noch Zaune und er steht doch. Mit welcher Geschwindigkeit rennt und dreht sich diese Unermesslichkeit, und der Staub, der Mensch, denkt über all dies nach. Wohin fuhrt das? Warum hat der Mensch einen Körper, wenn er im Wesen Seele ist? Warum? Wohin? Wie? Ewige Geheimnisse.

            Zu welch erhabenen Gedanken fuhrt uns der Gedanke, der Verstand, dieses Funklein der ewigen Wahrheit und wieviel können wir fassen, und was ist erst die Unermesslichkeit! Wenn ich daran denke, wird es mir schwindlig.

            Blitzstrahl, den der Mensch nicht ausdenken kann. Erdgeist, aber nicht abscheuliches Gesicht, sondern Blitzstrahl der absoluten Wahrheit, dessen Funklein ich nicht aushalten kann.

 

4. Juli 1914

Entzuckt durch die herrliche Harmonie, durch die Melodien, die ich empfinde, aber nicht höre, durch die Bilder, die ich erkenne, ohne sie je einmal gesehen zu haben, denke ich an die erste Liebe. Was für ein Sturz aus der Ewigkeit in die Vergänglichkeit. Was jedoch daran schlecht und vergänglich war, ist vergangen, entschwunden, aber jenes Erhabene und Edle lebt noch weiter in meinem Herzen, erhebt und nährt es, vielleicht saht es auch einen guten Samen. Allerhöchster, ich flehe Dich an, so sei es! Vielleicht ist sie um diese Zeit verstorben. Ich wusste nicht darum. Glühend flehte ich Gott an, sie am Leben zu erhalten und war über den Erfolg des Gebetes überzeugt, es war aber zu spät. Sie hatte schon aufgehört zu sein. Ihre Seele hatte die Vergänglichkeit schon abgeschüttelt und sie ging dahin. Wohin? In die Ewigkeit. Aber Gott, es packt mich der Graus, wenn ich bedenke, dass sie sich selbst das Leben nahm. Das Leben ist ein Kampf um die Wahrheit, und sie ist feige diesem Kampfe ausgewichen. Das ist ein Kind des XX. Jahrhunderts, leichter Anschauungen. Wurde sie jetzt leben, so wäre es vielleicht ganz anders, oder vielleicht auch nicht. Vielleicht war ich auch noch ein Kind des XX. Jahrhunderts. Wer weiss? Der Allerhöchste fugt alles zum Besten.

            Die erste Liebe ist die tiefste und darum ist mir ihr Andenken heilig. Ich brachte ihr keine Blumen zum Grabe, denn die Gefühle wurden abstumpfen, wenn man sie vor der Welt zeigt. Ihr Vater und ihre Mutter weinen vielleicht, und mir ist es schwer ums Herz, wenn ich mir ihr Bild in Erinnerung rufe. Sie war gescheiter als ihre Kameradinnen. Immer las sie Bucher und begeisterte sich für alles.  Aber eine Seelentiefe hatte ihr niemand gegeben. Das Leben verging ihr monoton, sie dachte nach, wann kommt der Tag und wann er wieder vergeht, sie wartete auch darauf, dass er vergeht. Vielleicht hatte sie geheiratet, Kinder gehabt und gestorben. So ist das Leben. Sie wusste jedoch nicht, warum sie lebe. Sie wusste vielleicht auch nicht, dass die Ewigkeit besteht und dass alles Herrliche auf der Welt, die ganze Natur, zur Erkenntnis fuhren, dass dies alles vom Unermesslichen stammt, vom Ideal der Menschheit, von der Wahrheit, der Gute und Schönheit. Es ist vergangen, aber auch ich werde vergehen wie all dies, aber wir werden alle sein. Vielleicht ist sie auch! Es packt mich der Schrecken, wenn ich daran denke, dass sie die Ewigkeit verloren hatte. Gott, gütigster Gott, höre das Gebet des schwachen Wurmchens an, das vor Deinem Anblick bangt, das furchtet, auf Dich zu blicken und dem der Teufel das Herz vergiftet; gib, ewiger Gott, gib der Greta die Ewigkeit! Verzeihe auch mir alles Böse und zeige mir den Weg der Gerechtigkeit!

            Kehren wir zurück zu den Menschen! Das Leben ist ein Kampf für die Wahrheit und betrachten wir es! Die Matura wird am 10 d.M. sein. Die Burgerkunde habe ich einigermassen beendet. Heute habe ich nicht gearbeitet, da ich am Morgen beim Requiem fur Ferdinand war. Voller Menschen, und es waren auch Muslime dabei. Noch vor dreissig Jahren hatte man jeden Muslim getötet, der in die Kirche gekommen wäe, aber jetzt einigen sie sich schon. Wenn Gott gibt, wird es ein Hirt und eine Herde geben. Durch die Jahrhunderte wird es auch dazu kommen...

 

Mittwoch, 8. Juli 1914

Das alles ist vergänglich. Schwerlich dass ich etwas so geliebt hatte wie Greta, aber trotz allem ist es vergangen; ich erinnere mich daran, aber wiederum und ohnedem kann man leben. Das Tagebuch ist mir die einzige Erinnerung an die Poesie in dieser dummen Arbeit. Werde ans Meer gehen. Wohin, weiss ich nicht. Am liebsten ginge ich dorthin, wo man nur Franzosisch spricht.

 

Samstag, 11. Juli 1914

Finis finaliter. Habe maturiert. Habe mich der Sorgen entledigt, aber... zu Mittag habe ich geweint. Wer wusste warum. Ein neuer Schritt. Die Kindheit ist vergangen. Es beginnen grosse Pflichten. Die Ideale werden zu realen Problemen. Vergehen wird auch das Leben.

 

Sonntag, 30. August 1914

Schrecklich überfallen die Versuchungen, das Gebet jedoch erhebt mich. Im Heiligtum der Heiligtümer (Rabindranath Tagore) – in meinem Herz ist der Glaube unerschütterlich. Es gibt Skepsis. Ewig ist der Kampf. Ich weiss, dass ich nicht vollkommen bin, aber die Sunden verwunden mich und ich weiss nicht, was für welche es sind. In der Zeit wenn ich Böses tue, sehe ich ein, dass es böse ist, aber später vergesse ich es wieder und tue dasselbe. Wenn es hier welchen intelligenten Beichtvater gäbe, um mich ihm zu offenbaren, der mich verstunde und mich darauf aufmerksam machte! Will trachten zur Beichte zu gehen, bevor ich zur Militärakademie nach Wiener-Neustadt ziehe, und das Leib des Herrn zur Stärkung im künftigen Leben zu empfangen...

 

11. September 1914

Morgen gehe ich zur Akademie. Ich las Dim. Glänzend. Etwas über ihn geschrieben. Die Russen in Lemberg. Belgrad zerstört. Sprach mit Verwundeten. Der Krieg ist ein Graus...