In mir ist die Flamme nach den unendlichen Höhen

Wieder in Wien

 

Nach vollendetem Krieg setzt Hans seine Studien in Wien fort. Endlich gaben die Eltern nach und Hans studiert, was er sich gewünscht hatte: Literatur – Romanistik und Germanistik an der Philosophischen Fakultät.

            In der Zwischenzeit übersiedelten seine Eltern nach Zagreb.

            In seinem Tagebuch dieser Zeitperiode findet man keine Spur mehr von welchen seelischen Kämpfen und Krisen, der Krieg hat das Seine getan. Im August 1917. schreibt Johannes seinem Vater aus der Front: «Ich bin Gott dankbar, dass ich den Krieg mitgemacht habe, denn der Krieg hat mir so manches gelehrt, was ich sonst nie erkannt hatte. Ich wünsche lebhaft wieder frei zu werden und mein Leben nach dem zu ordnen, was ich als richtig erkannt habe.» Johannes ist jetzt vollkommen über  die Echtheit (Wahrhaftigkeit) der christlichen Grundsatze überzeugt und seine Seele steigt nach den göttlichen Hohen empor. Die Liebe zu Christus und der Kirche flammt immer mehr auf. Aus dieser Zeit stammt sein Interesse für die Liturgie: die liturgischen Exerzitien, die er in Wien mitmachte, setzten eine feste Grundlage seinem späteren liturgischen Leben und Apostolate.

            Die Freude, die Hans in sich tragt wegen der gefundenen Wahrheit kann er nicht für sich behalten. Immer mehr wachst in ihm die apostolische Glut, mit der erkannten Wahrheit über  Gott und Christus auch seinen Nächsten zu beglucken. Die kroatischen Studenten erneuern in Wien ihren Verein «Hrvatska» (Kroatien). Johannes wird sofort eines der aktivsten Mitglieder. In diesem Verein bekleidete er das Amt des Sekretärs. Er halt selbst Vortrage, bespricht mit den Kollegen, wie man sich am besten für das spätere Apostolat in der Heimat bereiten soll. Bei einer Versammlung der «Hrvatska» sagte er jene bekannten Worte: «Das Fundament unseres Lebens soll unsere Wiedergeburt in Christus sein, alles übrige reiht sich von selber daran.»

 

Zagreb, 26. September 1919

Gestern war der bedeutendste Tag in meinem Leben. Ich empfing die neunte hl. Kommunion zu Ehren des Heiligsten Herzen Jesu und glaube, dass ich die Tiefen der Heiligsten Dreifaltigkeit schauen werde. Ich muss diese unermessliche Liebe Christi wenigstens irgendwie hier verdienen, und so will ich mit Gottes Hilfe trachten, um so starker das Werk der Heiligung fortzusetzen.

 

Wien, Montag, 5. April 1920

Ich verbrachte die Tage vom Karrmittwoch bis heute in St. Gabriel bei Mödling. Das waren meine schönsten Ostern: ich erlebte den künstlerischen Reflex grosser Ereignisse – Christi Leiden und seine Auferstehung – in dem ich mich in die liturgische Kunst einlebte. Am Anfang fasteten wir, schwiegen und betrachteten. Als sich der weltliche Lärm zerstob und die Seele ruhig blieb, allein mit sich selbst, da stieg aus der Tiefe wie ein Schaum der Schlamm der Sunden empor, der sich fast unbewusst angesammelt hatte. Darauf das herrliche Singen der Lamentationen, und die herrliche Messe des Gründonnerstags mit ihrer Freude und die hl. Kommunion, in der feierlichen Messe, genau so wie damals, als Jesus die heiligste Eucharistie eingesetzt hatte, und dann die Trauer inmitten dieser Messe, die rhythmischen Bewegungen der Ordensmänner, die glänzende Begleitung des Orchesters, usw. Die Kreuzenthüllung und das Leiden des Kreuzweges am Karfreitag erschütterten meine Seele. Am Samstag wieder jene gewaltige Freude über  den auferstandenen Heiland, die in der Liturgie einen so herrlichen Ausdruck fand.

            Wie die Theologie die zentrale Wissenschaft ist, so ist die Liturgie die zentrale Kunst. Sie ist vollkommen objektiv und entspricht dem Wagnerischen Ideal, der sämtliche Künste in einer einzigen vereinen wollte. In der Liturgie findet die Seele der Kirche ihren Ausdruck, auf ihrem Fundament konnte man leicht die Theorie der Kunst ausarbeiten. In der Liturgie schaut man wie in einem Spiegel das Leben Christi, aber nicht so, wie es uns in der Geschichte erscheint, sondern so, wie es ein objektiver Beobachter, der weder an Zeit noch an Raum gebunden ist, es sieht; er beschaut vielmehr dieses Leben aus der Hohe, indem er den übernatürlichen Zusammenhang aller Ereignisse sieht, sagen wir, wie es ein Engel schaut. Auf diese Weise wird die Kunst ein objektiver Lebensspiegel, der auch jene Faden erschaut, die der gewöhnliche Mensch nicht bemerkt. Die Liturgie hat den Höhepunkt erreicht: sie ist die grosste kunstvolle Schöpfung, die auf der Welt existiert, da sie kunstvoll das Leben Christi, das der Mittelpunkt der Geschichte ist, darstellt. Alle übrigen Künste müssen sich der gleichen Methode wie der Heilige Geist in der Liturgie, bedienen: der Künstler muss – sagen wir – das Motiv des Krieges, der Liebe, der Irrwege, des Mordes und die verschiedenen übrigen Themen künstlich im übernatürlichen Zusammenhang darstellen und je besser er das tut, umso wertvoller ist das Kunstwerk. Natürlich, es ist dazu erforderlich, dass der Künstler heilig ist.

            Das Kloster St. Gabriel wird mir für ganze Leben unvergesslich bleiben. Es zeigt, wie die katholische Kirche überall herrliche Bluten erzeugt. Es gibt 300 Theologen – die nach Kongo, in die Neu-Guinea und andere Länder ziehen, um das Evangelium Christi zu verbreiten. Die meisten von ihnen sind kräftige, schone Menschen, schweigsam und demütig. Sie stehen um dreiviertel vier auf und konzentrieren ihre ganze Liebe im Gottesdienst; St. Gabriel ist ein kleiner Beuron.

 

Wien, 1. Mai 1920

Bin geistig am produktivsten, wenn ich die Widerstande überwinde oder wenn ich leide. Bis nun litt ich und überwand die Widerstande (Krieg, Hunger), da mich die Vorsehung in solche Lage versetzt hatte. Damals litt ich gerne. Bin jedoch noch nicht zu solcher Hohe emporgekommen, freiwillig den vollkommeneren Weg zu erwählen (des Leidens). Wenn ich mein Leben richtig analisiere, so verbrauche ich nicht mehr Energie zur Selbstüberwindung, als, sagen wir, die gewöhnlichen Liberalen. Ich stieg auf eine bestimmte Hohe und nun halt mich die Macht der Beharrlichkeit auf derselben. Aber in mir ist die Flamme nach unendlichen Hohen, die Glut nach der ungetrübten Umarmung des Sohnes, des Vaters und des Geistes, aber dazu kommt es nur durch eine disziplinierte, taktische Selbstüberwindung.

            Ware es denn nicht möglich, nie an das Essen zu denken, sich beim Mittagessen nie ganz zu sättigen, nur sechs Stunden zu schlafen, täglich die hl. Kommunion zu empfangen, täglich turnen, und neben allem Verlust an Energie, die man dabei verbraucht, noch täglich 10 Stunden lernen und in der Wissenschaft ein vorzüglicher Mensch zu werden. Hl. Katharina von Siena, bitte für mich um einen eisernen Willen!

 

Wien, 16. Mai 1920

Ich bemerke, dass die Jesuiten grosse Verdienste für die Entwicklung der Kultur in Europa haben. Die Reformation bedeutet den Anfang der Anarchie, dessen heutige Phase der Liberalismus ist. Wenn wir anderseits die Kulturautoren (Arbeiter) betrachten, so sehen wir, dass in Holland die Jesuiten die Buchershow ausgeben, in Deutschland haben sie die intellektuelle Führung der katholischen Kulturbewegung inne («Stimmen der Zeit»). Katann ist ein Kalksburger, Marakoviæ ein Jesuitenschuler. Die Aktion unter den hiesigen Schülern (bzw. Studierenden) leiten die Jesuiten. Und ich selber schulde indirekt sehr viel den Jesuiten durch Ljubo und Nine.

 

Zagreb, 13. Oktober 1920

Ich komme gerade von der Meštroviæ Ausstellung. Es überschütten mich ganze Mengen von Ideen. Der gekreuzigte Christus, Christus und Magdalena, Christus und die Samariterin, die Pieta, Christus verjagt die Juden aus dem Tempel, Madonna mit dem Kinde, Christus und der Versucher, japanische Madonnen...Kariatiden. Alles ist lautere Lyrik, Subjektivismus ad absurdum, Expressionismus. Die nichtanatomische Formen realisieren ein gewaltig intensives inneres Leben. Der Autodidakt Meštroviæ kam auf die Welt und das Leiden der Menschheit wird für ihn zum Problem. Er, der bis jetzt liberal war, der bis jetzt nur nebenbei welches religiöse Motiv schuf, sieht auf einmal eine besondere Welt, die sich seit jeher mit den Kardinalproblemen der Menschheit befasste. Meštroviæ befasst sich jetzt mit der christlichen Religion in den äußeren Formen des Christentums, tragt er seine eigene Seele hinein, welche diese Formen zerstört. Es gibt kein Zweifel, Meštroviæ ist ein von Gott höchst begabter Mensch. In ihm hat der moderne Subjektivismus einen typischen Repräsentanten gefunden...

            ....Meštoviæ ist demgleich ein reiner Lyriker, welcher seinen Christussen Ausschnitten aus seiner eigenen Seele gab, einer Seele, die unter den Ruinen der Ideenwerte des zwanzigsten Jahrhunderts allmählich den Weg zu Jesus Christus findet. Es gilt, Meštroviæ zu bewundern, der mit einer solchen Virtuosität sein inneres Leben auszudrucken verstand. Die Künstler sind die Typen der Menschheit. Wenn sie ihren Weg zu Jesus Christus und ihre seelische Welt auseinandersetzen, da weisen sie jenen die Richtung, die aus der gleichen Mitte, wie sie selbst entsprossen sind. Das ist die zivilisierte West-Europa, die im Stande der Bekehrung ist, aber keineswegs das jugoslawische Milieu. Uns ist Meštroviæ fremd und Gott gebe, dass unsere Nation nie ins Stadium jener Nationen komme, die psychologisch disponiert dem Meštroviæer Kruzifix entsprechen?

 

Zagreb, 14. Oktober 1920

Materiell wird mir, vielleicht, nie im Leben so gut gehen. Alles geht mir nach Wunsch. Kann mich alle Abende duschen, auf dem reinen Fussboden liegen, um 5 Uhr fruh aufstehen, zur hl. Messe gehen und öfter die hl. Eucharistie empfangen. Nahrung habe ich genug, Fleisch nie, meine Kleidung ist nicht zerrissen, die Kragen immer sauber. Habe, also, alles, was mein Leib verlangt. Die Familie bietet dem Menschen das kräftigste Mittel, um auch seelisch stark zu sein.

            Das Problem des Kreuzes kann ich jetzt theoretisch studieren, und Gott gebe, dass ich mir jetzt eine so feste Grundlage schaffe, dass ich in der Praxis dem Kreuz nicht unterliege (nicht zusammenbreche unter dem Kreuze).

 

Alle Kräfte konzentrieren in der Arbeit für Jesus

In Paris

 

Durch die Vermittlung der P.M. Vanina S.J. erhalt Johannes ein Stipendium aus Frankreich und zieht mit noch zwei Kollegen im Herbst 1920. nach Paris, wo er für zwei Jahre seine Studien auf der Sorbonne und dem Institut Catholique fortsetzt.

            Neben fleissigem Lernen für die Examen, sammelt Hans das Material für seine Doktorats Dissertation, die er in Zagreb beenden wird. Er findet Zeit auch für andere Tätigkeiten. Er liest viel. Eine Reihe von Literaten philosophischer und anderer Intellektuellen lernt er kennen. Er besucht viele gelehrte Konvertiten zum katholischen Glauben. Er studiert das katholische Leben in Frankreich, besonders die Arbeit der französischen katholischen Organisationen.

            Was seine Kollegen, die mit ihm zusammenwohnten, am meisten überraschte, das war sein Privatleben, das ganz mit Gebet und dem Bestreben nach christlicher Vollkommenheit durchdrungen war. Gleich nach seiner Ankunft schrieb Hans sich und seine Kollegen Ðuro Graèanin und Jurij Šèetinc im Verein St. Vinzenz von Pauli ein, der das Ziel hatte, den Armen zu helfen. Hans nahm auf sich die Fürsorge für eine arme Familie in der Peripherie von Paris. Diese armen Menschen, so berichtet Dr. Graèanin, wurden nicht müde, Hansens Aufmerksamkeit und Liebe zu lobpreisen. Es war etwas Nichtalltägliches, dass ein Fremder, ein Student ihnen aus seinen bescheidenen Studentenmittel half.

            Aus dieser Zeit datieren seine berühmten Pariser Vorsatze – die Hans als Lebensregeln seines nach christlicher Vollkommenheit strebenden Lebens erfüllte. Manche von seinen Vorsätzen mögen für den gewöhnlichen Christen, vielleicht etwas zu kühn denken. Später milderte sie Hans selber nach dem Rat seines Beichtvaters. Sie zeigen, indessen, seinen entschlossenen Willen, seinen Geist über  alles Zeitliche und Vergängliche zu erheben und so «vollkommen zu werden, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist.»:

  1. Auf ganz hartem Lager liegen.

  2. Täglich den ganzen Leib mit eiskaltem Wasser waschen.

  3. Morgens nichts essen.

  4. Am Freitag Hunger spuren.

  5. Oft mit dem Essen aufhören, wenn es am besten schmeckt.

  6. Täglich bei jeder gegebener Gelegenheit gymnastizieren.

  7. Nie von sich selber sprechen.

  8. Nur zu Mittag und zu Abend essen.

  9. Einmal im Monat 24 Stunden weder essen noch trinken.

  10. Den Armen den Überschuss meiner Guter schenken.

  11. Nie über  die eigenen Leiden sprechen.

  12. So wenig wie möglich reden.

  13. Täglich wenigstens einmal gänzlich zu Gott beten.

  14. In unangenehme Situationen eingehen.

  15. Das eigene Leiden segnen.

  16. Ab und zu sich selber freiwillig insgeheim Schmerz verursachen.

  17. Ab und zu aus dem besten Schlaf aufstehen und die Sterne schauen gehen.

  18. In der dunkelsten Nacht durch furchterregende Platze gehen, die Furcht überwinden, den Glauben starken.

  19. Verdemutigung vor den Menschen mit Freuden annehmen.

  20. Sich nie einseitig der Wissenschaft hingeben.

  21. Mit dem Leben im engsten Kontakt sein.

 

Das Tagebuch aus der Pariser Zeitperiode ist nicht umfassend. Er notiert kaum hie und da, was ihn besonders beeindruckt. Er freut sich, dass sein Vater nach 20 Jahren wieder die hl. Kommunion empfing. Mit Begeisterung beschreibt er die Einkleidung der Benediktiner Novizinnen in Verbindung mit seinen Gedanken über  die Schönheit und Erhabenheit des gottgeweihten Lebens.

 

Paris, 20. Januar 1921

Der Papi hat am 12. 1. (bei der silbernen Hochzeit) nach 20 Jahren die hl. Kommunion empfangen. Meine Gebete zum Herzen Jesu sind erhort. Im Briefe, den er mir schrieb, sehe ich ein typisches Beispiel der Konversion. Bekehrt hat ihn das übernatürliche Element: die Gnade. Jetzt bleibt noch die Sorge um die Mutter. Herz Jesu, hilf!

 

Paris, 30. Januar 1921

War bei der letzten Sitzung des Congres regional de l'Association catholique francaise. Man erörterte die soziale Orientierung unter der Arbeiterschaft, über  die Agrarorganisationen, über  die cercle d'etudes und über  die liturgische Bewegung. Ein Lebensstrom durchpulst die ganze Organisation und es herrscht in ihr ein herrlicher Geist. Eine seelische Harmonie besteht zwischen den Mitgliedern und man merkt kaum etwas Affekt in den Debatten. Diese katholische Jugend ist sozialer als die Studentenschaft. Das bemerkten auch einige Priester. In Anbetracht dieses riesigen Interesses der katholischen Generation um die Instaurierung des ganzen öffentlichen Lebens in Christus, bemerke ich das Wirken einer Energie, die überall wirkt, wo immer ich das beobachtet habe: in Osterreich, bei uns, und jetzt siehe auch hier. Ich bewundere die Einheit, welche die katholischen Bewegungen aller Länder inspiriert. Die beste Apologie des göttlichen Wirkens in der Menschheit ist dieser Geist der Einheit (Einigkeit), der die katholische Bewegungen aller Welt durchdringt.

            Keine menschliche Macht, kein philosophisches System kann so ein Meisterwerk schaffen – das ist das Werk der Macht, die über  uns ist (die uns überragt) und die wir suchen und zu kennen wünschen. Die Atheisten, die Internationalisten und alle möglichen Theoretiker mögen die Geschichte der Kirche und ihre jetzige Aktivität studieren, und sie werden sehen, dass sie die Einzige ist, die die Menschheit vorwärts zieht. Einen tiefen Eindruck machte auf mich das Gebet. Nach beendigten Debatten, worin man über  die Note des öffentlichen Lebens sprach, wandten sich alle zum Allerheiligsten Sakramente und sangen einstimmig: O salutaris Hostia, Magnificat, Tantum ergo...

            Das begeisterte Singen war der künstlerische Ausdruck der Einigkeit ihrer Seelen, eine Glaubensaffirmation im katholischen Frankreich des XX. Jahrhunderts. Die Franzosen können wahrhaftig – wenigstens die, die ich heute anhorte – stolz sein, über  ihren Klerus und ihre Jugend.

 

 

Paris, St. Georgenstag, 1921

Meine Schmerzen dauern immer noch und deswegen schrieb ich fast nichts. Ich danke Jesus Christus, dass ich in der vergangenen Epoche, in der Fastenzeit, ins Leidensmeer Seines Herzens eintauchen konnte und dass ich so in enger Verbindung mit Ihm lebte. Nebenbei übersetzte ich Paul Claudel Kreuzweg. Es scheint mir, dass jeder katholische Dichter einen Kreuzweg schreiben sollte, damit man seine Grosse als Menschen einschatzen könne.

            Wegen meiner Augenschmerzen konnte ich mich nicht dem Studium der katholischen Literatur widmen, wie ich es gewünscht hatte, und auch die französische Sprache, die ich inzwischen studierte, lernte ich auch nicht, wegen der inneren Zerstreutheit. Herz Jesu, Dir weihe ich mein Leben: wenn es zu Deiner Ehre gereicht, dass ich leide und so zu Dir komme, so möge Dein Wille geschehen, und auch bitte ich Dich, dass mit mir in Deinem Reiche auch meine Eltern sein mögen.

 

Paris, 4. November 1921

Bei den Benediktinern wohnte ich der Einkleidung der Novizinnen bei. Die Liturgie ist erhaben. Es macht den Eindruck, als ob die Madchen unter der Gigliotine zum Tode gingen. Sie stirbt für diese Welt und wird zu einer Seite, die in Ewigkeit die Ehre Gottes besingen wird. Sie wird sich gleich dem Feuer verzehren und wird wie die klugen Jungfrauen mit brennender Lampe in den Hochzeitssaal des Bräutigams eintreten.

            Bin ein Sklave Gottes. Das Resultat der Leiden (Augen): Ich machte mir Direktiven für Leben und bete täglich den ganzen Rosenkranz. Wenn meine Augen gesund werden und ich die Examen beende, und wenn keine äußeren Hindernisse sein werden, so trete ich zu den Jesuiten ein (wenn sie mich aufnehmen).

            Es heisst die ganze Welt vergessen und alle Kräfte auf die Arbeit für Jesus konzentrieren. Die Freunde vergessen, die Plane, alles – verschwinden aus der Erde, verbrennen, um mit möglichst viel meiner Nächsten dorthin zu gelangen, wo auf uns der Vater, der Sohn, die Seligste Jungfrau Maria im Heiligen Geiste, die Aposteln, die Martyrer, die engelhaften Jungfrauen, Toma, Mahniæ, Rogulja – alle jene grenzenlosen Welten der Apokalipse warten.

            Als man in alter Zeit Menschen opferte (Ifigenie), um die Gottheit zu versöhnen, wurden die Anwesenden mit Grauen erfüllt. Die junge Benediktiner-Nonne geht ins Gefängnis ein, um nimmermehr herauszukommen. Sie überschritt die erste Todesschwelle, die in den Himmel fuhrt. Die alten heidnischen Zeremonien liessen grosse Mysterien erahnen, die erst die christlichen Zeremonien explizierten. Eine Generalstochter verlasst die Welt, als weisse Braut angekleidet, um nicht zu versinken. Fasten, stehend essen, in dunkler Nacht aufstehen, kaltes Zimmer – sich das Kreuz auf die Schultern aufladen – um das heidnische Babylon zu retten, Tausende von Prostituierten und verweichlichten Genussmenschen.

            Gott, wie gross bist Du, der kleinen Seelen eine übernatürliche Kraft einflossest und die Vertreter der Wissenschaften, die Akademiker, Politiker beschämst, die große Reden halten, sind aber nicht bereit das geringste ihrer Bequemlichkeit zu opfern. Ja, das Samenkorn muss in die Erde geworfen werden und dort sterben, wenn es wünscht, Frucht zu bringen.

            Königin der Jungfrauen, giesse das Öl der Heiligkeit in ihre Seele und ihre Leiber: Möge der Wohlgeruch des Opfers, der sich verzehrt, die Erde mit seinen Dunsten erfüllen!

            Heute muss der Mensch eine ganze Bibliothek lesen, aber die Menschen wissen nicht, dass die Kirche eine viel schönere dramatische Poesie als alle mögliche Sofocles und Shakespeare besitzt. Die Zeremonien ausser der Schönheit des Textes, haben hier den Vorrang über  die dramatische Weltpoesie, die etwas fingiert, was schon war, wahrend wir bei der Liturgie dem Drama selbst beiwohnen.

            Oh, wie gross sind die Seelen, die ganz auf das Leben verzichten! Adams Same hatte gesündigt, indem es Gott nicht gehorchen wollte, er wurde zum Sklaven des Leibes, der unter dem Menschen ist. Einzig die Demut macht den Schaden wieder gut, indem sie für sich nichts sucht, und in sich alles, was von Gott entzweit, vernichtet. Das Bestreben, sich selbst vollkommen zu vergessen ist das Gegengewicht zur Sunde Adams, womit der Mensch Gott gleich werden wollte.

            Höchst traurig ist das Menschenleben. Wie viel hunderttausend Jungfrauen, schon, gesund, klug, haben das Leben, das Gluck, die Eltern verlassen, um sich in einem Kloster einzumauern und damit ihr Name verschwinde. Und heute, diese Generalstochter verlasst gleich wie diese Hunderttausende ihren Vater, mit allen möglichen Medaillen dekoriert, um nie aus den Mauern der rue Monsieur herauszukommen. Was hatte sie denn gedacht? Das Mysterium des Lebens musste sie lange, lange quälen. Zuletzt sah sie ein, dass es am besten ist – da dieses Leben nur ein Vorzimmer ist – möglichst fruh jenes Leben anzufangen, wenn auch mit viel Muhe, das ewig dauern wird. Daheim konnte sie kaum erwarten, möglichst bald ein regelmassiges Ordensleben zu beginnen, da alle möglichen Geschäfte sie dazu verhinderten. Als sie heute die Klosterschwelle überschritten hatte, was möge sie gedacht haben? Dass nun, eigentlich, die wahre Vorbereitung für jenes Leben anfangen wird. Hat sie nicht vielleicht die Berfurchtung übermannt, sie werde sich an das Klosterleben so angewöhnen, dass ihr dieses zur Gewohnheit wird? Oh, ja, mit allen Mittel wird sie sich selbst wecken müssen, um immer auf die Ankunft des Bräutigams bereit zu sein. Es wird ihr dieses Leben so unliebsam werden müssen, dass sie sehnlichst auf die Stunde warten wird, wenn sie jene andere Schwelle übertreten wird, die zum Himmelskloster fuhrt.

            Mein Gott, lass das Heidentum, in dem wir leben, verschwinden!

 

 

Mein ganzes Leben kreist um Christus, den Herrn 

Wie wir bereits erwähnten, ererbte Hans keinerlei religiöser Erziehung vonseiten seiner Eltern. Seine Eltern waren bloss formale Katholiken, in der Praxis jedoch ganz liberaler Grundsatze. Als Hans aufgewachsen und immer mehr ein Gottesmensch geworden war, musste er erkennen, wie weit seine Eltern von Gott waren. Das schmerzt ihn sehr. In seinem Tagebuch schreibt er: «Der glücklichste Tag wäre für mich, wenn Mutter und Vater gute Christen wurden, wenn unsere Familie einmal eine katholische Familie werden wurde – denn die Familie ist das Heiligste auf Erden.» Johannes betet viel für sie, aber erst aus Paris getraut er sich direkt an ihre Herzen zu klopfen. Die so kostbare Korrespondenz zwischen Hans und seinen Eltern blieb uns erhalten, besonders der Mutter. (In Hansens früheren Biographien sind diese Briefe im ganzen veröffentlicht). Hans wünschte seine Eltern davon zu überzeugen, dass dieses Leben kurz ist, dass es nur eine Vorbereitung für die Ewigkeit ist und dass wir deswegen umso besser uns für die andere Welt bereiten sollen. Die Mutter verstand das alles zusammen überhaupt nicht und solche Standpunkte ihres Hans betrübten sie sogar sehr. Sie wünscht, dass ihr Sohn ein Weltmensch wird, dass er eine Karriere im Leben erreicht. Sie versucht ihn zu überzeugen, er sei auf dem «falschen Weg». Hans antwortet ihr. «Du sollst wissen, dass mich das Leben auf der Wiener Universität, dann der Krieg, das Studium und zuletzt Lourdes ganz von der Wahrhaftigkeit des katholischen Glaubens überzeugten und dass darum mein ganzes Leben um Christus den Herrn kreist.»

            Als Johannes nach Zagreb kam, auch dann gelang es ihm nicht, sie ganz Gott naher zu bringen, so sehr er sich darum bemuhte. Die Mutter verstand sein tiefes religiöses Leben und Arbeit in den katholischen Organisationen nicht. Erst nach Hansens Tod näherten sich seine Eltern ganz Gott und der Kirche und wurden das, was Johannes bei Lebtag von ihnen gewünscht hatte.