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Zwei Bekanntschaften

Zwei Bekanntschaften

Als Realschüler kannte Hans zwei Personen, welche eine gewisse Zeit einen starken Einfluss auf seine Geistigkeit, wenn auch in verschiedenen Richtungen, ausübten. Die besseren Familien in Banja Luka haben sich gegenseitig besucht und dabei hat Hans in seinem 15. Lebensjahre ein Mädchen kennengelernt hat, welches seine erste und einzige Liebe war. In seinem Tagebuch erwähnt er sie oft mit großer Achtung. Er sucht in ihr, wie er selbst sagt, nicht allein das Weib, sondern den «Menschen» und sie nannte ihn ihren Freund. Er gibt selbst zu, dass diese Liebe nicht ausschließlich seelisch war, dass sie ihn ganz zu sich zog, aber dass sie auch nicht vorwiegend sinnlich war. «Diese Liebe darf ideal genannt werden. Ich verlebte die jungen Tage mit ihr allein, wie es solche auf der Welt nicht mehr gibt und mit Trauer denke ich an sie. (Sie starb eines plötzlichen Todes am 4.VII.1913). Wie viel Trost gewährt mir der Glaube, dass ich sie wiedersehen werde mit Leib und Seele. Es existiert kein Weib, das ihr ähnlich wäre und deshalb ersticke ich im Keime jedes tiefere Gefühl, das manchmal in der Seele Frauen gegenüber auftrat!» Sie lasen miteinander Schiller, sprachen über Geschichte.  Später bedauerte Hans, dass sie nicht tiefer religiös erzogen wurde und er betete für die Ruhe ihrer Seele. Er vergleicht seine Empfindungen mit einem Gedicht von Goethe, gewidmet der Erinnerung an Marianne W. In Byronschen Reimen legt er gleich auf der ersten Seite seines Tagebuches einen «Kranz auf ihr Grab, einen Kranz heiligen und ehrfurchtsvollen Gedenkens der ersten Liebe» «Als ich von ihrem Tode erfuhr, entstand ein Bruch in meiner Seele, nicht plötzlich, sondern mit der Zeit. Meine Jugend, wie es scheint, sank mit ihr ins Grab. Ich sehe die Mädchen an, sie gefallen mir, aber, wenn ich ihrer denke, verschwindet alles. Den einzigen Trost finde ich in der Kunst, die ich besonders liebe, und auch in der Natur.» Als Hans vorläufig auch daran dachte, seine eigene Familie zu gründen, konnte ihn in dieser Richtung psychologisch nichts tiefer und stärker an irgendeine Frau fesseln. Aber hier ist keine Spur einer vielleicht hoffnungslosen Verzweiflung oder Resignation zu finden, er lebt nur still für seine Ideale, welche unter der Lenkung von Gottes Vorsehung immer klarere Formen in seiner Seele annehmen. Und es war notwendig, dass diese Sympathie eines unschuldigen Jünglings ihn auch mit dieser Seite des Lebens bekannt macht und ihn psychologisch ermöglicht, dass er später als reifer Mann, mit vollem Verständnis auch diese Ereignisse im Leben der jungen Leute begleiten und mit so viel Macht unter ihnen wirken konnte, wie es z.B. sein Büchlein: «Du und sie» gezeigt hat.

In der sechsten Klasse der Realschule hatte Hans als Professor der kroatischen Sprache Dr. Ljubomir Maraković. Er hat sofort die Begabung, das edle Gemüt und künstlerisches Talent bei Hans erkannt und deshalb seine besondere Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt. Er brachte ihm Bücher aus der Welt- und kroatischen Literatur, verkehrte viel mit ihm, führte mit ihm vertrauliche Gespräche, spielte mit ihm Tennis, gab ihm die Zeitschriften „Gral“, „Fackel“ und „Kroatische Aufklärung“ zum Lesen. Auf diese Weise lernte Hans langsam die Erneuerungsideen des Bischofs Mahnić kennen. Aber es scheint doch, dass in der Seele von Ivan während seiner Mittelschulzeit die Zugehörigkeit einer großen, katholischen Organisation damals noch keine tiefen Wurzeln fasste.  Zu dieser Zeit erwähnt Ivan niemals in seinem Tagebuch den Bischof Mahnić.

Das erste Mal spricht Ivan ausführlicher über eine Organisation der katholischen Schüler am 24.X.1914 und dies als Gegenbild zur Militärakademie in Wiener–Neustadt. Der Verkehr mit Dr. Maraković war für seine damalige Lebensauffassung vom bedeutenden Einfluss, wie auch auf den endgültigen Entschluss einst Professor zu werden.

«Ästhetischer Katholizismus»

Hans war hervorragend künstlerisch begabt.

«Abends betrachtete ich den Mond und den klaren Himmel. Alles war in Silber getaucht und die Sterne wetteiferten im Glitzern. Gott, wie herrlich ist die Natur!» Es gefiel ihm nachts verschiedene Planeten zu betrachten und am 23.IV.1917 erwähnt er, dass er am Tag vorher den Saturn und seinen Ring betrachtet hat. «Am Samstag den 29.V. waren wir auf dem Ausflug mit Professor Leinert...Wir kamen in Kostajnica an... Vor den Türen saßen alte Frauen und betrachteten uns kritisch. Wir gingen durch die Parkanlage. Hier steht unsere Kirche, keine besondere Schönheit zeichnet sie aus... Wir gelangten zu einer schmalen Brücke. Oh wahrlich, hier ist es schön. Auf der linken Seite direkt an der Brücke steht ein schönes Haus im Sezessionsstil, und auf der andern Seite, auf dem entgegengesetzten Ufer stehen die Ruinen der Burg der Familie Zrinski. Ein wahrer Kontrast. Wir verweilen kurz auf der Brücke und sehen zur Una hinunter. Sie fließt und fließt immerzu; sie sah die stolze Burg  der Zrinskis und sieht jetzt ihre Ruinen. Sie sieht nun ein modernes Gebäude, welches bald den Spuren des Ersten folgen wird. Wir gehen über die Brücke und betrachten die alte Burg. Von einer Seite fällt sie zur Una hinunter und man sieht die ganze Stadt  Kroatische Kostajnica. Von der andern Seite, wo einst Kanonen standen, breitet sich der Blick auf die bosnischen Hügel aus. Wir schreiten ein wenig weiter und schon spüren wir die «bosnische Atmosphäre». Zigeuner singen und spielen. Muslime sitzen vor einem Kaffeehaus...

Nach dem Abitur ging Hans zur Erholung nach Abbazia. Dort schreibt er am 23.VII.1914: «Der Himmel ist dunkel und die Wellen eilen und stürmen gegen das Ufer. Hoch werfen sie den Schaum, dann kehren sie wieder zurück und stoßen gegen neue Wellen... Damit mir die Zeit bis zum Mittagessen schneller vergeht und auch aus poetischen Gründen, nehme ich Heines «Nordsee» zur Hand und lese den wundervollen «Sturm», «Thalatta» und noch ein Gedicht. Auch ich bekam Lust,  wie Heine in freien Versen zu dichten. Aber ich weiß, dass mein Rhythmus hie und da  grausam ist. Wegen der Versifikation müsste ich wie Heine mit leichten Versen beginnen.“ Und am 18. IV. 1914  schreibt er wieder: „Wie gerne hätte ich mich mit Poesie befasst! Wenn ich irgendein Literaturblatt lese, tut mir mein Herz wehe, wenn ich soviel Schönes und Erhabenes lese und nicht Zeit finde, mich damit zu beschäftigen«. In Gesellschaft mit einigen Kameraden ging er zu einer Familie auf Besuch, wo sie bei vollem Tische mit Mehlspeisen, Gesang und Deklamation improvisierten. «Die Stimmung im Dämmerlicht der Stube ist besonders schön. Ich war schon lange nicht seelisch so glücklich.» Aber auch an Schulabenteuern und Schelmereien nahm er teil, doch zumeist, wie er selbst sagt, aus ethischen Gründen. «Es war schön und echt schülerhaft...Ich entferne mich und sehe ein hübsches Bild vor mir – drei Gestalten bückten sich, eine davon hat eine Pelerine an, aus welcher das Licht der elektrischen Lampe leuchtete und in Form eines gotischen Bogens an der Wand ihren Schatten warf.»

Ibsens «Gespenster» lesend meint er: Für die Kunst sollen höhere Motive gewählt werden, welche den Menschen heben und nicht wieder ins banale Leben führen, das ihn umgibt. Hans lehnt schon damals l’art pour l’art ab, insofern sie nicht Rücksicht auf die Grenze und den Zweck künstlerischer Wirkung nimmt, wie sie Religion und Moral aufstellen. Mehr noch, besonders berührt ihn ein «recht schöner Artikel in „Fackel“ über Beyrons Kunst: L'art pour Dieu» Dies hindert ihn aber nicht daran, in jener Zeit, die Kunst zum Ideal hinzu- stellen. «Gestern Abend las ich eine Monographie über Michelangelo. Dieses Genie macht auf mich einen besonderen Eindruck. Mein Gott, gibt es heute noch solche Menschen, deren Ideal die Kunst ist und welche Menschen bleiben. Michelangelo arbeitete und quälte sich nur der Kunst wegen ab, und als er sein Werk vollendete, ich glaube es war die Sixtinische Kapelle – wollte er eine Belohnung nicht annehmen. Gerne möchte ich mit eigenen Augen alle diese Werke sehen». Wenn sich hier auch nicht um die Sixtinische Kapelle handelte, sondern um die Kuppel der Peterskirche und wenn auch Michelangelo dieses erhabene Werk nicht nur der Kunst wegen geschaffen hat, sondern, ablehnend jede Bezahlung und jede Belohnung, die ihm angeboten wurde, nur aus Liebe zu Gott und Achtung vor dem Apostelfürsten dem hl. Petrus, so sieht man doch klar seine große Abhängigkeit von der Lektüre, was auch natürlich ist, und anderseits eine Art Apotheose der Kunst, welche in Hans Seele, damals noch unbewusst, mit der Religion um die Übermacht und Priorität kämpfte.

Es lässt sich nicht mehr genau feststellen, welche Bücher Hans in den höheren Klassen der Realschule gelesen hat. Sicher ist nur, dass es ungewöhnlich viele waren und dass alle vom besonderen literarischen Wert waren. Literarisch wertlose Bücher las er überhaupt nicht. Und er las sozusagen ununterbrochen, sogar während der Mahlzeiten und bis spät in die Nacht. Die Mutter verbot ihm das maßlose Lesen, weil er schwache Augen hatte. Aus dem Tagebuch ersieht man, dass er in der VIII. Klasse der Realschule, vom 27.II.1914. bis Ende Juni 1914, außer der vorgeschriebenen Schullektüre, über welche er Aufzeichnungen und Auszüge in besonderen Heften führte, folgende Autoren las: Ibsen, Turgenjew, Fleury, Tolstoy, Goethe (dessen Faust er stets in der Tasche mit sich trug), Paul Heyse, (Der verlorene Sohn), Möricke (Mozarts Reise nach Prag), Montesquieu, Dante, Wagner, Byron, Wilde, Mickiewicz, Balzac, Shakespeare, Heine, die Hl. Schrift, Monographie über Michelangelo und  Raffael, Bourget und Maraković. Er liest weiter die Zeitschriften „Luč“ (Fackel), „Hrvatska Prosvjeta” (Kroatische Aufklärung), „Gral”, gelegentlich „Vihor“ (Brise, ein Nationalblatt) suchte Kommentare zu Kant und Ibsen, liest Abhandlungen über Rabindranath Tagore und schreibt sogar Gedichte nach dessen Muster.

Die Literaten führen Hans in die Probleme des Lebens hinein: «Die Literaten sind der Spiegel der Schönheit und Natur. Sie führen den Menschen gleich wie der Natur zur Metaphysik. Mit den Literaten, die er liest, und mit ihren Helden, lebt er und denkt und leidet. Öfter wendet er Gedichte verschiedener Autoren auf sich selbst an. «Heute erhielt ich vom Milanović den „Gral“. Ich las «Auf den Pfaden des jungen Goethe». Schon lange her las ich kein so schönes Buch. Es begeisterte mich. Ich sehe, dass Jörgensen zeitweise empfindet, was ich empfinde. Es gibt Zeiten, in denen uns das Leben anekelt, insbesondere jene Arbeit, die wir tagtäglich wie ein Gewerbe ausüben. Wir sträuben uns gegen dieses «Gewerbe», wir währen uns dagegen, wir werden hart und wollen nicht mehr. Warum nehmen wir immer wieder das gleiche Baumaterial zur Hand? Meine Hand ist verhärtet durch die unendliche Berührung mit diesem Material! Warum steht vor mir immer diese Mauer, die ich aufstelle, warum immer die Bausteine, die ich ordne, zusammenlege und mit Mörtel verbinde? Und wieder ein Stein und Mörtel und dann Steine und Mörtel...

Ich bin ein talentierter und fleißiger Arbeiter, aber wo ist diese Macht der Erleuchtung und Begeisterung, welche Kathedralen baut» ?

Hans philosophiert mit den Literaten, er löst mit ihnen Probleme des Lebens, und übernimmt von ihnen die Art zu denken und sich auszudrücken. «Im Heiligtum der Heiligtümer (Rabindranath Tagore) in meinem Herzen, lebt der unerschütterliche Glaube.»

Die Lebensanschauung und die «Poesie des Lebens» gehen ineinander hinüber. Später, kurz vor dem Tode, bezeichnet Hans diese Zeit seiner Entwicklung, als «Ästhetischen Katholizismus». Von den Romanen, die er gelesen hatte, sagt er am Ende seines Lebens – «Den Horizont haben sie mir erweitert. Ich las nur Werke vom literarischen Wert. Aber ich fand darin eine ziemlich große Leere in der philosophisch-theologischen Wahrheit. «Dies gilt für seine Lektüre der späteren Jahre. In der Zeit jedoch, als er die Realschule besuchte, schöpfte er seine philosophischen Anschauungen zum großen Teile geradezu aus Romanen, aus der schönen Literatur (Belletristik). Während des Krieges, an der Front, dann später in Wien und Paris, gab er die ästhetisch-literarische Weltbetrachtung auf und begann das Leben so zu betrachten, wie es in der Wirklichkeit ist, d.h. in der Konzeption des Heilands. «Über diese Zeit des «ästhetischen Katholizismus» mochte er nicht sprechen außer mit seinen vertraulichen Freunden. Er erzählte später, als er von einer Wallfahrt von Marija Bistrica zurückkehrte, wie an der Front oft um ihn schwer Verwundete fielen und starben, ihm aber nicht einfiel, zu ihnen zu gehen, um mit ihnen gemeinsam vollkommene Reue zu erwecken. «In meiner Seele lebte immer noch der ästhetische Katholizismus!»

Vom Standpunkt seiner ästhetisch-literarischen Welt ausgehend und mit der Meinung, dass diese Anschauung gleich sei mit der Stimmung der Mehrheit der begabten und begeisterten Studenten, dachte damals Hans darüber nach, wie «unsere Gesellschaft reformiert werden sollte.... An der Theologischen Fakultät musste das größte Augenmerk auf die Kunst gerichtet werden, dann würden die Geistlichen mit ihrem Wissen den jungen Leuten imponieren und sie auf diese Weise für sich gewinnen.»  Wie man sieht, die Kunst tritt bei Hans an die Stelle der Religion, geht mit ihr nicht parallel, sondern hat ihr zu dienen. Aber dies alles ist in Hans Seele noch nicht geordnet, in der Seele, welche inmitten des «maschinellen Lebens» des Alltags sich nach dem «Empfinden der Ewigkeit, Liebe, Schönheit und des Interessanten am Leben» sehnt,  ruft er aus: «Evviva l'arte!» (Es lebe die Kunst!). Diesen Ausruf wollte er als Einleitung auf das erste Blatt des ersten Tagebuchheftes setzen, welches sein Leben vom 27.II.1914. bis 28.II.1917. teilweise umfasst. Das Leitmotiv seines Seelenlebens in dieser Zeit ist tatsächlich eine künstlerische Schwärmerei und ästhetisch-literarische Weltanschauung.»

 Unter dem Eindruck dieser künstlerischen Schwärmerei wählte er als «Motto» zum ersten Heft seines Tagebuches aus Byrons Manfred folgendes:

«In meinen jungen Jahren hegte ich das Sehnen

In das Herz der Andern mit meinem  durchzudringen,

Nationen zu erleuchten und  zu steigen –

Ich wusste nicht wohin...!»

Auch später in den reifen Jahren blieb dieses Streben fest, aber es nahm einen neuen, erhabeneren Inhalt und ein vollkommen klar erkanntes Ziel des eigenen Lebens: den Heroismus der ersten Christenheit.

9.III.1914.

30.VIII.1914.

2.VII. und 9.III. 1914

16.III.1914.

16.III.1914.

8. III. 1914

29.V.1914.

12. IV. 1914.

7. IV. 1914.

29.III.1914

27.III.1914

1. VI.1914.

27. II. 1914.

6. VII. 1914.

7.IV.1914

30.VIII.1914.

18.III.1914.