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VORWORT

Im Juni 1927, zehn Monate vor seinem Tod, war Dr. Hans Merz beim Vertreter des Hl. Stuhls in Jugoslawien, dem apostolischen Nuntius Hermenegildus Pellegrinetti in Belgrad. Der apostolische Nuntius betonte immer wieder in diesem Gespräch, dass für die Glaubenserneuerung und für jede Erneuerungsaktion in  katholischer Richtung, vor allem Menschen eines heiligen Lebens notwendig sind. Vielleicht ahnte er gar nicht, dass er damit nur das ausdrückte, wovon Dr. Merz schon längst überzeugt war, was er in seiner ganzen Arbeit immer wieder hervorhob und was er selbst in seinem persönlichen Leben treu durchführte.  

Schon das reiche persönliche geistliche Leben des Dr. H. Merz und seine Beziehung zu Gott wäre ein ausreichender  Anlass, dass die katholische Welt auch außerhalb der Kirche seine geistige Entwicklung kennenlernt. Dies umso mehr weil in den letzten zehn Jahren schon der Name von Dr. H. Merz allein für die junge Generation der kroatischen Katholiken ein Programm bedeutete, auch heute und noch lange bedeuten wird. Es ist ein Programm einer neuen Tätigkeit, eines neuen Denkens und Lebens in nächster Verbindung mit Christus dem Herrn und seinem Stellvertreter auf Erden, dem römischen Papst.

Von zahlreichen Freunden und Verehrern von Dr. Merz gebeten, begann ich gleich nach seinem Tode das Material für seinen Lebenslauf einzusammeln. Einerseits war das nicht allzu schwer. Der Verstorbene hinterließ nämlich 18 Bände seines Tagebuches und eine große, sorgfältig geordnete Kartei. Im Tagebuch offenbart sich die Heiligkeit seines persönlichen Lebens, in der Kartei aber bekommen wir den Einblick in sein sehr weitverzweigtes apostolisches Wirken der letzten Jahre. Eine langjährige vertrauliche Beziehung zu ihm und seinen Eltern, und dann über tausend  Briefe, die er seinen Eltern und Freunden schrieb, ermöglichten mir, das ganze geistliche Leben von Dr. Merz, seine ganze Entwicklung, alle seine Strömungen und seine ganze Arbeit umfassen zu können.

Trotz allem war es nicht leicht, das Leben von Dr. Merz zu schreiben, erstens weil das Material so umfangreich war, dass man daraus nur das Wesentliche herausnehmen konnte. Außerdem hat das Wirken von Dr. Merz das öffentliche Leben der Katholiken in Kroatien  im gewissen Sinne in eine neue Richtung gelenkt. Da ich aber dieser Geschichte noch zu nahe stehe und da sich dabei oft um noch lebende und angesehene Persönlichkeiten handelt, erschien es mir nicht geeignet, das Leben von Dr. Merz in allen Details zu schildern, obwohl gerade die Details genau und vollständig alle Fragen von selbst und ihre Beziehung zur Persönlichkeit von Dr. Merz beleuchten. Es war daher notwendig, aus dieser Menge von Einzelheiten nur den Kern herauszunehmen und die Persönlichkeit und das Wirken von Dr. Merz durch wichtigste Züge darstellen. Seine Tagebücher, die bewahrte Korrespondenz und Kartei sind eine reiche Quelle für das Verstehen und Kennenlernen von all dem, was die ganzen Reihen von kroatischen Katholiken in den letzten Jahren seines Lebens erschüttert hat. Heute ist es besser, nicht in die Details einzugehen, aber die Geschichte wird mit offenen Augen in all das hineinblicken müssen. Und erst dann  wird in voller Klarheit die ganze Größe der Persönlichkeit und der Tätigkeit von Dr. Merz herauskommen. Heute lässt sich diese Wirkung wegen der zu großen  Nähe  nicht bemessen, weil der richtige Maßstab für den objektiven und subjektiven Hinblick fehlt. Man konnte aber nicht davon Abstand nehmen, sachlich mit eigenen Worten von Dr. Merz selbst, das  Wesentliche in seiner Persönlichkeit wie auch in seiner Arbeit darzustellen. Denn Dr. Merz war trotz seiner Jugend, nicht nur groß in  seinem geistlichen Leben, sondern im gleichen Masse auch in seinem  Charakter und im Erfolg seiner öffentlichen Arbeit. Seine Lebensbeschreibung musste daher das eine wie auch das andere berücksichtigen. Aus genannten Gründen habe ich daher mehr Aufmerksamkeit der Entwicklung seiner Persönlichkeit gewidmet. Dieses, so glaube ich, wird den Lesern mehr Nutzen bringen, so dass sie die Entwicklung, die Kämpfe und den hohen Flug einer Gott aufrichtig ergebenen Seele verfolgen können.

Den Wünschen der Verehrer von Dr. Merz, in Kroatien und weit über die Grenzen des Landes hinaus, entgegenkommend, übergebe ich der Öffentlichkeit diesen Lebenslauf. In ihm erscheint ein junger, hochbegabter Mann, voll Kenntnisse, welcher in Gott verborgenem Leben eines Kindes lebt, nach dem Wort des Evangeliums, vermehrend seine Kraft durch alles Gute geradezu mit einer rührenden Einfachheit und stiller Selbstverleugnung, in allem Gott  als einziges Gut liebend. Seine Erscheinung, sagt mit Recht P. Irenée Hausherr, Professor der orientalischen Sprache und Mystik am päpstlichen orientalischen Institut in Rom, ist viel zu schön, viel zu erhaben und wohltuend, als dass man sie in Kroatien und weit darüber hinaus vergessen dürfte.

Manche wird vielleicht diese einfache und sogar trockene Art der Darstellung der Schönheit, Erhabenheit und Wohltätigkeit seiner Seele verwundern. Diese mögen berücksichtigen, dass ich als eine der größten Gnaden, die mir der Herr im Leben erteilte, empfinde,  dass ich Dr. Merz in den letzten Jahren seines Lebens und seiner Arbeit, und dann auch nach seinem Tode, so nahe stehen durfte, dass ich aber als Verfasser der Geschichte seiner Seele, in meiner Darstellung ganz objektiv bleiben musste.  Dieses verlangt die Methodik der Geschichte, besonders wenn man die Geschichte der Lieblinge Gottes schreibt. Dabei ist es notwendig, jedes Wort abzuwiegen und die Tatsachen sollen selbst für sich sprechen und nicht  die persönliche Stimmung. Deshalb blieb ich auf dem Gebiet der Tatsachen auch dort, wo viele ein Lobpreis seiner Tugenden erwarteten und wo ich oft am liebsten selbst meinen Gefühlen freien Lauf gelassen hätte. Für mich ist die geschichtliche Objektivität wichtiger als Stil, als Kunst und als persönliche Begeisterung.

Ich habe mich bemüht, die Entwicklung seiner Geistigkeit darzustellen, von einem gut erzogenen Kind in einer «liberalen» Umgebung und daher vorwiegend unter einem «liberalen» Einfluss zu einem modernen katholischen Intelektuellen im besten Sinne des Wortes, und zu einem Menschen, welcher alles was er hatte, sogar sich selbst, alle seine Kräfte und seine ganze Arbeit Herrn Jesus Christus opferte. Vielleicht wird einer oder der andere von denen, die diese Geschichte der Seele von Dr. Merz lesen, auch besondere, außerordentliche Erscheinungen und Gnaden in seinem Leben suchen. Ich sage nicht, dass es solche nicht gab. Nun, in diesem Buch, habe ich mich mit außergewöhnlichen Erscheinungen im Leben von Dr. Merz nicht genauer befasst. Der aufmerksame Leser wird aber doch nicht selten Spuren und Wirkungen außergewöhnlicher Erscheinungen in seinem Leben empfinden können. Über die Natur dieser Erscheinungen ist es sehr schwer, ein sicheres Urteil zu fällen und es ist am besten, die ganze Angelegenheit ganz und völlig der Beurteilung und Entscheidung der Kirche zu überlassen. Auf Eines möchte ich aber doch die Aufmerksamkeit der Leser hinlenken. Obwohl Hans Merz in einer «liberalen» Umgebung und vorwiegend unter «liberalem Einfluss» erzogen wurde, entwickelte er sich doch in verhältnismäßig kurzer Zeit, zu einer solchen Höhe des wahrhaftig katholischen Lebens und katholischer Arbeit, welche auch in weit günstigeren Verhältnissen beneidenswert wäre. Auffallend ist die Tatsache, dass die Komponenten, welche die Entwicklung seiner Seele beeinflussten, nicht nur im richtigen Verhältnis sondern hauptsächlich in vollem Missverhältnis mit dem Ergebnis dieses seelischen Prozesses stehen. Mit anderen Worten hebt sich Dr. Merz über seine Umgebung heraus sogar über jene, die ihn beeinflusst hatte und bald danach begann er, diese sogar stark zu beeinflussen und zwar in einem Sinn und in einer Richtung, welche seiner damaligen Umwelt vollkommen fremd waren. Dabei muss man daran denken, dass die Persönlichkeit von Dr. H. Merz wie wir sie kennen, nicht in Paris geschaffen wurde, wo er seine Universitätsausbildung abgeschlossen hat. In Paris hat Ivan wohl seine Geistigkeit stark verfeinert und viele Anregungen erhalten, aber er kam schon nach Paris so geformt, wie er in den folgenden  Jahren seines Lebens war. Dasselbe gilt in noch größerem Masse für seinen zweiten Aufenthalt an der Wiener Universität. Eine höhere und stärkere Macht griff in seine Seele ein, die allmählich und leise wirkte. Das war Gottes Gnade. Sie hat Dr. Merz geführt und seine Entwicklung geleitet und machte aus ihm das, was er während seines Lebens hier auf Erden war.

Ich weiß, es wird Leser von diesem Buch geben, welche erwarten, dass wenigstens einige außerordentliche Vorfälle nach Hans Tod erwähnt werden, mit welchen Christus der Herr und Sein Diener, der Ihm so treu gedient hat, gerühmt werden. Von diesen Vorfällen sprechen die «Danksagungen» in unseren Zeitschriften, mehr aber die Originaldokumente, die sich in unseren Händen befinden. Trotzdem aber bitte ich diese Leser, sich etwas zu gedulden. Der Erzengel Raphael sagte zu Tobias und seinem Sohn „Segnet Gott im Himmel und lobet Ihn vor allen lebenden Geschöpfen, denn Er hat Euch Sein Erbarmen bezeugt. Es ist zwar gut des Königs Geheimnis zu verdecken, aber es ist auch ehrenhaft zu gedenken und verkünden die Werke Gottes“. Daraufhin offenbarte er sich als Erzengel Raphael, einer von jenen glückseligen Geistern, die vor dem Herrn stehen. Es wird die Zeit kommen, wenn es ehrenhaft sein wird, Werke von Gottes Güte und Barmherzigkeit zu verkünden, welche sich der Herr gewürdigt hat, seinen Gläubigen auf Fürsprache von Dr. H. Merz zu erweisen. Aber zurzeit ist es besser, glaube ich,  dieses königliche Geheimnis für sich zu behalten und Mitte des Herzens den Herrn zu loben und Ihn zu bitten, seinen Diener zur Ehre und zum Ruhm Seines Namens zu führen.

Vielleicht wird man mir, was den Stil anbetrifft, vorwerfen, dass dieses Buch nicht als ein Ganzes gegossen wurde, sondern seine einzelnen Abschnitte wurden in verschiedenen Techniken und mit Konzeptionen geschrieben. Diese Verschiedenheit ist nicht zufällig. Verschiedene Kapitel wurden verschieden bearbeitet. Ich betrachtete es als notwendig, die Technik der Ausarbeitung wie auch die innere Konzeption jedes einzelnen Abschnittes dem inneren Kerne der Sache, welche ich bearbeitete, wie auch das Material, welches mir zur Verfügung stand, anderen Umständen anzupassen. Insbesondere war ich bestrebt, in allem die Sachlichkeit und Objektivität einzuhalten, auch dann, wenn die «Intuition» viel mehr Leben in manche Darstellung bringen würde. Damit aber würde man sehr leicht auch eine gewisse subjektive Note in die Beurteilung des Lebens und der Arbeit von Dr. H. Merz hineintragen. Trotz allen künstlerischen Vorteilen einer solchen Beurteilung würden auf diese Weise zweifellos sehr leicht die objektiven Werte und Tatsachen in den Hintergrund treten. Deshalb habe ich lieber den objektiven Weg reiner Geschichte gewählt und zwar so, dass mich aufgrund der objektiven Tatsachen, welche ich bringe, jeder Leser kritisch begleiten kann und die Richtigkeit der Feststellungen und Schlüsse abwiegen kann. Meine Aufgabe bei der Verfassung dieser Lebensgeschichte betrachtete ich nicht anders, als die Aufgabe jener, die in ihrem chemischen Labor aus kleinen, oft mikroskopischen Kristallen, auf synthetische Weise Edelsteine erzeugen. So war ich auch bestrebt, das ganze Material zu holen, welches ich anschaffen konnte, und dann aus diesen einzelnen Skizzen in langjähriger Arbeit ein Mosaik zusammenzustellen, welches uns ein Bild von dem geben wird, der nicht mehr unter uns weilt und welchen wir so verehrt und lieb gewonnen haben.

Manch ein Leser wird vielleicht nicht in allem die Wahl der Bruchstücke aus dem Tagebuche und den Briefen von Dr. H. Merz gutheißen. Viele Bruchstücke werden ihm überflüssig, schwer verständlich für unseren Leserkreis, zu formalistisch erscheinen. Dieses Schicksal kann besonders jene Zitate treffen, die sich auf das künstlerische und literarische Studium von Dr. Merz beziehen. Dabei muss man aber beachten, dass dies eine Geschichte der Seele von Dr. Merz ist, so wie er in seiner Geistigkeit war und wie er sich entwickelte. Die künstlerische, wie auch die literarische Note in ihm waren sehr stark, obwohl dies in den letzten Jahren seiner apostolischen Arbeit nur wenige bemerken konnten.

Die Zitate werden hier  nicht angeführt, um mit ihnen ein definitives Urteil über den betreffenden Verfasser oder über ein bestimmtes Werk zu geben, sondern deshalb, weil all das  in der Seele von Dr. H. Merz ein sehr üppiges Leben hatte. Hier war es notwendig, in die subjektive Welt künstlerischer und literarischer Ansichten von Dr. Merz einzugehen, um zu zeigen, wie sich diese Anschauungen entwickelten und wie in seiner Seele Kunst und Literatur zuerst neben dem Katholizismus und der Religion lebten und dann schließlich an der Front im Krieg wurden Kunst und Literatur  für Dr. Merz nicht nur ganz mit der Religion durchwoben sondern  seinem Glauben unterordnet.

Außer seinem Tagebuch, seiner Korrespondenz, Kartei und literarischer Wirksamkeit, was alles die Hauptgrundlage und die Hauptquelle dieser reichen Geschichte von Dr. Merz bildet, war ich bestrebt, alles zu sammeln, zu benutzen und an die richtige Stelle zu setzen, was in den verschiedenen Artikeln und Erinnerungen veröffentlicht wurde. Hierher gehören auch viele von meinen persönlichen Erinnerungen wie auch Erinnerungen von jenen, mit welchen Dr. Merz im engen Verkehr stand. Ich fühle mich verpflichtet vor allem den Eltern von Dr. Merz zu danken, wie auch allen seinen Freunden, Mitarbeitern und Bekannten, welche mir bereitwillig einzelne ihrer Beobachtungen und Erinnerungen mitteilten, so dass ich damit oft mit konkreten Beobachtungen meine Ausführungen beleuchten und ergänzen konnte. Besonders danke ich Mons. Beaupin, welcher den Eltern von Dr. Merz einige interessante und wichtige Einzelheiten aus seinem Leben in Paris mitteilte.

Schließlich erkläre ich, dass ich mich vollkommen und bedingungslos dem Urteile der Kirche unterwerfe, besonders dem Hl. Stuhl, in allem, was ich hier vorgebracht und geschrieben habe und dass es nicht meine Absicht ist, meine Ausführungen über die Person, das Leben und die Arbeit von Dr. H. Merz dem Urteile und Entscheidung der Hl. Kirche zu präjudizieren.

Zagreb, am 16. Dezember 1931.

Dr. Dragutin KNIEWALD