Die Welt brennt

Im Ersten Weltkrieg

 

            Im Februar 1916. zieht Hans in den Krieg. Acht Wochen hindurch gewohnte er sich ans Soldatenleben in Lebring bei Graz. Von dort aus wurde er nach Graz und nach Slovenska Bistrica (Windisch Feistritz) geschickt zum weiteren Soldatendrill. Nach abgelegtem Offiziersexamen in Mürzzuschlag zieht er nach Seewiesen, wo er einen Skikurs besucht. Im Januar 1917. zieht er als Kadett-Aspirant nach Bozen und Arsiero mit einer Gruppe der ihm zugewiesenen Burschen. Da hatte er die Aufgabe, die Truppen zu den Stellungen und zurück zu führen. Er wirkte mit in allen Offensiven auf der italienischen Front. Ausser den kurzen Urlauben jedes halbe Jahr zehn Tage, verlebte er die ganze Zeit bis zum Ende des Krieges an der italienischen Front.

            Wie Johannes den Krieg und seine Schrecken erlebte, sieht man am besten aus seinem Tagebuch, das ihm sogar auf der Front zu führen gelang. Eines ist sicher: indem er täglich dem Tod in die Augen schaute, und jeder Art von Entbehrungen ausgesetzt war, vertiefte sich sein Blick auf die Welt. Allmählich verschwanden alle bisherigen Zweifeln und Unsicherheit als er Leid, Schmerz und Tod im Augenschein nehmen musste. Hans überzeugte sich, dass einzig die christlichen Grundsatze echt sind und wert, und dass nur sie dem Menschen die Kraft geben können, die ganze Lebenstragik zu ertragen. Christus und Seine Lehre offenbaren sich ihm immer klarer als Lebensprogramm und den einzigen Wert, wozu es sich zu leben lohnt. Die Kunst und die Literatur sind für ihn keine Ideale mehr. Er wundert sich selber, wie er sich für sie begeistern konnte.

            In seiner Seele herrscht ein einziger neuer Kampf: der Kampf mit den Schwachen seiner menschlichen Natur, denen Hans mit aller Macht zu widerstehen wünscht. Er fühlt in sich das Verlangen nach Vervollkommnung und fragt sich selber: «Warum ist in mir ein so grosses Verlangen nach Vervollkommnung meiner selbst, nach der Annaherung zu Jenem, dem Allergrossten?» Johannes wünscht sich Freiheit des Geistes, ein grosses freies Ich, aber nicht Sklaverei unter der Materie. Mit Hilfe der Gnade Gottes, die ihn ständig begleitete, errang Hans einen herrlichen Sieg, wie, werden wir später sehen.

 

 

Graz, Freitag, 18. März 1916

..Es ist sehr glaubhaft, dass auch ich an die Front kommen werde. Aufrichtig gesagt, ich furchte mich nicht vor Tod, dort oben ist ja das wahre Kaiserreich. Nur ich habe mich noch nicht mit dem Gedanken abgefunden, dass ich wirklich dorthin kommen werde und bin mir keines tugendhaften Lebens bewusst. Ja, seit ich ein Soldat bin, habe ich die Verbindung mit Ihm verloren. Habe nicht nachgedacht, was ich an mir selbst verbessern sollte und ob ich wirklich im Dienste der guten Sache bin. Oft hatte ich mir Schmerz und Pein gewünscht; als sie mich aber ofter angriffen, da fragte ich mich, ob dies dem Ziele dient. Zum Schluss packte mich noch das Bedenken, ob ich wirklich schworen musste, mit andern Worten feierlich versprechen, dass ich gegen jene kämpfen werde, gegen welche die Herren in den Kanzleien anschaffen. Ich war ja immer gegen den Krieg. Am liebsten mochte ich alle Menschen umarmen und miteinander versöhnen, und nun dass ich sie tote... Ich konnte mich damit trösten, dass der Krieg gegen die Italiener von kroatischer Seite auf eine Art heiliger Krieg wäre...

 

 

Graz, Donnerstag, 23. März 1916

Das schlimmste ist allerdings der Kriegsdienst. Christus hat gesagt: «Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist»......aber ich kenne mich hier doch nicht aus...Einen Menschen toten! Wenn ich daran denke, da kann ich mich selbst nicht mehr erkennen. Habe ja doch immer von Brüderlichkeit und Liebe geträumt. F. sagt mir, dass die katholische Moral Gehorsam dem Kaiser erfordere und es sei unsere ethische Pflicht, die Soldatenpflichten zu erfüllen. Mir ist das ein großes Problem. Wenn das stets in der Geschichte vorgekommen wäre, da hatte sich vielleicht die ganze Geschichte nicht vom Fleck rühren können. Was hat denn die Staaten geschaffen und zerstört, als der Ungehorsam?! Wenn der Hausherr etwas Böses befiehlt, so finde ich, dass der Diener es nicht tun darf. Damit will ich nicht sagen, dass ich einer schlechten Sache diene, ich erahne sogar die grosse Mission dieses Krieges, sie ist mir jedoch nicht ganz klar. Dazu meine ich, dass man den Krieg vermeiden konnte.

 

Graz, Montag, 27. März 1916

So merkwürdig klingt der Name: «Greta Teschner». Als ob in ihm der Sinn meines Lebens verborgen wäre, als ob in den geheimen Tonen die Seele des «Ewig-Weiblichen» verborgen läge.

            Von Tag zu Tag sinke ich immer mehr. Zu jeder Zeit fühle ich mich als schwacher Mensch. Und was mir das Ärgste ist, ist es, das ich ein sogenannter Durchschnittsmensch bin. Jederzeit fühle ich, wie ich von der Plattheit meiner Umgebung durchdrungen bin. Es gibt fast nichts, was mich über sie erheben wurde und mir zeigen konnte, ich sei eine Individualität, geistig unabhängig vom Milieu.

            Bin ein sehr schwacher Mensch. «Winzige Faden» haben mich gebunden. Nur ein wenig bin ich erst ins Leben getreten und schon bin ich meinen Grundsatzen untreu geworden. Ich denke ziemlich viel ans Essen und habe mich vielleicht oft stark überangegessen. Bin nicht in allem der Pünktlichste. Bin oberflächlich. Das ist jedoch die grosste Pein, dass ich nicht einmal die Gelegenheit finde, der heiligen Messe beizuwohnen. Nonsens! Ich musste ein Opfer bringen und die Gelegenheit wurde sich finden. Gerade jetzt brauche ich seelische Kraft, habe es nötig, aus der unerschöpflichen Quelle der Liebe zu schöpfen, aus jenen allgewaltigen Kräften der Eucharistie, welche die Seele mit Erleuchtung erfüllen, die heller ist als der Tag, die ihn in seelische Zufriedenheit verwandelt, die den Menschen umhegt im Gefühle von etwas Unbekanntem und Unermesslichem. Mächtig, mit aller Kraft sehne ich mich wieder nach dieser Quelle.

            O Deus, adiuva me! (Oh, Gott, hilf mir!)

 

Slovenska Bistrica, Sonntag, 16. April 1916

            Nach länger Zeit in der Kirche gewesen. Glänzend! So bin ich heute voll eines gewissen Lichtes, voll Begeisterung und Liebe. Wie wenn jenes mystische Leben im Augenblick zuruckgekehrt wäre.

Mater dolorosa, Mater amabilis – wie gut ist sie!

 

 

Mürzzuschlag, 15. August 1916

            Leid, Leid, Leid... Entweder bin ich krank, oder ist das wieder die Unzulänglichkeit der Gesellschaft, dass ich nicht vom Herzen lachen kann. Ich wäre glücklich, konnte ich wie ein kleines Kind weinen, oder froh und begeistert sein für welche jugendliche Ideale. Immerzu quält mich das Problem des Lebens, es ekelt mich, dieses Leben zu schauen, und bei aller Anstrengung wünsche ich ewig in der Religion zu geniessen, es geht aber nicht.

            Bin fruh aufgestanden, zur Kommunion gegangen und habe mich bemuht, mich in dieses Mysterium zu vertiefen. Und es scheint mir, dass ich wirklich tief in mir selbst und in jener Welt versunken bin. Nein, ich sah nicht alles, aber es war so, wie wenn ich in einem gewissen Nebel jene Gesetze gefühlt hatte, jenes Etwas, das alles, ja alles in Bewegung setzt, und darauf hin die Madonna  mit dem Kinde, und dabei Jenes noch Grosseres und fühlte alles zusammen vereinigt in der Hostie.

 

 

Samstag, 26. August 1916

...Die wichtigste Frage für den Menschen ist das Problem des Todes. Dieses Problem muss mich jetzt am meisten interessieren, denn ich konnte in zwei Monaten weit entfernt von den Hoffnungen dieser Erde sein.

            Gerade jetzt sehe ich ein, dass mein Leben keine feste Grundlage hat. Habe mir meine Ideologie für das künftige Leben, für mein künftiges Erdenglück aufgebaut, und kann es nicht begreifen, dass ich bald sterben konnte. Das fuhrt mich manchmal zur Idee, dass ich langer an den Tod denken musste, so dass ich zu jeder Zeit meines Lebens darauf bereit wäre. Aber was ist der Tod? (Die Italiener lärmen und können sich damit nicht abfinden.) So stelle ich mir das vor: ich ziehe an die Front, es trifft mich welche Kugel von einem Ansturm (Oh, Gott, gegen wen werde ich anstürmen? Schrecklich ist die Gewalt, die die Menschheit unbarmherzig zu solchen Qualen jagt) und ich stürze tot zusammen. So hören alle Hoffnungen, alle Ideale auf zu sein, aber die Erde und die Sterne setzen ihren Sturmlauf weiter. Und die Seele? Muss mit dem Schreiben aufhören, obwohl ich in gewissen Momenten jenen herrlichen Übergang aus dieser begrenzten Welt in jener fernen Weite sehe. Ein andermal darüber.

 

                                                                                 

Seewiesen, 23. November 1916.

            Habe mich zerstreut. Will nämlich die Erzahlung eines modernen Menschen erwähnen. H.S. ein gepriesener Lyriker, gut bekannt mit Jorgensen und andern grossen Menschen, Agitator für den Frieden (ist nie an der Front gewesen!), Sozialdemokrat (schreibt in katholischen Blattern), der die Ursache des Krieges nur in einzelnen Menschen sieht... Gestern als wir in den Betten lagen, fing er an die Geschichte seiner Liebschaften und in Verbindung damit das Werden seiner künstlerischen Werke. Ich darf nicht diese seine Worte wiederholen, muss nur an verschiedene perverse Zuge des alten Rom erinnern... Als ich diese Beschreibungen der «Liebeserklärungen» anhorte... kam es mir zum Bewusstsein, dass er seine, meine und jedermanns Mutter und Schwester schildert. Ich entsetzte mich. Mein Gott, wie kann der Mensch so tief fallen, ein wildes Tier, ein Vieh werden und nichts mehr. Nicht nur er, sondern die ganze moderne Gesellschaft ist so. Da gibt es keine Rede von Ehe und Mutterschaft, da besteht nur die sogenannte „optimistische Lebensanschauung“, das Verständnis der Schönheit des Lebens und als die grossten Ausdrucke diese «Liebesergusse». Aus diesem Erzahlen bekam ich ein kompaktes, direkt schreckliches Bild unserer Gesellschaft, von den gewöhnlichen, einfachen Stadtfräulein mit gesenkten Augen bis zu den aristokratischen «gut gewaschenen kleinen Fräulein, insoweit sie nicht von der «Dummheit der positiven Religion» verblendet sind, sondern sie «den Sinn des Lebens eingesehen und verstanden haben». Alles ist um mich herum ähnlich...Ja, das war die Seele eines modernen Menschen, der die Gesellschaft reformieren will.

            Still ruhen oben die Sterne,

            Und unten die Gräber.

Wissen sie denn nicht, dass das Weltall existiert, so gross und herrlich, und dass Jener, der das ausgedacht hat, grosser ist als all das... Ja, ja, auch er wird sterben und verschwinden mit all seinen «Liebschaften».

 

 

Zingarella, 18. Mai 1917

Unsere Kanonen haben grauenhaft gedonnert. Die ganze Baracke zittert, wenn die von 15 cm Kaliber donnert.

            Der Mensch gewohnt sich an alles. Ob die Kanonen schiessen oder nicht schiessen, gehe ich meines Weges, wie wenn nichts wäre. So oft melden sich nicht mehr die Gedanken, dass wir advenae sind. Zum Teil bedauere ich, dass ich nicht diesen ganzen Krieg mit eigenen Augen erlebt habe. Leid, Schmerz, der Anblick von soviel Tausenden verstümmelter, toter und gemarterter Menschen, wascht vom Menschen garantiert alles Vergängliche ab und suggeriert ihm gerade mit grosser Energie den Sinn des Lebens. Dieses bisschen Wehe, was ich erlitt, jener erste Schrecken vor den Gewehrprojektilen und Schrapnels (auf dem Weg zur Brigade) redeten mir stets die Worte des Herrn: «Was furchtet ihr euch, glaubt ihr denn noch nicht?» Aber wovor sich furchten? Der dort oben weiss schon, was mit mir werden wird. Er liebt mich unermesslich, und weiss, ob es für mich besser ist, dass ich sterbe oder weiter lebe. Aber warum sich furchten, wenn Er meine Wege bestimmt?! Was ist das Leben? Eines Tages lag einer beim Friedhof, er fiel um und liegt wie ein Klotz, als ob er nie gelebt hatte. Hat es dann einen Zweck zu geniessen, den Leidenschaften nachzugeben? Ein sonderbarer Sinn, wenn mit dem Tode alles aus ist.

            Warum in mir soviel Verlangen nach Vervollkommnung meiner selbst, nach Annäherung zu Jenem Allergrossten, warum redet mir immer eine innere Macht: faste, iss nicht zuviel, sei ein Übermensch?

 

 

Zingarella, 22. Juni 1917

Ich sah ungefähr 20 Tote, die in den letzten Kämpfen gestorben sind. Sie liegen mit «Zelten» bedeckt. Man merkt es gut, dass manche Leichen ohne Fusse, manche ohne Kopf sind. Von einem guckte ein Fuss heraus, mit gelber Haut, faltig wie eine Pergamene. Sehe, das ist das Leben. Ich will nicht sentimentalisieren, denn das ist Schwache, aber es ist die grausamste Wirklichkeit, die einem zuruft: «Lass dich nicht besiegen! Besiege den Tod!» Über diesem schwebt Christus: «Wer an mich glauben wird, wird nicht wissen, was der Tod ist!» Askese, Betrachtung des Lebens und Arbeit einzig in dieser Richtung, ohne irgendwelche Konzessionen «dieser» Erde, das ist die einzig richtige Lebensweise. Aber wer lebt heute noch so?

            Ich mochte den Herrn, der mich mehr liebt als irgendjemand und der mir der Liebste von allem auf der Welt ist, empfangen. Nur bin ich es nicht würdig, zu sehr schwach bin ich, um mich ohne Bedenken für die Allerheiligste Hostie opfern zu können. Richtig sagt von Kempen: «Wir sind bereit, die Hostie zu geniessen, verzweifeln aber, wenn es heisst, das Kreuz in Freuden zu tragen.»

 

 

Monte Rasta, 9. September 1917

Es gibt keine heilige Eucharistie. Ich lebe hier wie ein Heide oder wie ein wildes Tier, wie wenn das Agnus nicht im Mittelpunkt des Kosmos wäre, wie wenn es Ihn überhaupt nicht gäbe. Gott, Troster, komm, um meine Natur mit den Atomen der Ewigkeit zu durchdringen und damit ich so – Dir ähnlicher – den Lauf des Seins verstehe! Der moderne Staat sorgt für den Ruhm, die heilige Eucharistie ist aber Nebensache.

 

 

Monte Rasta, 5. Oktober 1917

            Es jagen mich die Wunsche, es untergrabt mich der Kampf und die Unbeständigkeit. Wann wird endlich die Zeit kommen, wenn es nichts Abstossendes mehr geben wird, keine Nacht und keine Sunde? Wann kommt die Zeit der ewigen Glorie, der ewigen Erleuchtung? Wann werden wir das auferstandene Lamm sehen und die Pracht seiner ewig-schönen Mutter, das sich über alle Welten erstreckt? Wann, wann werden wir im Singen der ewigen Chore vereint sein, wann werden wir uns im ewigen Gesang des Sanctus, Sanctus, Sanctus, in ewiger Pracht umhüllt, verlieren?

            Wann wird die Zeit kommen, dass man nicht mehr essen muss, wenn man nicht um die kleinste gute Tat wird kämpfen müssen. Oh Adam, du dachtest nicht, was du tust. In unserem Leibe liegt ein Gesetz, das anders ist als jenes, das in unserer Seele ist. Die ganze Natur ist verdorben, alles ist übel und unsere Seele fallt in die Finsternis.

            Wann werden wir unserer selbst bewusst, wann wird unsere Seele sich selbst begreifen, wann werden wir wirklich unseren Bund mit Gott fühlen?

            Abstinenz und Eucharistie sind die Wege, die uns dorthin fuhren. Fasten und Kommunion, zwei Gegensatze. Das Fasten verursacht Pein und schalt uns los vom Genuss, aber die Kommunion gibt uns einen unermesslichen Genuss und verwandelt unseren Leib in das göttliche Wesen. (Sein).

            Eigenartig sind der Menschen Wege. Wer weiss, ob ich am Leben bleiben werde? Wir ziehen nach Kärnten, woher die Offensive beginnen wird. GOTT leitet das Schicksal der Volker. Er weiss, was für mich das beste ist. Werde mit allem zufrieden sein und dankbar, alles annehmen, was Er mir bestimmen wird. Wenn meine Eltern traurig werden, so wird auch dieses Leid vergehen, ist denn nicht unsere Heimat «ein Tal der Tranen»!

            Ich denke nach, wie glücklich die Menschen im Kloster sind. Sie können sich immer mit Gebet und guten Taten beschäftigen. Dort hat der Mensch keinen freien Willen, sondern handelt so, wie es die andern bestimmen: Abnegatio sui ipsius. (Verleugne dich selbst.) und Versenkung einer Seele in allen, so dass sie auf sich selbst vergisst.

            Zwingt mich nur nicht, Menschen zu toten, ihr seelenlose Menschen!

 

                                                                           

Fonzaso, 5. Februar 1918.

            Es kam die Meldung, nach welcher ich einen dreimonatlichen Urlaub bekommen konnte zur Fortsetzung der Studien. Hab Angst davor. Ich furchte zu hungern und denke, dass ich mich den Studien nicht ganz widmen konnte. Will trachten demütig den Willen Gottes zu erfüllen, dass ich nicht zuviel wissensgierig sei und dass ich soviel arbeite, soviel ich kann. Die Wissenschaft darf nicht Selbstzweck sein, sie soll ausser all dem Schonen, das sie in sich birgt, auch etwas zum Gottesreich auf Erden beitragen. Darum denke ich, dass neben aller Liebe zum eigenen Fach – jeder Mensch sozial leben muss, leben im Leben und jene unsterstutzen, die leiden. Denn die Wissenschaft ist ein Erzeugnis des Leidens. Die Technik will dem Menschen die materiellen Unfalle erträglicher machen, aber die Kunst und Wissenschaft betrachten das leidvolle Leben der Menschen und ziehen daraus ideologische Konsequenzen. Das Leben ist alles...

            Ich denke, dass ich als Student im St. Vinzenz-Verein – internationaler religiöser Hintergrund arbeite – und in der «Hrvatska» - nationaler religiöser Hintergrund. Dann heisst es zu erstreben, dass ich nur zweimal im Tage esse: so bin ich materiell frei. Aus Prinzip in der Zwischenzeit nicht essen, gleich wenn mir jemand etwas anbieten wurde. Darf nicht vergessen, den Leib zu überwinden. Harter Boden, fruh aufstehen, von Zeit zu Zeit streng fasten, so dass ich zu jederzeit mit meinem Leibe tun kann, was ich will. Auch die Pflege der Gesundheit und der körperlichen Schönheit sind wichtig. Einen schrecklichen Eindruck machen Priester, Klosterschwestern und andere gute Menschen grosstenteils mit vernachlässigtem Aussern, ziemlich unästhetischer Aufmachung, usw. Die neue Generation soll gesund, froh und schon sein. Was hässlich ist, ist eine Folge der Sunde. Darum muss sich der Mensch überwinden und die Pflege der Gesundheit und Schönheit als Mittel ansehen, um sich selbst zu überwinden und den Willen zu starken.

            Gott nie vergessen! Ohne Unterlass nach der Vereinigung mit Ihm streben. Jeden Tag – am besten das Morgenrot – einzig zur Betrachtung und zum Gebet benutzen, nach Möglichkeit in der Nahe der Eucharistie oder bei der hl. Messe. Diese Stunde sei die Quelle des Tages. In dieser Stunde soll der Mensch die ganze Welt vergessen, jede weltliche Sorge und alle Lebensnervosität beiseite schieben, ruhig sein wie in der Wiege. In dieser Stunde sollen die Plane für den künftigen Tag gemacht werden, da denkt man über die eigenen Fehler nach und bittet um Gnade, alle Schwachen überwinden zu können. Es wäre schrecklich, wenn dieser Krieg keinen seelischen Nutzen für mich hatte. Ich darf nicht so leben wie ich vor dem Krieg gelebt hatte. Ich muss ein neues, neugeborenes Leben im Geiste des neuerkannten Katholizismus beginnen. Es möge mir nur der Herr dazuhelfen, da der Mensch aus sich selbst nichts vermag.

 

 

Wien, 9. April 1918

Und was wird aus mir? Das ist eine schwere Frage, die mich schon seit längerer Zeit quält. Es interessieren mich Literatur und Kunst, obgleich ich jetzt darin nicht mehr soviel Genuss finde. Ich verlor jene jugendliche, volle Begeisterung für irgendetwas... denn wir sind nur provisorisch auf dieser Welt... nach einer Weile sind wir nicht mehr da, und dieses Leben hat nur insofern einen Sinn, inwiefern es eine Vorbereitung für das andere Leben ist. So ist es eben mit dem Leben der Volker und der Menschheit. Wenn ich die Philosophie beende und Professor werde, so werde ich heiraten. Denn ich finde, dass, wer unverheiratet bleiben will (wenigstens studierende Menschen), der nehme die Priesterweihe und wirke im absolut-mystischen Leben. Wer nicht studiert hat, der trete in ein Kloster ein. Ich will nach Heiligkeit streben, nach Vereinigung mit dem Herrgott und Ihn bitten, Er möge mir Widerstandskraft im Lebenskampf und Energie im Schaffen geben...

            ...Es ist wahr, die Literatur ist nicht alles. Die Literatur und die Kunst sind nur Details in diesem grossen Werke: dem Gottesreich. Der Pflug und der Tischler, der Metzger und der Jurist, und der Polizist, alle sind Arbeiter an diesem grossen Bau. Es fragt sich nicht viel, was man arbeitet, sondern wie man arbeitet. Alle Fächer haben vor Gott den gleichen Wert, man muss bloss nach Seinem Willen arbeiten. Und wieder mochte ich gerne Literatur und Kunst studieren. Wenn jedoch ein Opfer notwendig wäre, um meine Mutter zu bekehren, was viel, viel wichtiger ist als die ganze Wissenschaft der Welt, denn schrecklich ist mir der Gedanke, dass sie, die ich so sehr liebe, in ewigen Qualen leiden musste, getrennt von Ihm – schrecklicher Gedanke! – warum sollte ich mich nicht selbst verleugnen, mein Kreuz tragen und dieses Opfer für meine Mutter bringen. Leicht ist es über das Christentum zu theoretisieren und sich für den Herrgott zu begeistern, wenn Er von uns nichts verlangt, aber mein Zweck muss sein, ein praktischer Katholik zu sein.

            Mein Gott, erleuchte mich, dass ich bald zu einem festen Vorsatz komme! Überall möge Dein Wille geschehen, denn wir sind hier nur Wanderer, und in unserer wahren Heimat wird man nicht viel fragen, ob ich Professor war oder Maurer. Aber etwas muss man sein!

 

Fontanel, 20. Mai 1918

Die Sanitäter brachten unterm Fenster auf einer Tragbahre unsern blutuberstromten Koch. Er ist mit einer Decke bedeckt. Sein Gesicht ist rot, rot, rot...- Blut, Blut, Blut, dass man seine Gesichtszuge nicht einmal erkennen kann. Der Koch der siebten Kompanie.

            Den ganzen Nachmittag schiessen die 15 cm Granaten in Cinespatal und auf Fontanel.

            Mysterium vitae – der blutuberstromte Mensch. Von Adam bis heute haben Millionen von Menschen das durchgelitten und werden es bis zum jüngsten Tage durchleiden.

 

Fontana Secca, 28. Mai 1918

            ...Gott, hilf mir, gib mir die Gnade, unbedingter Herr meines Leibes zu sein! Besser ist sterben als ein Weichling zu sein, ein Spiel der Leidenschaften...

            Es moge mir die Maienkönigin verzeihen, dass ich an sie so selten denke.

            Gott, Gott, bitte um mehr mystische Welt!

 

Solarol, in der Kaverne, 13. September 1918

Eines Tages sah ich einen Priester. Am liebsten hatte ich seine Hände, die Christus hielten, geküsst. Es ist nötig, dass ich mir bessere Tage wünsche, wenn auch ich dorthin ziehen werde, wohin Simon zog. Oh Gott, wäre ich schon bei Dir! Am besten wäre es, Du wurdest mit der Flamme Deiner Barmherzigkeit die Parasiten der Sunde verbrennen, die in meiner Seele eingeschlichen sind und dass ich gut und heilig in Dich trete, oder dass ich wenigstens im Leben mit heiliger Freude und übermenschlichem Willen inspiriert wäre.

            Leicht ist es zu schreiben, aber schwer ist es, heilig zu leben!

 

Nahe bei Belluno, 23. August 1918.

Gott, gib mir eine stürmische Kraft, um alle meine Leidenschaften in der Faust zu sammeln, sie mit der rechten Hand packen und mit Kanonenkraft an die Wand zu schmeissen, so dass sie sich wie Glas zerschmettern und auf allen Seiten zerstieben! Gott, Gott, wann werde ich das können? Wann werde ich geläutert durch die Welt schreiten? Hilf mir, Gott, denn besser ist es nicht leben, als so zu leben!

            Memento mori – der Speck lauert im Winkel. Wer meint, das Fasten sei ein Unsinn, der weiss nichts. Ohne Fasten gibt es kein richtiges geistiges Leben, der Mensch hat dann keine Autorität über sich selber. Aber das ist die Hauptsache. Gib mir, Gott, einen mächtigen Willen, sollte ich auch nackt und blossfussig sein! Denn, wenn ich schon auf der Welt bin, so ist es alles eins, ob ich unter dem Hals einen Stern trage oder ob mir das Hemd am Ellbogen hervorguckt. Die Hauptsache ist das grosse Ich, die Geistesfähigkeit, die sich vor Tod nicht fürchtet, und das Übrige ist alles nebensachlich.