INHALT

schützfeuers. Wir gehen hinaus. Himmel und Erde leuchten und blitzen und ein ganzes Orchester niedriger und hoher Töne begleitet dieses allseitige, erhabene Aufleuchten der Wolken, Berge und Täler. Ich klimme weiter nach oben und betrachte das Blitzen der Granaten, die an die italienischen Bergen auseinanderkrachen. Von verschiedenen Seiten aus den italienischen Gräben steigen ganze Feuerwerke auf, welche sich langsam herablassend, die ganze Umgebung beleuchten. Dies alles dauerte bis 7 Uhr morgens. Der Italiener antwortet mit den verschiedensten Kalibern und mit Gasgranaten (was wir nicht erwarteten, denn wird dachten, dass alle Batterien durch unser Gas vergiftet sind!). Wir mussten sofort Gasmasken anlegen. Um 7 Uhr 40 min. hört das Trommelfeuer auf, um 7 Uhr 50 min. bekommen wir Nachricht, dass Solarol, Poste di Sallon in unseren Händen sind. Eine halbe Stunde später hören wir, dass Boroević die Piave überschritten hat. Nun beginnt auch unser Bataillon vorzurücken. Es kommen die ersten Verwundeten, dann Italiener, Offiziere und Mannschaften. Wir ersahen, dass unsere Truppen starke Verluste hatten und dass sich die Italiener gut vertedigten… Unsere Artillerie hat die Italiener nicht vernichtet. Sie hat überhaupt die feindlichen Gräben schlecht getroffen. Unsere Sturmpatroille mit 70 Mann und 4 Maschinengewehren eroberte den Solarol (Pyramidenkuppe). Die Infanterie langte nicht rechtzeitig heran und die übriggebliebenen 20 Mann hielten sich gegen 4 anstürmenden ital. Kompagnien, bis sie sich zurückziehen mussten. So opfert unser Kommando unverständigerweise das Menschenmaterial. Sie spielen Karten in der wichtigesten Situation und sorgen nicht für die elementarsten Prinzipien des Angriffs. Im feindlichen Feuer langten wir in die gegenwärtige Stellung – der früheren Offiziersfeldwache – und besetzten die Kavernen. Es kamen auch die Führer der Sturmpatroillen, schöne, mutige Männer, welche ohne jede Furcht zu sterben wissen. Prachtvoll sind unsere Leuten, nur einen Führer brauchen sie! Hier lag ein schwer verwundeter italienischer Offizier, er jammerte und stöhnte vor Schmerzen: »Quanto malo, Manfredo« (sein Offiziersdiener), und das wiederholte er zwanzigmal, wie eine Maschiene. Länger als eine Stunde stöhnte er, bis ich ihn nach rückwärts zur Kote 1580 tragen ließ, wo es sich ein kleiner »Hilfsplatz« befand. Nie werde ich seinen dankbaren Blick vergessen und den Druck seiner blutigen Hand. Ein schöner junger Mann war er. Einem Menschen, welcher leidet, einen Liebesdienst erweisen, ist die größte Sache in dieser Panik. Sie ist die Grundlage jedes geistigen Lebens. Die Offensive wurde zum Stillstand gebracht, aus politischen Gründen. Wahrlich, bezeichnend für die Anordnung, die in Österreich herrscht. Die italienischen Gräben sind angefüllt mit unseren Toten. Furchtbare Bilder, ein furchtbarer Gestank. Die Schützengräben sind tief, aber schwach und unerdenklich. Die Aufenthaltsräume sind feucht, die Kavernen schwach. K. soll in Rasać begraben sein. Schrecklich! Dieses immer lachende Gesicht, voll Idealismus und Leben, er hat uns so plötzlich verlassen! Gott sei ihm barmherzig!«

Solarol (kaverne), 16. VII. 1918

»Gestern ist ein großer Angriff der Italiener abgeschlagen worden. Sie waren schon eben am Berge und alles dachte schon an die Flucht. Aber unsere Leute sind wirkliche Helden; heiter im Kampf, als ob sie genießen würden, wenn sie sich hervortun können. Schade, dass sie nicht gebildet sind. Schon einige Tage donnerte der Italiener mit schweren Geschützen, zerstörte die Gräben, zerriß die Drahthindernisse. Um 4 Uhr 30 min. beginnt der Angriff. Unsere Sturmbataillone sind sofort am Berg. Flammenwerfer beginnen zu wirken. Den Tautscher, der ganz vorne in der Kaverne als Artilleriebeobachter war, zogen sie zurück. Sie werfen Handgranaten und beginnen mit Maschinengewehren zu trommeln an. Unsere Leute – jeder für sich – treiben die Italiener zurück, erschlagen sie oder nehmen sie gefangen. Viele Tote bleiben am Platze liegen. Noch zweimal erneuerten die Italiener den Angriff, aber auf den Berg gelangten sie nicht mehr«.

In der erhabenen Natur

Seit jeher liebte Hans die Natur. Auch an der Front lebte er du IN BLUT UND FLAMMEN

IN BLUT UND FLAMMEN

AN DER FRONT

Zu den großen Sommerferien 1915 nach Hause zurückgekehrt, wurde Hans zur Militärdienstleistung einberufen. Im Februar 1916 trat er seinen Dienst in Lebring bei Graz, wo er beiläufig acht Wochen verblieb. Er erhielt als Einjährig-Freiwiliger die Uniform, musste Übungen mitmachen und sich an das Militärleben gewöhnen. Von Lebring kam er nach Graz und Windisch-Feistritz zur weiteren militärischen Ausbildung. Hiernach besuchte er den Offizierskurs und legte in Graz die Offiziersprüfung ab, worauf er wieder nach Lebring zum 2. bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regiment übersetzt wurde, wo er seine weitere Bestimmung abzuwarten hatte. Nachdem Mangel an Lebensmitteln herrschte, bekam er einen »Hungerurlaub«, den er bei den Eltern verbrachte, teils in Banjaluka, teil in Pécs, wo sein Vater als Vertreter der Militärbahn diente. Als er wieder vom Urlaub rückkehrte, wurde er im November 1916 nach Au-Seewiesen in den Skikurs kommandiert, nach dessen Absolvierung er zum Bergführer ernannt wurde. Zu diesem Zwecke erhielt er auch eine Gruppe Mannschaft seines Regiments. Mit ihnen ging er im Januar 1917, als Kadettaspirant via Bozen, über die Berge, Kämme und Höhlen nach Arsiero auf den Kriegschauplatz ab. Er wohnte ständig in der Regensburgerhütte in eine Höhe von 2100 m, zwischen hohen, kahlen Bergen und Berghängen, in denen der weiße Schnee glänzte.

Auf diesem Frontabschnitt war es seine Aufgabe die Truppen zu ihren Stellungen zu führen oder von diesen zurück über die Berge und Thäler, immer die günstigsten Wege wählend und die Truppen vor Lawinen sichernd. Nicht selten legte er 30 – 40 km täglich zurück. Das Skielaufen war für ihn nicht sehr anstrengend und bald gewöhnte er sich auch auf die empfindliche, niedrige Temperatur, die gewöhnlich - 12 bis - 15° R. betrug. Obwohl seine Augen schwach waren, schreibt er am 3. III. 1917 seinem Vater, offenbar, um die Mutter, die für ihn fürchtete, zu beruhigen, dass er sich nicht beklagen dürfte, denn die Gesundheit sei schon an und für sich ein großes Geschenk Gottes.

Inzwischen hat er als Leutnant auch der »Gaskurs« in Wien absolviert, zu welchem Zwecke er dort vom 3. – 17. April 1918 weilte und zum »Gasschutzoffizier« ernannt wurde.

In Asiago versah er auch den gefährlichen Beobachtungsdienst. Außer kurzen Urlauben, jedes halbe Jahr zehn Tage, verlebte er die ganze Zeit bis zum Kriegsende an der italienischen Front.

Die Zeit der großen Offensive, arch Jahre in der Natur, war ihr gehorsam, kämpfte mit ihr und immer sah er in ihr ein Werk Gottes. Die nachfolgenden Auszüge aus seinem Tagebuch werden uns auch zeigen, wie er die Natur schön zu beschreiben verstand und sein Verhältnis zu ihr.

Graz, 18. III. 1916

»Oh, wie schön war heute der Morgenhimmel, so durchsichtig, verziert mit Schafwölkchen, dass der Mensch sich freuen muss zusammen mit dem Gesange der Vögel. Aber nun heißt es auch an seine Seele denken. Wir haben so viele Übungen, dass man nicht dazu kommt sich mit irgendeiner geistigen Arbeit zu beschäftigen. Von morgen an will ich aber doch wenigstens einen kleinen Versuch machen: welches zu lesen und die Kultur der Seele fortzusetzen; wieder zu streben nach der Versetzung in jene schöne Welt der Nacht. Gerade das habe ich jetzt am nötigsten«.

Graz, 29. III. 1916

»Oben am Schloßberg erschien es mir, als wäre ich Guliver. Man hat von oben aus das Gefühl, dass die dreistöckigen Häuser niedliche kleine Häuschen sind, und die Tramway kriecht als wäre ein Spielzeug und die Menschen sind wunderliche Würmer. Würde ich mit einem Fuße auf so ein Häuschen treten, ich könnte es zerquetschen. Wie winzig sind diese Menschen dort unten und sieht man auf sie von oben, erscheint es einem geradezu lächerlich, wenn man bedeckt, dass sie sich untereinander bekriegen, dass einer der anderen zur Verantwortung zieht, dass sie hochnäsig die Nase ziehen u.s.w. Oh, du kleinliches Menschengeschlecht! In die Berge müsstest du gehen, dort ist Leben, dort erst befreit sich der Mensch von Kote der Ebene!«

 Wind. Feistritz, 6. IV. 1916

»Wenn ich nicht zu müde bin, genieße ich in der Natur. Oh, wie ist sie schön. Die Kirschen blühen, weiß sind ihre Blüten und herrlich. Und es kommt mir der Gedanke, wie viel wir von ihnen lernen könnten. Diese Kunst darf nicht ohne praktischen Wert sein. Die Kirsche nährt und sie ist in allen ihren Stadien der Entwicklung so schön, geradezu prachtvoll. So auch die Kunst. Auch sie muss ihren Zweck haben, wie der Genuss der Schönheit, Harmonie und anderes. Weiters kann sie die Dienerin der Religion sein in weitem Sinne des Wortes. Und »l'art pour l'art« – die Natur sagt es selbst – ist eine Dummheit. Was ist in der Natur schön, aber ohne Zweck? Und umgekehrt?«

 Wind. Feistritz, 17. VI. 1916

»Erst heute kann ich so recht erfassen, wo ich bin. Ein steierisches Dorf in grüner Flur. Im Osten und Westen hohe Berge und Weingärten, im Norden Hügel, die sich in der Ferne verlieren. Die ganze Natur ist mit Kirchen geziert. Heute ging ich auf ein paar Minuten zur Zeit der Vesper allein hinaus in die Felder. In der Natur feierliche Milde, und die Grillen zirpten und zeitweise von einer Flöte begleitend, aufkrächtzte ein Frosch aus dem Teiche des Sumpfes. Die Wolken waren auseinandergezogen, grau, im Westen ins gelbliche übergehend. Im Norden konnte man in den Wolken eine wässerige rote Farbe unterscheiden. Die deutsche und slowenische Kirche, als stünden sie sich gegenüber, von links erhoben sich stellenweise aus dem Grün Mauern und von rechts konnte man deutlich ein modernes Gebäude – die Sparkasse und das Gerichtsgebäude sehen. Weiter oben ragen zwei Turme einer Kirche zur Höhe.

Als ich mich in der Seele zu sammeln und diese Stelle zu begreifen wünschte, die Farben und das große Unbekannte, da läutete es zum Angelus, zuerst von der slowenischen Kirche, worauf auch die anderen zu läuten begannen, so als wollten sie mich in die Höhe reißen; wenig zuvor habe ich in der Seele diese geistige Welt gesucht und als ob alles früher wie auf einer Bühne mir erschien, jetzt in diesem Augenblich fühlte ich, dass das alles Ernst sei und dass die unsichtbare Welt zur Wirklichkeit wurde«.

Seewiesen, 23. XI. 1916

»Sollten diese – modernen Menschen – nicht wissen, dass ein Weltall besteht, so groß und herrlich, und dass Er es ist, der es ersonnen, der größer ist als dies alles… ja, dass sie sterben werden, vergehen mit all ihrer »Liebeleien« und…«

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Ich liebe die gegenwärtige Generation, denn sie hat gelitten und eingesehen, dass das Leben eine ernste Sache sei und kein Spielzeug, und dass Leben kämpfen heißt. Ja, ich liebe unsere Soldaten, denn sie haben das Leben durchkostet. Diese neue Generation ist tief; nicht mehr so instiktiv handelnd; Kunst und Wissenschaft erhalten tiefere Nahrung. Das Weltall ist keine Maschine mehr, die sich zwecklos bewegt und der Mensch kein Produkt des Zufalls, nein, alles hat seinen Sinn; alles ist geordnet und genau berechnet. Der Mensch durchschreitet die Natur, dieses »offene Wunder«, wie Carlyle sagt, und bewundert dieses Weltall, das ihn umgibt und eine heilige Furcht umfängt ihn vor diesen großen, erhabenen Werken, er fällt nieder und betet demütig. Diese Demut – eine mystische Blume – ist die Frucht dieses Krieges; der Mensch ist sich seiner Schwäche bewusst, bewusst dessen, dass er jederzeit verunglücken kann«.

Wohl waren solche Gefühle nicht bei allen Soldaten gleich, aber Hans beschreibt seine Erlebnisse und sich selbst.

Zingarella, 15. IV. 1917

»Draußen Schnee und Regen. Ich verliere das Gefühl für die Natur, seit ich mit ihr kämpfen muss«.

Zingarella, 26. IV. 1917

»Wenn der Mensch in Lebensgefahr schwebt, dann betrachtet er die ganze Natur nur von einem Standpunkte, ob dieser oder jener Teil die Gefahr erhöht oder vermindert. Erst wenn er sie ls das österreichische Militär bis an die Piave vordrang, lebten seine Eltern in der größten Angst und Sorge, denn volle sechs Wochen hatten sie keine Nachricht von Hans erhalten, obwohl er ihnen sonst ständig Karten schickte; aber die Post von der Front ging zu dieser Zeit nur per Flugzeug oder mit den Verwundeten, welche sie in das Hinterland trugen, dies aber auch nur unter großen Schwierigkeiten. Außerdem trat Schneeschmelz ein und Hans konnte in diesem Frontabschnitte als Skiführer keine Verwendung finden, weshalb er, da er unsere Sprachen sprach, zum Postoffizier ernannt wurde. Später bestimmte man ihn zum Bataillonsadjutanten und so machte er die weiteren Offensiven mit bis sie nicht plötzlich zum Stillstand kamen. Auch beim Militär macht sich der Vorfall bemerkbar und das herannahende Ende des Krieges. Gerade vor dem Umsturz erhielt Hans wegen Diphterie Urlaub und er ging nach Banjaluka. Zusehend magerte er ab und verlor 12 kg an Körpergewicht.

Über die militärischen Mühseligkeiten beschwert er sich niemals, nur bedauerte er zu wenig Zeit zum Lesen zu haben und zu wenig geistige Anregungen zu finden. Ja selbst die Natur musste er zuallererst vom militärischen Gesichtspunkte betrachten, weshalb er sie nicht so genießen könnte wie das einstens.

In dieser Zeit verschaffte er sich die Ausgabe der »Sozialen Studentenarbeit« von Dr. Sonnenschein, welche er auch seinem Vater empfiehlt. Er selbst interessierte sich am meisten für die schöne Literatur, aber hebt hervor, dass hiervon jene Ausgaben die besten sind, welche von Vereinigungen und sozialen Wissenschaften handeln. Schon damals betonte er die Idee von der Erneuerung der menschlichen Gesellschaft auf allen Gebieten.

Zur Zeit des Umsturzes entstand eine schwierige Situation im Kohlenwerk Maslovare in Bosnien, in der Nähe von Banjaluka. Dort meuterten die Arbeiter teilweise auch deshalb, weil sie keine Nahrung und Bekleidung erhielten. Sie bedrohten das Leben und die Sicherheit ihrer Vorgesetzten und es bestand auch die Gefahr, dass die Eisenbahn ohne Kohle bleibe, die sie gerade aus dem Bergwerk Maslovare bezog.

Nachdem Hans sich schon am 1. November 1918 als Leutnant, wie viele andere, dem Nationalrat zur Verfügung stellte und in den Dienst der Nationalwehr eintrat, ernannte ihn Gendarmeriekommando des Nationalrats mit Verordnung Nro. 3838 vom 4. November 1918 zum militärischen Kommandanten des Kohlenwerkes Maslovare und befahl ihm, je früher dorthin abzugehen und anzustreben die normale Tätigkeit im Bergwerk unbedingt aufrechtzuerhalten. Es war dieses keine kleine Aufgabe aber Hans löste sie. Vom Standpunkt ausgehend, nicht Gewalt gegen die Unzufriedenen anzuwenden, sondern zuerst ihren gerechten Forderungen nachzukommen, hat er aus dem Militärmagazin den Arbeitern, welchen es an vielen mangelte, vorerst Schuhe, Strohsäcke, Lebensmittel und Tabak gebracht. Die Arbeiter gewannen ihn gleich sehr lieb und nehmen in aller Ruhe die Arbeit wieder auf; zu Weihnachten schickten sie ihm einen Christbaum, obwohl damals, der ungeordneten Verhältnisse wegen, das Fällen der Tannenbäume im Walde strenge verboten war und daher nur wenige Familien einen Christbaum in Hause aufzustellen vermochten.

Der Krieg hat endlich aufgehört. Obwohl die Verhältnisse noch bei weitem nicht geordnet waren, hat Hans doch begonnen ernst darüber nachzudenken, wie er wieder sein Universitätsstudium fortsetzen könnte. Er bat den Vorsitzenden des Nationalrats, den serbischen Geistlichen Kostić, ihm die Erlaubung zur Fortsetzung seiner Studien zu erteilen und ihn der Verpflichtungen eines Militärkommandanten in Maslovare, die etwas 6 – 8 Wochen dauerten, zu entheben. Als ihm diese Bewilligung auch tatsächlich erteilt wurde, machte sich Hans wieder auf den Weg nach Wien auf die Universität.

Umgeben von der schrecklichen Tragik des Krieges, täglich dem Tode in die Augen schauend, ausugesetzt den Gefahren fürs Leben, Leiden und Überwindungen aller Art, hat Hans an der Front seinen Glauben gestärkt und vertieft. Später meinten einige, dass Hans, wie wir ihn gekannt haben, in Paris zur Reife gedieh. Das ist nicht richtig. Er war in Paris in der Hauptsache schon so, wie er es in Zagreb war. Ihn hat, so wie er war, an der Front die besondere Gnade Gottes geformt. Am 23. VIII. 1917 schreibt Hans seinem Vater:

»Ich bin Gott dankbar, dass ich am Kriege teilgenommen habe, denn der Krieg hat mich vieles gelehrt, was ich ansonsten niemals erkannt hätte. Ich wünsche lebhaft wieder frei zu werden, um mein Leben nach jenem einzurichten, was ich als recht erkannt habe«.

Ivans Kriegstagebuch

Viele Kriegstagebücher haben die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, so namentlich Barbusse »Le feu« und, später Remarque »Im Westen nichts Neues«. Ivans Tagebuch, das er an der Front geführt, steht, was die künstlerisch-schöpferische Kraft und die realistische Schilderung dessen, das er erlebt hat, keinem dieser Werke nach. Aber was diesen Werken mangelt finden wir bei Ivan. Bei ihm finden wir, auch an der Front nicht eine Teilung der Menschen nach Klassen, wie bei Barbusse, sondern nach ihrer Weltanschauung, die in die Praxis überführt ist. Das darf nicht so verstanden werden, als hätte Ivan seine Augen nur auf die äußere Welt gerichtet gehabt und diese beurteilt: Ivans hat offene Augen für alles, was um ihn geschieht und in ihm selbst und er beurteilt alles vom christozentrischen Gesichtspunkte aus, alles und am meisten wohl sich selbst. Hier haben wir die offene Psyche eines katholischen Kriegsteilnehmers eines Kämpfers, der nicht tötet, sondern der Gott bettet, dass er ihn vor Tötungen bewahre, der aber an der Front physisch und seelisch leidet, der hungert, friert, voller Läuse ist, der sozusagen in ununterbrochener Todesgefahr schwebt – aber trotzalledem stets mit Gott vereint bleibt. Deshalb entschloss ich mich, Ivans Leben an der Front gerade wie in Wiener Neustadt, mit seinen eigenen Worten zu schildern. Nachdem dieses aber allein ein umfangreiches Buch bilden würde, wenn ich das ganze Kriegstagebuch in Druck legen ließe, habe ich es günstiger befunden, gegenwärtig nur einige Abschnitte drucken zu lassen, gegliedert nach einem bestimmten System, damit sich der Leser leichter zurechtfinden könne und jene Umgebung und die Art seines Lebens erkennen können, aber der Reihe nach, wie diese Abschnitte im Tagbuch folgen.

Seine Militärische Umgebung und die Art seines Lebens

Graz, 7. III. 1916

»Lebring ist ein Ort in dem die Baracken regelmäßig gruppiert sind, gelbes Wasser und Kot. Schrecklich für die Soldaten. Die Umgebung ist recht schön. Die Leibesübungen tun mir wohl. Einzelne Typen sind köstlich. Irgendeiner hagerer Langer, mit scharfen doch unsympatischen Zügen, erzählt immer von seiner spanischen Abstammung und führt den Gil Blas an. Dann ein kleiner, plumper Professor, der ungeschickter als Ungeschicklichkeit selbst ist. Ansonsten eine Welt ohne seelische Bedürfnis und Liberale. Graz ist eine Stadt für sich, deutschen, ziemlichbesiegt, dann erst kann er die Natur in ihrer ganzen Erhabenheit betrachten und sich kulturell entwickeln. Diese Idee ist die psychologische Basis für das Verständnis der Kultur. Solange der Mensch in Höhlen wohnte und um seine Existenz kämpfte, konnte er in diesen Zeiten ewiger Gefahr die Natur und das Leben eigentlich gar nicht erfassen. Die geistige Kultur konnte sich damals nicht entwickeln, wie in den Zeiten, da die Lebensbedürfnisse ohne große Anstrengung ganz von selbst befriedigt werden konnten. Will sich ein Volk kulturell entwickeln, so muss er materiell selbständig sein. Das Mysterium crucis, welches der Ursprung des Lebens und Fortschrittes ist, schließe ich in diese These ein. Nicht nur das Crux materialis, auch spiritualis (die hl. Jungfrau Maria) muss es geben!«

Zingarella, 4. VI. 1917

»Ich sah vom Monte Kuka auf Roan. Im Tal sieht man die Stadt mit der Kirche. Die Kirche, mein Gott, der Höhepunkt und das Zentrum der Kultur und der ganzen Menschheit. Wie bewundere ich die Menschheit, welche Städte baut und dieses Menschenwerk mit der Idee Gottes vereinigt, gleich dem Bilde Christi. Dort hinunter zieht mich mein Herz; nach Menschen und nach Arbeit geht mein Wunsch, nach der Kolorit verschiedener Sprachen und der Kunst; nach Farben und Buntheit, nach den verschiedenartigsten Mönchsorden, welche unter den Menschen wirken, und in der Kirche, dem lebendigen Leibe Christi. Und die leere Stadt steht da unten; die Kirche, das Symbol der Religion, steht dort gleich einem Memento den Geschlechtern. Und von oben hageln die Geschossgeller und unsere Soldatn schauen traurig dahin. Alle sind sie gegen den Krieg, aber keiner hat die Kraft, sich zu wiedersetzen und den normalen Zustand in der Natur zu schaffen – die Eintracht«.

Zingarella, 17. VI. 1917

»In einer Zwiesprache mit F. – einem Atheisten – drängte sich mir der Gedanke auf: »in was für einer Abhängigkeit steht die Tierwelt gegenüber Gott und wie kommt es, dass ein Tier das andere tötet. Wir in uns empfinden tatsächlich ein Bedauern, wenn wir ein Tier töten, denn es leidet dabei. Aber wir sind von Natur aus gezwungen ein fremdes Leben zu vernichten, wenn wir das unsere erhalten wollten. So ist es in der ganzen Natur. Beim Menschen verstehe ich das Mysterium crucis, aber was verschuldeten die Tiere, dass auch sie leiden?«

Der gute Geist, der Hans leitete, hat ihn auch den Kern der Antwort eingegeben: »Hat vielleicht Adam, von Gott sich losreißend, die ganze Natur mit ins Unglück gestürzt? Christus - der zweite Adam – indem er den Menschen rettet, rettet auch den ganzen Kosmos… durch die Erlösung der Menschen erreicht auch der Schmerz der Natur ihren Zweck«.

Incin, 25. XII. 1917

»Es sind die ersten Weihnachten, die ich in der Fremde verlebe. In der Natur lag gestern jene Stimmung, die für den hl. Abend so karakteristisch ist. Der Himmel war mit einem Dunstschleier bedeckt, welcher mit seinem trüberischen Glanz – vom Monde beleuchtet – seine Reflexe auf die Berge warf, die zum Teile mit Schnee bedeckt waren. Auf dem gegenüberliegenden Hügel gegen Cismone hin, flakerten die Lagerfeuer«.

Col alte bei Belluno, 23. VIII. 1918

»Oh, wie schön ist es hier! Den ersten Tag konnte ich mich kaum fassen duftende Blumen am Tisch, in den verschiedenen Farben prangend, der Glanz des Tages und die frische Sommernatur, es schien mir alles wie ein Traum. Oder habe ich einen grässlichen, finsteren Traum geträumt von irgendeinem Leben in dunkler, feuchter Kaverne, von einer steinernen Natur, die von keiner Sonne beschienen ist, wohin der Segen Gottes – die Blumen – nicht gelangen können; als wäre oben nur die Wohnstätte kalter Gespenster, die sich dort herumtreiben übermütig heulend? Dieser hässlicher Traum ist vorüber und ich danke Gott, dass meinen Eltrern nach langen und schweren Leiden meinetwegen, ein Stein vom Herzen fallen wird«.

Maslovare, 18. XII. 1918

»Christus kam auf die Welt, um seiner Schöpfung die Weihe zu verleihen…«

Kunst, Leben und Religion

Hans hat an der Front in seiner freien Zeit viel gelesen. Der Einfluss dieser Lektüre macht sich auch in seinem Tagbuch bemerkbar. Aber er liest immer sehr kritisierend und er überwacht sein Urteil und den Einfluss der Bücher auf den eigenen Gedankengang und auf das Leben. Noch beim Abgang von der Militärakademie war ihm der Faust eine Art Ideal. Und zwei Jahre später, am 17. VII. 1916, sagt er, auf Goethes Verse weisend:

»Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie, studiert mit heißem Bemühe.

– Da steh' ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor«. –

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Lieber Faust, du hättest auch noch mehr studieren können und würdest auf diesem Wege doch nicht zum »Samen gelangen, welcher alles erhält«. Faustens Arbeit ist nur die Arbeit des Gehirns, welche ganz von selbst schließlich doch zur Gotteserkenntnis führen muss, aber das ist mehr »graue Theorie«. Goethe hätte seinen Faust an die Front schicken sollen, er würde sicherlich mit einer tieferen Lebensanschauung rückgekehrt sein. Es ist leicht mit Hilfe eines Giftes aus einer altertümlichen Fiole zu sterben; aber körperliche Leiden zu ertragen und einzusehen, dass Krieg und Qual die Grundfarbe der Geschichte und des Fortschrittes sind, dass der Schmerz Millionen Menschen auf die Füße gestellt und Throne gestürzt hat, dass der Schmerz der Menschheit christlichen Grundgedanken des Lebens bildet und eine Divinna Commedia geboren hat, dies hätte der weise Faustus einsehen müssen.«

Hans beginnt also immer unzufriedener mit Faust zu werden, inhaltlich, aber auch formell:

Monte Rasta, 17. IX. 1917

»… et contristatur anima mea nonnunquam usque ad lacrimas, quandoque etiam conturbatur, de se usque propter imminentes passiones«. (Im. Chr. III. 50.) Jörgensen sagt, dass der Dichter in solchen Augenblicken die Feder wegwirft und der Maler seine Zeichnung zerreißt. Das sind jene schrecklichen Augenblicke, in denen der Mensch nicht begreift, wozu er lebt, da er nicht begreift, wozu all die Mühen. Wozu soll die Kunst, der Beruf, all das, was ihm so lieb ist, dienen? Ob es wirklich wert sei, dass der Mensch studiert, dass er sich mit Literatur beschäftigt, wenn es etwas anderes gibt, was vielleicht wertvoller sei. Schrecklich sind die Augenblicke, in denen der Mensch die Verbindung mit dem Kosmos verliert, wenn seine Arbeit dem verirrten Wanderer in der Wüste ähnlich ist, der sich müht und quält und nicht weiß in welcher Verbindung es sei mit den Bestrebungen der gesammten Gesellschaft. Schreckliche Zeiten sind es, wenn sich der hl. Geist irgendwohin zurückzieht und das Innere von Finsternis beherrscht wird. Das sind jene Augenbllicke, in welchen Faust und die moderne Gesellschaft verzweifelt, denn sie verloren die Verbindung mit der Urquelle. Es ist natürlich, dass Philosophie, Recht, Medizin und Theologie nicht Selbstzweck sein können, wenn sie nicht zur Wahrheit führen. Und auch das »Leben« (Faust!), derart instinktiv, ist gleichfalls erfolglose Mühe. Deshalb nähert sich Faust schließlich der Wahrheit zu, gute Werke tuend, als praktischer Mensch.

Man wirft Goethe vor, dass Faust einen praktischen Beruf gewählt und in der Kunst keine Befriedigung gefunden hat. Psychologisch wäre dies unverständlich. Goethe hat den Begriff Gott nicht erfasst, er war eine Art Pantheist. Als solcher konnte er sich mit der Wissenschaft nicht zufrieden geben, denn, in welchem logischen Zusammenhang steht sie mit dem Pantheos? Oder, mit anderen Worten: was ist da letzte »warum« in Bezug auf die Wissenschaft? Dieses kann der Pantheist nicht beantworten. Soll er die Natur imitieren, sie verachten oder kürzen?! Aber das ist nocht nicht das letzte »warum«, denn, wie auch Faust selbst erklärt, das allein kann nicht Selbstzweck sein. Ebenso verhält es sich mit der Kunst. Kann die Kunst vielleicht Selbstzweck sein, wird ein konsequenter Maler nicht den Pinsel wegwerfen, sich fragend, wozu dieses Bild, warum will er irgendwelche Ideen darstellen, vielleicht aus seinem Innenleben haraus. Er kann dies nicht allein deshalb tun, weil es ihm behagt. Und schließlich auch dieses Selbstgenießen hört auf. Faust konnte daher logisch kein Künstler werden, wenn auch seine Natur eine künstlerische war, denn Goethe ist nicht zu Gott gelangt. Unter diesen Verhältnissen fand Faust Befriedigung in der praktischen Arbeit, in guten Werken. Diese Begriffserscheinung führt zu Gott, aber sie ist instinktiv, ähnlich dem Muttergefühle. Mütter, welche nicht glauben, welche sogar bösartig sind, vermögen doch ihre Kinder zu lieben. Ebenso edle Menschen – ohne Berücksichtigung ihrer Anschauungen – können relativ mehr Zufriedenheit finden als Künstler. Denn hier ist der Erfolg zu sehen, der erreicht wird.

Eine absolute Zufriedenheit liegt nur in Gott und wäre Goethe sich noch mehr erwärmend zu Gott gelangt, dann hätte Faust die Kunst beglückt. Erst dann hätte sie den richtigen Wert erhalten; erst dann hätte Faust verstanden, wozu Philosophie, Recht und die Kunst dienen: ad maximan dei gloriam. Wäre Faust ein Benediktiner geworden, welche die hieratische Kunst pflegen, oder wäre er schließlich ein tief religiöser Künstler geworden oder ein sogenannter Kunstliebhaber, der in der Welt wirkt und in der Kunst genießt, welche eine Art Vorhof zum Himmel ist, wo alles außerordentlich schön ist, dann wäre erst der III. Teil des Faust die richtige Lösung, welche den Menschen auch literarisch zufrieden stellen würde«.

Als Hans aus dem Theater heimkehrte, wo er in Wien, der Vorstellung von Ibsens Hedda Gabler beiwohnte, schreibt er:

Wien, 9. IV. 1918

»Ein unvernünftiger Zuschauer oder irgendeine Dame der Gesellschaft würde, diesem Drama beiwohnend, sagen, dass Selbstmord nicht böses, dass er jener große Zug sei an Heddas Charakter und dass auch sie sich ohne Gewissensbisse töten wird, käme sie in irgendeine heikle Situation. Der Selbstmord ist nur an sich ein Übel, die Frucht einer – hier – verheimlichten und unbekannten Sünde«.

Hans hat für immer mit der »formalen Poesie« abgerechnet. Er sucht in erster Linie den Inhalt großer Ideen und menschlicher Bestrebungen.

Wind. Feistritz, 12. VI. 1916

»Ich muss mich ein wenig mit dem Leben befassen, denn das Leben ist mehr als Poesie. Zu diesem Resultate gelangte ich Chamberlains »Grundlagen des XIX. Jahrhunderts« lesend. Wenn dieser Autor auch nicht gründlich ist, hat er doch irgendeine Idee, die etwas außerordentliches ist. Er sagt, die Geschichte werde durch Persönlichkeiten vorgestellt, die die Kraft besessen hätten, sich aus ihrem Milieu und dessen Vorurteilen herauszugraben und eine größere Ethik zu bilden. Es ist dies zweifellos übertrieben, aber dieser ihr heroischer Kampf gegen den Leib und die falsche Ethik der Jahrhunderte und Gesetze hat tausende Menschen erobert, hat den Jahrhunderten ein Beispiel gegeben, den Jahrhunderten, welche gleichfalls nach einem großen und schweren geistigen Leben strebten, das der Poesie Leben gibt, wie beispielsweise die Heiligen. Wir wollen keine formale Poesie, die nur die Schönheit der Farben sieht und alle Harmonie; die Poesie muss durch die Retorte eines großen Lebens hindurchgehen, welches dieses alles in Harmonie zu legen verstehen und es auf jenen Punkt bringen muss. Wo man fragt »was«, »woher«? Beim Lesen von Maeterlincks »Blauer Vogel«, bedauerte ich die große Mühe dieser Leute, die aufrichtig irgendwo in der Ferne die Wahrheit suchen und nicht um sich selbst schauen, - sie sehen das Christentum nicht… Ein christlicher Künstler könnte ein solches Werk niemals schaffen, weil sich ihm die Anschauung über das Leben fertig darbietet, seine Aufgabe besteht lediglich darin deren Größe aufzudecken, sich darin zu vertiefen und sie auszubauen. Wenn der moderne Künstler diesen Kampf allseitig durchleben würde, er müsste zum Resultate kommen, dass die »Gottesliebe«, der blaue Vogel ist. Dieser Künstler müsste konvertieren und sein Kunstwerk würde der Struktur nach, ähnlich sein dem Werke Maeterlincks. Es wäre dies ein Kunstwerk in vollem Sinn des Wortes«.

Die Erkenntnis, dass das »Leben mehr sei als die Poesie«, dominiert von neu an in Hans Seele. Beim Lesen von Knut Hamsuns »Hunger«, bemerkt er:

Banjaluka, 20. IX. 1916

»Ja, das Leben ist mehr als alle Bücher… Man muss damit rechnen, dass es nicht viele reine Leser gibt… Das Weib ist nicht allein der Liebe wegen auf der Welt, auch sie ist – animal religiosum. Man braucht nur an die Seelengröße der Nonnen und ihre große Wirksamkeit zu denken«.

 Der furchtbare Ernst des Lebens an der Front hat in Hans Seele zuerst die Kunst auf eine reale Grundlage gestellt und sie dem Leben untergeordnet und sie dann umgebildet und zur Dienerin des Glaubens und der Kirche gemacht. Religion und Glaubensleben treten immer mehr auf die erste Stelle in Hans Seele, aber immer noch irgendwie an sein künstlicheres Gefühl gebunden.

Seewiesen, 26. XI. 1916

»Gestern stürzte einer der Leute ab und blieb tot. Heute empfing die hl. Kommunion und kam zur Überzeugung, dass die ganze Historie mit Blut geschrieben ist; dass alle Kulturwerke Produkte des Leidens und Schmerzens sind. Der Schmerz hat den Menschen vor der Lässigkeit gerettet; er goss ihm immer Angst ein vor unbekannten noch größeren Leiden. Wer die Kultur verstehen will, hat leiden müssen, nicht nur seelisch, auch körperlich. Schwer, grässlich! Die Herren Theoretiker, die in warmer Stube sitzen, können über alles spotten und Gott verneinen, aber mögen sie doch ins Leben treten und körperlichen und seelischen Leiden ausgesetzt sein, dann sollen sie sagen ob es dumm sei in der kalten Kirche zu stehen und den »Hokuspokus« einer stillen Messe zu betrachten. Und doch steht man geduldig da und sieht ein, dass der Schmerz notwendig sei, und dass er wahrlich ein Mitbezug auf Christus nichts sei, welcher uns gezeigt hat, dass es Mitbezug auf die Ewigkeit tatsächlich nichts sei«.

Wind. Feistritz, 19. VII. 1916

»Ringsum alles still und stumm. Auch ich bin jetzt ruhig. Lange und lange konnte ich beten, mit Schmerz in der Seele, nur damit Er da oben mir aus dem Herzen alles reißt, was mich mit der Zeitlichkeit verbindet, den ganzen brutalen Egoismus, der immer nur an sich denkt. Oh, ihr arme Menschen, die nichts einsam sein können. Im Wirbel des Lebens klebt sich der Mensch des Irdischen an und unbemerkt beginnt der Mensch im zeitlichen zu leben. Es ist schwer reich zu sein; denn es ist dann Pflicht dem anderen davon zu geben, doch nicht dieses allein; wir müssen uns auch freuen, wenn wir geben, selbst wenn der andere unverschämt sein sollte… deberes te subiicera omnibus. Und dann: ich gebe, aber im Inneren besteht noch jener Egoismus, der bedauert, der sich über jenen ärgert, der verlangte u.s. w. Wirklich grässlich! Der ganze geistige Bau fällt in sich zusammen, stürzt und staubt…

Ja, das Leben ist mehr als Kunst und Literatur, es ist für uns das einzig Große, der Ursprung von Allem. Wie bin ich glücklich, wenn ich aus diesen kleinen Alltagssorgen herausschwimmen und dem Gedanken an die herrliche Einrichtung des Makrokosmos und Mikrokosmos genießen kann. Es scheint als schwebte die Erde in der Luft, sich bewegend in die Fernen der stolzen Welten; alles lebt und gährt. Dann hier, die kleinen Leute, die arbeiten (gegenwärtig mähen sie und binden Garben) und die Heuschrecken wetteifern um die Felder. Alles bewegt sich, breitet sich aus, gährt – überall ist Leben, und ich in dieser Sommernatur voller Früchte, ärgere mich wie in alter Philister über jene, die vielleicht um neue Krone betteln oder aus Übermut lärmen. Oh Gott, Gott, reiße dies alles aus mir heraus, mache aus mir einen Menschen, und nicht einen Frosch, der immer nur in diesem Kote krächt. Wenn ich bedenke, daß dieses Leben nur ein Schatten ist, eine reale Hypothese und nichts mehr, dann wundere ich mich über mich selbst am meisten.

Wenn ich mich am Abend niederlege und mich in dieses Graue, Dunkle vertiefe, schient es mir als wäre in mir alles leer und ich versuche immer tiefer zu dringen und überall zu suchen. Aber ich kann nichts finden. Alles ist unbestimmt, und ich weiß selbst nicht wie, da erscheint gedankenlos der starke Wunsch nach dem Brote, nach der kleinen Hostie. Dann weiß ich nichts weiter, die ganze Vernunft schläft und mein Mund und mein Inneres verlangt nach der Hostie, verlangt nach der Verbindung mit ihr. Aber wahrlich, die ganze Größe dieses Verlangens kann ich nichts fühlen. Bald habe ich Prüfungen abzulegen, damit sehe ich immer wieder, wie weit ich noch habe zur Vollkommenheit! Immer bin ich bestrebt Herr zu sein über die Situation um mich her; ich habe den Wunsch Menschen so kennen zu lernen und ihre Tätigkeit so zu beobachten als würde mich das nichts angehen, aber manchmal beschlicht mich so eine kleine Angst, die Angst vor der bevorstehenden Prüfung. Oh, welche Schmächtigkeit, wenn ich bedenke, wie viel Generationen gestorben sind, ohne dass man sie kennt und mich ergreift Schauder. Schmutz, eckliger Schmutz klebt noch an mir. Noch viel Arbeit werde ich haben, bis ich ihn abwasche. Ja, so bin ich ein immer, wenn ich bedenke, dass der Tod kommen und dieses Leib zerfallen wird und alles, was ich unbewusst empfinde, dass dieses Dunkel, Seelische, das ich kaum fühle, ungeheuer groß wird, voll Licht und Perspektiven und den ganzen Raum einnehmen wird«.

Mürzzuschlag, 15. VIII. 1916

»Schmerz, Leid und Qual. Entweder bin ich krank oder es ist wieder der Mangel an Gesellschaft, dass ich nicht vom Herzen lachen kann. Oh, wie wäre ich glücklich, könnte ich den kleinen Kindern gleich, weinen, oder heiter sein und mich für irgendwelche Jugendideale begeistern. Immer quält mich das Problem des Lebens; es eckelt mich hineinzugehen und trotz aller Mühseeligkeit wünsche ich ewig in der Religion Genuss zu finden, aber es geht nicht. Ich stand frühzeitig auf, ging zur hl. Kommunion und bestrebte mich in dieses Mysterium mich zu vertiefen. Es schien mir, als wäre ich ziemlich tief in mich selbst und in jene Welt eingedrungen. Nein, nicht alles habe ich gesehen, aber ich glaubte wie in einem Rebel jene Gesetze zu fühlen, jenes Etwas, das alles bewegt und dahinter die Madonna mit dem Kinde und dann noch Jene noch größere, das alles vereinigt, was ich gefühlt, vereinigt in der Hostie. Aber das sind nur Augenblicke, und die Überzeugung, dass ich in irgendeinem Kloster volle Befriedigung finden könnte, hat sich nicht bewahrheitet. Unruhe treibt mich nach dem allen umher; ich fühle einfach, dass es etwas geben müsste, das mich zufriedenstellen müsste. Ich sehe meine Schwäche ein, meine Abhängigkeit. Ich wundere mich, wie ich dereinst für die Kunst begeistert sein konnte und für ähnliches. Als wäre dies nur eine Selbsttäuschung gewesen. Das Leben ist mehr als alles und ich kenne das Leben nicht und finde das Glück nicht des Lebens«.

Zingarella, 20. IV. 1917

»Das sind jene, die das Wort hören, aber die Sorgen dieser Welt und der nichtige Reichtum und die anderen Leidenschaften, die sie ergreifen, ersticken das Wort, dass es ohne Frucht bliebt« (Mark. 4, 18. 19.).

Diese Worte sind am besten auf mich anwendbar. Einerseits war es die Begeisterung für die Kunst, der ich seinerzeit und auch teilweise heute noch, das ganze religiöse Leben geopfert habe. Gerade das religiöse Leben sollte die Grundlage des Lebens bilden und das Übrige sollte nur wie ein Kleid den Körper umgeben. Aber ich stecke zu tief in dieser Welt und bedenke nicht, dass wir advenae et peregrini sind und ich lese auch bis zur Übertriebenheit. Ich will von morgen an bestrebt sein, meiner Mannschaft helfen das Kreuz zu tragen«.

All diese Erkenntnisse und Erlebnisse wollte Hans in Form eines Romans beschreiben:

Campo, 25. III. 1918

»Als ich mit meinem Vater in Zagreb im Kafe Cosso saß und die Menschen hier beobachtete, die ohne Leiden leben, dachte ich: Siehe, der moderne und Kulturmensch hat sich ein bequemes Leben eingerichtet. Er erhob sich über den Körper damit, dass er auf die einfachste Weise alles zur Verfügung hat, was der Leib bedarf. Seiner Geistigkeit, der Sorge um leiblich-materiellen Bedürfnisse los, wird präzisiert und der moderne Mensch wird dadurch geistig stark hervorgehoben. Hierbei denke ich auch an Dorian Gray und an viele andere sensitive verfeinerte moderne Leute (bei Huysmans). In diesem Leben ist die wahre Berufung, dass sich die Seele befreit von der Sklaverei des Leibes… Da sitzen nun die Leute in Kaffeehaus. Indem sie die Zeitungen lesen, genügen sie ihrer Neugierde: sie töten die angeborene Langeweile. Alles außerhalb Gottes erzeugt Langweile und deshalb beseitigt sie der Mensch mit künstlichen Mitteln, mit Trinken, Zeitungen, Kinos, Korsos, Romanen. Wird es dunkel, ein kleiner Handgriff und es wird Licht; wird ihm die Kehle rauh, wie auf Flügeln eilt der Kellner herbei und bringt ihm Kaffee u. dgl.; wird es ihm langweilig, steht er auf, setzt sich in die Tramway und im Augenblicke ist er zu Hause.

Der kleinste Wunsch wird ihm erfüllt, so dass sein Geist, - unabhängig von den Bedürfnissen des Körpers – seine Wege gehen kann. Das ist ein Bild des Kaffeehauses. Es ist der erste Teil eines dreiteiligen Romans. Der zweite Teil: Nehmen wir an, ein solcher Mensch, ein junger Schüler, oder ein Richter oder sonst was ähnliches, der ein solches Leben führt, ginge in den Krieg. Welch' ein Kontrast? Früher wusste er kaum, dass er einen Körper besitze, und nun strömt der Regen, er steigt einen Berg hinan und bis auf die Knochen durchnächst schleppt er seinen Rucksack. Dieser zieht ihn zur Erde, die Schultern brennen ihn, durch die Schuhe stechen die Dornen, die Füße werden schwielig. Er marschiert mit der Truppe, bleibt stehen, setzt sich nieder, streckt sich auf dem harten Gestein aus und dann muss er seinen Leidensweg wieder weiter schreiten.

Er hat schon längere Zeit nichts gegessen. Die Leere des Magens verursacht Krämpfe. Schwach und ausgepumpt kann er sich kaum rühren. Er fühlt tatsächlich, dass er lebt, dass er einen Nacken hat, der wie gelähmt ist, brennende Schultern und Hände, die sich selbst zu schwer vorkommen: das Rückgrat schmerzt ihn, der Bauch zieht sich zusammen und die Füße versagen vor Müdigkeit fast die Bewegung. Die Haut ist ganz nass, es fließt unter den Kleidern. Uns so geht dieser Mensch, dem es früher vor der Musik, die ein Begräbnis begleitete, gegraut hat, an verstümmelten Leichen vorbei, er sieht die toten Köpfe, Körper, Füße, das vertrocknete Blut und fragt: wozu dies alles? Es wird geschossen und er sieht wie um ihn die Menschen fallen, jammern, stöhnen, wie das Blut fließt und die Körper davon rotgefärbt werden. Auch er wird diesen Weg gehen, wohin, wohin? Was ist das Leben? Nur der Tod ist real.

Was sind unsere Idee, Sehnsüchte, Idealen, Leidenschaften? Einzig der Tod ist wirklich. Und auch er wird hier liegen, tot, gelb, unbeweglich wie ein Stück Holz. Und weiter wird sich die Erde bewegen und die Sonne wird leuchten und die Menschen weiter leben, als ob dies alles nicht geschehen wäre, als ob er nie gelebt hätte. Wozu also lebte er, wenn alles unverändert bleibt? Ist dieses alles ohne Sinn, ein Zufall …? Nein, das kann nicht sein. Weshalb sollte er sich davor fürchten? Vor dem Tode vielleicht? Er ist nicht der einzige. Viele Tausende starben vor ihm, auch jetzt sterben sie und ihm ist es alles eins. Und warum sollte es ihm nicht gleich sein, wenn er stribt? Auch er ist nicht mehr als die anderen alle! Worin liegt denn aber der Sinn des Lebens? In diesem Leben liegt er sicherlich nicht… denn dieser hört mit dem Tode auf. Ob er wohl eine christliche Idee hat? Und die gleichen Silogismen anführend, gelangt er zum Christentum. Er überlebt den Krieg und kehrt nach Hause zurück. Der zweite Teil geht seinem Ende entgegen. Zu welchem Resultate ist er gelangt? Im Kaffeehause kann er einen Teil seines Lebens nicht verleben. Immer steht vor seinen Augen das Bild der Menschheit, die leidet und er kann hier nicht bequem leben, wo er weiß, dass soviele Menschen mangels an allem fühlen, dass sie einen Körper haben…Und welches Leben wäre das richtige? Im Einklange mit der Idee des ersten Teils, dass die Zeitlichkeit die Unabhängigkeit vom Körper verlange! Dieses Problem ist im ersten Teil gelöst, dem Menschen alles gebend was sein Körper braucht. Aber diese Idee ist nicht im Einklange mit der leidenden Menschheit im zweiten Teile. Es muss ein Kompromis gefunden werden. Nur die Askese kann diesen Wiederspruch praktisch lösen.

Mit der Askese wird der Mensch zum Herrn der Zeitlichkeit. Er verbraucht nur das allernotwendigste, lebt am bescheidensten, wie der ärmste Mensch. Dieses ist für das materielle Leben. Für das Seelische muss er die Evolution des Christentums entwickeln. Die Kollision in der Seele dieses Menschen muss er ad absurdum führen; dieser Mensch sah das Gute, dass die Askese zur Vollkommenheit führe, aber aus sich selbst vermag er nichts. Er verzweifelt – wohin, wohin? Er ist der Repräsentant der Menschheit, welche den Messias erwartet. Mit Betrachtungen, Anschauungen und Gedanken über die Geschichte gelangt er zum Zentrum des Universums, um welches sich die Menschheit in den Bereichen von Natur, All und über irdisches Leben – in konzentrischen Kreisen dreht – zur Hostie. Das Werk schließt mit der Johannesoffenbarung, ich weiß die Worte nicht mehr, und deren Sinn es ist, dass das Lamm (das Opfer) das Zentrum des Universums ist. In Roman spiegelt sich am besten das Leben. Diese Einleitung geht aus der Beobachtung des Lebens im jetzigen Kriege hervor.

Für seinen Roman wäre es notwenidg auch noch das Problem des Todes einzuflechten und die geistige Atmosphäre der heutigen Zeit wäre in die Hauptlinie ausgearbeitet. Dieses Leben findet Ausdruck in der Literatur. Aber bei den Deutschen ist davon keine Rede, bei uns noch weniger, denn die Jugoslaven sind zu sehr um ihre Existenz besorgt; sie kämpfen noch. Die Franzosen sind geistig am agilsten. Bourgets-Lazarina berührt bereits diese Probleme, und das Problem des Todes löst sie auf ähnliche Weise. Aber Bourget ist schon in einer Art Schablone verfallen. Er liefert Werke, die die Bekehrung zum Katholizismus beinhalten. Sein Spezies ist, im Leben jene Evolution zu studieren, welche zum Christentum führt. Er sucht viele Variationen, nach welchen sich die Personen bekehren. In der »Schuld« bekehrt sich ein Arzt, ich glaube, dass er die Schuld der Eltern büßt, in der »Lazarina« bekehrt das Gebet eines leicht sterbenden jungen Helden«.

Geistige Wiedergeburt

Das Leben an der Front, Blut, Tod und alle die Kriegsschrecken hoben Hans immer mehr zu Gott. Inmitten der Kriegsentsagungen wird das Gebet, Fasten, Beherrschung des Leibes, Stärkung des Willens und die heilige Kommunion seine einzige Sehnsucht.

Wind. Feistritz, 10.V.1916

»Vieles ist in dieser letzten Zeit durch meinen Kopf gezogen. Da ist einmal der Kampf gegen den Leib, jenes Streben mich mit der Vernunft über das alles emporzuheben, mich zu vereinigen mit der Natur und dann mit Gott. Der Kampf ist schwer, er dauert ewig. Außerdem waren hier meine Eltern und ich fühlte mich durch einige Stunden wie einst, als liebendes Kind zu ihnen, die auch mich über alles lieben. Und ich sah wie die Vorsehung für alles sorgt; wie alles seinen Sinn hat, sogar auch meine Militärzeit. Wäre diese nicht gewesen, ich glaube kaum, dass sich Mama zu Gott gewendet hätte und nun hat sie es getan. Mein heißestes Gebet hat Erhörung gefunden. Und auch der Vater sagte, als er hier die herrliche Natur betrachtete, ihn erfass das Gefühl der Anbetung. Noch lebt in ihm die falsche moderne Logik, aber auch die wird vergehen... Gott, mein Gott, wie ich Dich liebe, wie dankbar bin ich Dir, dass Du jetzt die Seele erfüllst mit wunderbarer, voller Süßigkeit. Wie hebt sich meine Seele, sie fliegt zu Dir empor, als wollte sie mit übermenschlicher Kraft die Brust sprengen, damit sie zu Dir gelangen könne, nur mit Dir ewig sich vereinige«.

Wind. Feistritz, 30. VI. 1916

»Das beste Lebensbuch ist: »De imitatione«. »Quicunque non concordat cum spiritu tuo, illis cede propter pacem tuam et insorum. Hoc pro magna sapientia tene; si de propria sapientia nihil habes. Ubi prompta aboedientia, ibi laeta conscientia. Ubi humilitas, ibi sapientia. Ubi pax et concordia, ibi Deus et omnia bona«.

Wind. Feistritz, 23.VII.1916

»Ich habe Dienst bei der Stationswache. In der rechten Patrontasche ist eine schärfe Patrone und in der linken ein ganzes Magazin (als ob ich jemanden töten würde!) Im Zimmer rückwärts «hängt ein Russe, rundig Gesicht und kleiner blonder Schnurrbart. Die Augen sind blau. Er sagt, nicht einmal in Russland gebe es solche Strafen. Mein Gott, wie schrecklich! Das zivilisierte Europa ist noch unkultivierter als die früheren Jahrhunderte und da spricht man noch von der Geistesfreiheit, von der Individualität des modernen Menschen, während dem er ärger niedergedrückt ist als früher. Warum wirft man dem Katholizismus die Unterdrückung der Individualität vor, die Aufzwingung von Dogmen, die geglaubt werden müssen? Und doch achtet dieser Katholizismus jenen, der es nicht tut, versteht die Qualen des Menschen, der sein Leben lang sucht. Und dieses moderne Europa tyrannisiert den Geist, unterjocht ihn und befiehlt, und wenn sich der Geist nur ein wenig widersetzt, schon wird er wie der Russe hier – angebunden oder wie im Dienstreglement, I. Teil, der Apologetik dieses Systems, jeder Abschnitt mit den Worten schließt: «ist niederzumachen«.«

Banjaluka, 20. IX. 1916

»Wie doch die Zeit vergeht. Das ganze Leben ist zerrissen, nirgends kann ich mich sammeln. Ich kann einen ganzen Satz nicht voll niederschreiben, geschweige denn etwas gründlich erwägen. Schon das, dass ich Samstag bei der Beichte war und Sonntag nicht zur hl. Kommunion ging, zeigt von meiner seelischen Zerrissenheit. Außerdem kam mir die Lektüre von Hamsuns »Hunger« mit einigen überflüssigen erotischen Stellen ungelegen in die Hand. Ich hätte etwas gebraucht, was meine Seele in dem Einen vereinigen und emporgehoben hätte, aber nicht noch mehr zerrissen hätte, was mich gezwungen hätte, die Sinnlichkeit zu fühlen und zum hundertsten Male zu beherrschen«.

Pécs (Fünfkirchen), 22.X.1916

»In der Seele ist es mir noch jetzt grässlich; dieses maschinelle Leben: essen, schlafen und ziellos und ohne Gedanken umhergehen. Im Menschen herrscht das Bestreben vor etwas zu schaffen, dass ihn eine Sache in Anspruch nimmt, um welche sich, wie das Mineral um den Kern, alles konzentrisch sammelt. Aber nicht so, wie bei mir; ich schließe die Augen, denke nach über den Prozess des Denkens und versuche in jene Welt einzudringen den Übergang suchend, den Unterschied zwischen den beiden. Dann schaue ich in jenes Wunder des Weltalls, wie alles hängt und jagt, wie sich alles bewegt in dieser Leere, aus nichts; dann erfasst mich Angst vor der Hölle... Plötzlich fühle ich, wie das Alles ein Nichts ist, nur eine vergängliche Phase in diesem Geheimnis, als sich das, was in uns kocht und wirbelt, befreite und in jene Welt entfloh. Jetzt erscheint mir die tiefe Perspektive noch ziemlich dunkel, so dass dann das Rechte entsteht. Indem ich an diese Vergänglichkeit denke, freut mich kein Studium, keine Literatur, überhaupt nichts auf dieser Welt. Einzig ein asketisches, ein Mönchsleben in Anbetung der Eucharistie könnte mir möglicherweise Befriedigung gewähren. Etwas anderes, so scheint es mir, nicht. Wie sollte ich, beispielsweise, Freude haben an der Sammlung von Künstlerkarten und ähnlichen Dingen, wenn die Welt so schrecklich hungert. Wie dürfte ich wünschen, allein in meinem Stübchen zu leben, wenn ich mich damit nicht selbst täuschen wollte, nicht zwischen Menschen gehend, um ihre Leiden nicht zu sehen und ihre Psyche nicht kennen zu lernen. Welches Recht habe ich, in der Kunst zu genießen, wenn der Kampf ums Brot und ums Dasein in seiner Eigenart mit allen Leiden und Niederlagen der Ursprung ist aller Poesie, ja sogar ein notwendiges Bedürfnis ist, wenn wir dieses Leben begreifen wollen als eine Vorbereitung einer qualvollen Arbeit gleich deren Lohn – Jenes Große »Unbebannte« ist. Ich muss von diesem Dilemma herauskommen«.

Seewiesen, 26. XI. 1916

»Heute war ich bei der hl. Kommunion, wobei ich zur Überzeugung kam, dass die Geschichte mit Blut geschrieben ist, dass alle Kulturwerte nur Produkte des Leidens sind. Schon des Leidens wegen ist die Religion notwendig. Der Schmerz hat den Menschen von der Faulheit gerettet. Sie hat ihm immer Angst eingeflösst vor unbekannten, noch größeren Schmerzen. Wer die Kultur verstehen will, muss gelitten haben, nicht nur seelisch, sondern auch körperlich«.

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Deshalb rufe ich mir und allen ein Memento zu: durchleben wir ein tiefes und großes Leben, seien wir uns bewusst, dass wir wirklich bestehen und widersetzten wir uns jener Harmonie nicht, die im Weltall herrscht. Das körperliche an uns ist tatsächlich kein Leben, das Leben ist jenes dunkle, unsichtbare, voll Tiefe und Perspektive, das sich in auserwählten Stunden verbreitet, um jen intimen Charakters«.

Graz, 20. III. 1916

»Vieles könnte ich schreiben, doch ich weiß nicht wie; es wäre alles zerissen, wie auch meine Gedanken ungeordnet sind. Dazu bin ich auch müde von den Übungen. Wenn ich die Leute, welche die Ursache dieser anstrengenden Arbeit und des Zweckes, den sie erreichen wollen, objektiv betrachte, überläuft mein Gesicht ein mitleidiges Lächeln. Die wollen, dass wir »stramm« arbeiten und quälen uns unuterbrochen, ohne Rast und Rücksicht, mit Strafen drohend und abstoßend schreiend. Die Armen, sie wissen nicht, dass sich nichts Gutes erlernen ließt, wenn übertrieben wird. Eigentümlich manchmal ist unser Offizier so gut und manchmal wieder quält er uns grundlos. So kann nur ein Mensch ohne Religion sein«.

Graz, 29. III. 1916

»Oh, Gott, wie groß bist du. Glück und Freude erfüllen meine Seele! Eine solche Kleinigkeit und doch wieder eine große Sache, die ich gesehen, wie selten in meinem Leben. In der Annenstraße großer Verkehr, die Auslagen sind erleuchtet. Die Tramway führt geräuschvoll nach zwei Richtungen und die Menschen, zumeist sind es Soldaten, wirbeln durcheinander. Und mitten im Gewühl steht still und würdig die barocke Kirche der barmherzigen Brüder. Die drei großen Tore sind geschlossen. Vor einem der Tore draußen auf den Stufen knien zwei Soldaten und beten… Oh, welch' eine Se andere große Welt zu fühlen, jene unsichtbaren Kräfte, die wirken und alles das bewegen. Und gerade, um je besser in dieses unermessliche Weltall eindringen und um noch objektiver das äußere Leben betrachten zu können, das uns umkreist, müssen wir in uns jede Leidenschaft vernichten um nach asketischem Leben streben. Wer nur ein wenig versucht hat, diesem Ziele zuzustreben, wird die Welt um sich in einem ganz anderen Lichte sehen, wird jene geheimen Fäden der Sünde besser fühlen, die sich um die moderne Gesellschaft schlingen und die sich mit ihr spielen wie die Katze mit der Maus. Und je mehr das Leben von der Askese erfüllt ist, desto stärker unterweisen uns jene geheimen, lauten Stimmen in Mysterium des Daseins... Am Abend kommen mir immer tiefe, gottesfürchtige Gedanken und beim Lichte des Tages verliert sich dieses mystische Leben und der Mensch verliert beinahe die Verbindung mit dem Zweck des Lebens und führt ein instinktives Vegetieren, anstatt jeden Augenblick sich seiner Abhängigkeit von der Harmonie des Weltalls bewusst zu sein«.

Zingarella, 18.V.1917

»Unsere Geschütze donnerten ekelhaft. Die ganze Baracke zittert, wenn diese 15 cm fangen an zu donnern. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles. Ob die Kanonen schießen oder nicht, ich gehe meinen Weg, als ob nichts wäre. Die Gedanken, dass wir «Ankömmlinge» sind, erneuern sich nicht mehr so oft. Schmerz und Qualen tausender Verstümmelter, Toten und ausgesogener Menschen waschen dem Menschen das Vergängliche ab und suggerieren ihm mit großer Energie geradezu den Sinn des Lebens. Die erste Angst vor den Gewehrgeschossen und Schrapnellen (auf dem Wege zur Brigade) sprachen immer zu mir die Worte des Herrn: »Was seid ihr furchtsam? Habt ihr immer noch nicht den Glauben?« (Mark. 4, 40). Warum also sich fürchten? Ja, Er dort oben weiß schon, was mit mir sein wird, Er liebt mich unermesslich und weiß, ob es besser sei für mich, dass ich sterbe oder weiterlebe. Warum also sich fürchten, wenn Er meine Wege bestimmt. Also leben und Ihn ewig lobpreisen und sich um die Todesgefahr nicht sorgen. Was ist das Leben? Eines Tages sah ich einen Mann bei einem Friedhof liegen, ausgestreckt lag er da wie ein Holzklotz. So als ob er nie gelebt hätte. Ist als der Zweck des Lebens zu genießen, den Leidenschaften nachzugeben? Ein wunderlicher Gedanke, wenn mit dem Tode dies alles aufhört. Warum lebt in mir dieses große Streben nach Vervollkommnung meiner selbst, nach Annäherung an Jenen Allerhöchsten, warum ruft mir irgendeine übernatürliche Kraft immer zu: faste, esse nicht zu viel, »werde ein Übermensch«.«

Zingarella, 12. VI. 1917

»Unsere Leute sind eigentlich keine Fatalisten, sie überlassen sich ganz dem Willen Gottes, denn so sagen sie, sie werden solange leben, als Er ihnen gutgeschrieben hat, d. h. solange als es Ihm gefällt. So fühle auch ich, deshalb habe ich kein Angstgefühl, nur um Nachlass der Sünden bete ich. Dieser furchtbare Lärm, die Explosion der Granaten und Minen, dann Stille und nun das Gewehrgeknatter in der Luft das Kreisen der Flugzeuge, Tote und Verwundete, dieses alles ist lebende Geschichte. Über dem allen schwebt die erhabene Erscheinung Christi: Ich habe das Schwert gebracht. Jetzt erst verstehe ich die Fülle und Beschaulichkeit dieser Worte: wenn ihr Mir nicht nachfolget, wenn ihr alle nur an euch denken werdet, werdet ihr euch von meinem Leibe trennen und zwischen euch wird Unfrieden entstehen, Krieg, mit allen seinen schrecklichen Phasen. »Ich bringe das Schwert« - diese Worte klingen mir immer in den Ohren. Und das Heilmittel dagegen: revenons a l'église! Kehren wir zur Kirche zurück!«        

Zingarella, 22. VI. 1917

»Ich sah gegen 20 Tote, die bei den letzten Kämpfen gefallen sind. Mit Zeltblättern zugedeckt liegen sie da; man kann ihre Körper genau unterscheiden, einige sind ohne Füße, einige ohne Kopf. Bei einem schaute der gelbe Fuß hervor, dessen Haut pergamentgleich glänzt. Ja, das ist das Leben. Ich will nicht sentimental werden, denn das ist Schwäche, aber hier ist der größte Ernst, der uns zuruft: lass dich nicht unterkriegen! Besiege den Tod! Christ schwebt über jenen: wer an mich glaubt, wird nicht wissen, was der Tod ist. Die Askese: das Leben zu betrachten und die Arbeit einzig in dieser Richtung zu bewerkstelligen, ohne jede Konzession »an diese Welt«, ist das einzig wahre Vorgehen im Leben. Aber wer lebt heute auf diese Weise? Alles, das sich hier abspielt, aber die Menschen hier leben instinktiv wie bisher. Wird geschossen, decken sie sich in die Kaverne und hört das Schießen auf, sprechen sie, wer sich mehr gefürchtet hat, wer am längsten in der Kaverne blieb u. s. w. Auch ich bin nicht besser. Um wie vieles unterscheiden wir uns doch von den ersten Christen? Ich möchte oft Christi Leib als Speise nehmen, denn er liebt mich mehr als irgendjemand und der mir teurer ist als irgendetwas auf der Welt. Aber ich bin dessen nicht würdig, ich bin zu schwach, um mich ohne Bedenken für die allerheiligste Hostie zu opfern. Richtig sagt der Kempenser: in der Hostie zu genießen sind wir bereit, aber wenn es uns bestimmt ist sein Kreuz zu tragen in Freude, dann verzweifeln wir«.

Mtz. Rasta, 5. X. 1917

»Wann wird die Zeit kommen, in der wir nicht mehr zu essen brauchen, dass wir nicht werden kämpfen müssen für das kleinste Gut? Oh, Adam, du weißt nicht, was du getan! In unsern Körpern besteht ein Gesetz, der grundverschieden ist von jenem in unserer Seele. Die Natur ist verdorben und unsere Seele verfällt in Finsternis. Wann wird sich in uneelengröße dieser einfachen Leute. Es gibt noch diese tiefe religöse Begeisterung des Mittelalters, diese christliche Mystik der Heiligen. Auch diese Soldaten, der übrigen ungläubigen Welt nicht achtend, welche mit den Achseln zuckte und mit Verachtung auf den Lippen dieses Bild betrachtet, knien auf diesem lebhaft bewegten Ort vor der Kirche und beten in Gegenwart der Eucharistie. Gott, oh Gott, höre den Ruf eines schwachen Menschen und gib mir jenen starken, rücksichtslosen Glauben dieser einfachen Leute!«

Wind. Feistritz, 6. IV. 1916

»Eigentlich, kann ich mich auch hier nicht so recht konzentrieren. Überall um mich herum wird geschwätzt und es werden militärische Dinge gelernt. Es ist schwer dieses Leben objektiv zu beschreiben. In der Frühe wird um 5 Uhr aufgestanden, Übungen bis Mittag. Von 2 Uhr wird wieder bis 4 Uhr geübt; von 5 bis 7 Uhr ist Schule, wieder auf die gleiche Weise wie in der Akademie. Die Welt hat sich auf die Erde geklebt; es gibt kein freies Denken und keine tiefere Lebensanschauung. Meine Kollegen haben noch nicht recht den Schlaf aus den Augen gewischt, schon qualmt die Zigarette in ihrem Munde. Dieses Rauchen, als wäre es ein Kennzeichen unserer Zeit. Es muss immer irgendeinen sinnlichen Genuss geben«.

Wind. Feistritz, 24. V. 1916

»Leere in der Seele. Ich komme nicht zum Nachdenken und zu tieferer Verinnerlichung. Vieles geschieht um mich her. Meine Arbeit besteht darin, die Menschen meiner Umgebung zu studieren und mich zu beherrschen und zu heben über mein Milieu. Oft wird es mir schwer, aber ich fühle, wie ich es schon verstehe Geld und andere Dinge leicht los zu werden«.

Wind. Feistritz, 9. VI. 1916

»Die Tage zerstieben in nichts. Ich fühle kaum, dass ich lebe. Ich stehe auf, arbeite wie in einem Traume, mit einer Leere in der Seele…«

 Wind. Feistritz, 26. VI. 1916

»Es war mir besonders angenehm als man bei uns die »Sommerzeit« einführte, um eine Stunde früher. Ich stand, obzwar ich es nicht musste, vor Sonnenaufgang auf und genoss die Pracht des Alpenmorgens«.

 Mürzzuschlag, 26. VIII. 1916

»Jedenfalls ein interessantes Milieu, in dem ich jetzt lebe. Am liebsten möchte ich alle als Bettler bezeichnen und zwar im schlechten Sinne. Den ganzen Tag bittet einer den anderen um irgend etwas; und die Frage der Zigaretten bezeigt tatsächlich jene ungeheuere Schwäche der modernen Menschen, zu welchen – mea culpa – auch ich zähle. Man sieht faktisch jene Erniedrigung und jenes Gefühl der Schwäche des Betreffenden, der unuterbrochen bettelt. Dann, beim Speisen auch, da sieht man jenen Egoismus, wie jeder Einzelne in die Schüssel greift, ohne Rücksicht auf den anderen. Sogar auf jene, welche oft hungrig sind, sah ich,s das Selbstbewusstsein regen, wann wird die Seele sich selbst verstehen, real fühlen den Bund mit Gott? Abstinenz und die Eucharistie sind die Wege, die uns dahin führen. Fasten und Kommunion, zwei Gegensätze: das Fasten, das uns Leiden verursacht und uns des Genusses beraubt, nur die Kommunion, die uns einen unermesslichen Genuss gibt und unseren Leib in den göttlichen Leib verwandelt.

Wunderlich sind der Menschen Wege. Wer weiß, ob ich am Leben bleibe? Wir gehen bald nach Kärnten, von wo aus der Angriff stattfinden wird. Gott bestimmt das Schicksal der Nationen. Er weiß, was für mich das Beste sei. Ich will mit allem zufrieden sein und nehme dankbar alles an, was Er mir zuteilt. Wenn meine Eltern in Trauer versetzt werden, wird auch dieser Schmerz vergehen, denn nicht »das Tal der Tränen« ist unsere Heimat. Ich denke oft, wie glücklich die Menschen in den Klöstern sind, die sich immer mit Gebeten beschäftigen können und mit guten Werken, wo der Mensch nicht seinen Willen ausübt, sondern arbeitet wie Andere es bestimmen. Die Entsagung vom eigenen »Ich« und die Vertiefung einer Seele in Gott, dass sie auf sich selbst vergisst... Nur zwinge man mich nicht Menschen zu töten, ihr seelenlosen Leute!«

Santa Maria, 18. XI. 1917

»Das Töten und Vertrimmel ist mir ein Grauel und wenn ich das alles ansehen muss, verlieren sich mir alle abstrakte Begriffe. Ich liebe die Menschheit, liebe die kleinen, unbekannten Leute, die auf ihrem Rücken die ganze Bürde der Geschichte tragen. Eine Nation ohne Religion gehört in die Zoologie. Sie denkt nicht an den Tod, plündert und isst. Kommt ein Schmerz, wird sie kleinmütig und droht Gott. Der Tagliamento wird eine geistige Erneuerung werden. Unsere Leute betrachtend, wie sie der Tod hinwegreißt und bei den Stürmen die verwundeten Italiener, wie sie riefen: »oh, mia mamma«, wie ihnen das Blut aus den Wunden fließt, bin ich ein Besserer geworden, denn ich sah ein, das Leben sei ein Nichts, dass der ganze Sinn in der Spiritualisierung des Klostergedankens, der Sehnsucht nach dem Klosterleben besteht, wo der Mensch mit Gott lebt, der immer unveränderlich ist und real. Ruhm, Medaillen sind Dummheiten! Demut, Selbstentsagung, Schweigen und gute Werke sind das einzig Real jetzt und nach dem Tode Jungfrau Maria, hilf uns!«

Incin, 25. XII. 1917

»Weihnachten, das Fest der Kinder. Nirgends fand ich Gelegenheit, um vollkommene Reue zu erwecken um ein stärkeres seelisches Leben, zu beginnen. Zum Nachtmahl gab es Fleisch und ich habe davon gegessen... Also auch nicht einmal das Essen war im Einklang mit der großen Christenheit, die an diesem Tage auch Fasten Eins ist. Und wie mag es erst denen oben am Monte Assolone sein! Den Weg hinauf überschütten die Italiener Tag und Nacht mit Granaten. Glatteis und Abgründe. Oben ohne Dach nächtigen, hungern und in ununterbrochenem Feuer liegen, ist ihr Los. Sie sagen selbst, dass sie so etwas bisher noch nicht erlebt haben. Ich aber bin da unten und weiß nicht, welchen Umständen ich das zu verdanken habe. Oder ist das die Frucht der Gebete meiner Eltern und meiner Freunde? Es tut mir leid, dass ich nicht mit den Andern leiden darf«.

Wien, 9. IV. 1918

»Das Leben ist alles... und mir droht die Gefahr, dass ich wieder in das graue theoretische Leben der Bücher versinke. Morgen gehe ich zur hl. Kommunion um wieder Kraft für den Kampf zu schöpfen. Die letzten Tage habe ich ziemlich nachgelassen, war ziemlich faul, habe unregelmäßig gegessen, wenig gebeten, gar nicht gelitten, habe mich geärgert und verlor deshalb die Verbindung mit Gott. Es ist wahr, die Literatur ist nicht alles. Literatur und Kunst sind nur Details in dem großen Werke des Reiches Gottes. Der Pflug, der Schuster, der Fleischhacker, der Rechtsgelehrte und der Sicherheitswachmann, sie alle sind Arbeiter an diesem großen Bau. Man fragt nicht viel, was gearbeitet wird. Alle Fächer haben vor Gott den gleichen Wert, nur muss nach seinem Willen gearbeitet werden. Und doch möchte ich so gerne Literatur und Kunst studieren! Wenn es aber notwendig ist, will ich mich aufopfern, um meine Mutter zu bekehren, was viel wichtiger ist als alle Wissenschaft der Welt – denn der Gedanke ist mir schrecklich, dass sie, die ich so liebe, von Ihm abgetrennt bleiben sollte. Warum sollte ich mich also nicht selbst verleugnen, mein Kreuz auf mich nehmen und ein Opfer meiner Mutter bringen? Es ist leicht, über das Christentum zu theoretisieren und sich für Gott begeistern, solange er von uns nichts verlangt, aber praktischer Katholik sein, das ist mein Zweck. Mein Gott, erleuchte mich, dass ich bald zu einer festen Entscheidung gelange. Überall soll Dein Willen geschehen – denn wir sind hier nur provisorisch und in unserer wahren Heimat wird man nicht viel fragen, ob ich Professor war oder Maurer. Aber etwas muss man trotzdem sein!«

Maslovare, 20. XII. 1918

»Heilige Armut! Sich um die sinnlichen Leidenschaften nicht kümmern zu müssen! Alles verschenken und heiß den Nächsten lieben, oh wie viel Freude liegt in dem Allen! Die Frucht bleibt von selbst aus. Man sollte eine längere Zeit so leben, wie das Gewissen es Einem auferlegt, dann kann man glücklich sein und braucht nicht den Tod fürchten. Meine Angst vor der Nacht und Finsternis und vor den Wölfen hier ist nur ein Beweis, dass bei mir etwas nicht in Ordnung ist. Warum fürchtest du dich, Kleingläubiger, Ich schlafe nicht, Ich bin immer bei dir und wache über dich – auch wenn du glaubst, dass ich schlafe. Wie auf dem Schiffe – bist auch du auf keinem sicheren Orte, wenn du in warmer wie geizig sie sind, wenn jemand von ihnen etwas verlangt. So auch andere Typen fand ich, welche in ihrer zweisternigen Koporals - kindischen Eitelkeit anderen Kollegen – die nur einsternige Gefreiter sind – wegen Nichtgrüßung (Nichtsalutierung) zu Rede stellen…«

Zingarella, 20. IV. 1917

»Ich will mich lebhaft bestreben von morgen an meiner Mannschaft helfen ihr Kreuz zu tragen – will öfter zur »Brigade« gehen (um ihnen Verpflegung, Urlaube und andere Erleichterungen) zu verschaffen«.

 Mt. Rasta, 9. IX. 1917

»Die Verhältnisse bei uns sind schwerer geworden. Hier muss ich öfter auf Patrouillen gehen. Ansonsten ist hier ein schöner, auch ein trauriger Anblick auf Asiago. Die Häuser sind größtenteils zerstört. Die tote Stadt bietet ein sehr trauriges Bild; wo einmal die Eisenbahn gepfiffen, Wagen und Pferde fuhren und die Glocken zweier Kirchen zum Aveläuten grüßten, hinhorchend hört man jetzt das Rennen der Automobile, der Wagen aneinanderschlagen und das Geschrei der Unteroffiziere. Ich habe keine Angst vor den Patrouillengängen, aber warum soll ich mein Leben aufs Spiel setzen wegen der Lauen irgendeines Hauptmanns. Ja, zu Hause jammert die Mutter, weil eine Woche schon keine Nachricht kommt, was würde sie erst tun, wenn sie wüßte, warum ich hier bin. Ich erhielt einen »Verweis«, weil ich während des Marsches, den Exzess eines betrunkenen Feldwebels und anderer Unteroffiziere »apatisch« mitansah. Der Hauptmann wieder warf mir vor, dass ich zu viel rede. Hier hat er recht, denn ich war nicht demütig und beachte mich also nicht zu rechtfertigen. In Hinkunft will ich mich bemühen demütiger zu sein und mich nicht zu sorgen, wenn ich von irgendwem unbegründet verklagt werde«.

Feltre, 13. XI. 1917

»Unsere Soldaten plündern unbarmherzig die verlassene Stadt, und die Offiziere streichen in den Apoteken herum«.

 Campo, 28. III. 1918

»In diesem Zimmer ist eine Maschine, die den ganzen Tag aus sich Dämpfe hervorpfaucht, sozwar, dass das Zimmer wie in einem Nebel gehüllt ist. Kaum, dass die Sonnenstrahlen den Rauch zu durchdringen vermögen. Diese Rauchfabrik heißt M. effendi H. türkischer Geistlicher aus Novi. Er ist hier Feldkurat«.

Als Hans einmal aus der Nähe Zeuge war einer Sünde, schrieb er in sein Tagebuch:

Wien, 11. IV. 1918.

»….Ich fühlte die schwere Leere der Seele, welche in jenem Zimmer herrscht, etwas nicht gemeinsames mit dem Leben, eine Spaltung, Dunkelheit, Farblosigkeit. Ich kann diese für mich vollständig neue Vorstellung nicht beschreiben. Ich bezeichne sie am liebsten damit, dass ich Entsetzen fühlte, da sich eine gigantische menschliche Tragödie in der Natürlichkeit abspielt, im Leben, welche die Existenz des geis, geschlossener Stube bist, sondern im dunklen Wald, von Wölfen umkreist, die heiser bellen. Warum fürchtest du den Tod und Leiden? Ich weiß es, wann und wie du sterben wirst und brenne in Liebe zu dir oder denkst du vielleicht, dass Ich dich verlassen werde?! Und sollte Ich zulassen, dass die Wölfe dich zerreißen, glaubst du vielleicht, dass es nicht Mein Beschluss war und dass Ich dich deshalb weniger liebe? Fürchte niemanden mein Sohn, wenn auch dein Leib verfault, du wirst auch weiterhin bestehen. – Oh mein Gott, gib mir Kraft, Dich heiß zu lieben, dass ich an Dich so stark glaube, dass ich ohne Überlegung und ohne Furcht, unschuldig wie ein Kind, niemandem je von Ängsten erzählte, Orte aufsuche wo der Tod droht (in den Stollen der Kohlenbergwerke)«.

Hans war unterbrochen bestrebt, sich zu vervollkommnen. Das Leben Christi ist ihm noch zu erhaben, dass er es als sein direktes Muster hätte nehmen können. Verständnisvoller sind ihm und näher die zugänglicheren Heiligen und Gottes Auserwählte, welche ihm als eine Art Vermittler erscheinen, welche ihm den Begriff von der Größe Christi vermitteln. Deshalb liest er außer der Hl.

Schrift und der Nachfolge Christi (in lateinischer Ausgabe) auch die Lebensbeschreibungen der Heiligen. Besonders erwähnt er das Leben der hl. Elisabeth und des hl. Iosapfat. Aber er begnügt sich nicht nur damit, Betrachtungen anzustellen und über das Glaubensleben zu lesen, er ist in erster Linie bestrebt, seine Persönlichkeit vollständig umzugestalten, denn »im Leben eines Heiligen ist am interessantesten sein eigenes Geistesleben, seine Wirksamkeit in der Gesellschaft ist nur die Folge seiner Persönlichkeit«. Deshalb prüft Hans seine Gemütsverfassung, dabei gleichzeitig auch eine Autoanalyse und Autokritik vollziehend. Und darin war er sehr streng, vielleicht zu streng, wahrscheinlich deshalb, weil er während dieser Zeit keine regelmäßige Geistesführung hatte bzw. haben konnte.

Zingarella, 17. VI. 1917

»Langsam erstirbt die Jugendbegeisterung. Ich falle immer mehr auf das Niveau eines schwachen Menschen. Früher dachte ich mehrere Sprachen zu erlernen und jetzt kann ich nicht soviel französisch, wie ich früher konnte. Übrigens alle jene ästhetischen und literarischen Gedanken, als ob sie nicht mehr, als ob sie nicht mehr existierten. An die Oberfläche stiegen andere, nichtästhetische Fragen. Die Philosophie des Lebens interessiert mich am stärksten. Ich lese Solovjews: die geistigen Grundlagen des Lebens, die Hl. Schrift, Pelicco und will in das Mysterium des Lebens eindringen. Ah mein Gott, wie werde ich da wohl eindringen können, wenn mein Wille so schwach ist und ich ununterbrochen sündige namentlich im Essen. Fürwahr mühselig ist das Leben. Ich habe Angst, mit Genuss ein Stück Brot zu essen, weil mir oft das Gewissen sagt, es ist genug, aber ich esse es doch und breche es freiwillig vom Leibe Christi«.

Casare Bolzano, 20. II. 1918

»Ich erinnere mich eines Trappisten, der sehr wenig aß. Es war dies im Jahre 1916. zu Weihnachten. Freund Nino feierte seine Primiz. Als ein Freiwilliger aus Seewiesen auf einen dreitägigen Urlaub ankam, laden mich die Trappisten mit ihm zum Mittagessen ein. Ich hatte Appetit und aß viel. Ein alter Trappist nahm von allem nur wenig. Ich wunderte mich, verstand ihn nicht. Jetzt verstehe ich ihn«.

Wien, 9. IV. 1918

»Und was wird aus mir? Eine schwere Frage, die mich schon längere Zeit quält. Literatur und Kunst interessieren mich, obwohl ich gegenwärtig daran keinen so großen Genuss empfinde wie ehedem. Die Jugendbegeisterung schwand dahin... denn wir sind auf dieser Welt nur vorübergehend... im Augenblick sind wir nicht mehr hier und dieses Leben hat nur insofern einen Sinn, als es eine Vorbereitung ist für jenes zweite Leben. (So ist es auch mit dem Leben der Nationen und der Menschheit). Wenn ich die Philosophie absolviere und Professor werde, werde ich heiraten. Denn ich denke, wer ledig zu bleiben gedenkt und studiert hat, der soll hl. Weihen empfangen und in einem absolut mystischen Leben wirken. Derjenige, der nicht studiert hat, soll ins Kloster eintreten. Ich will nach Heiligkeit streben, nach der Vereinigung mit Gott dem Herrn und ihn bitten, dass er mir Widerstandskraft gebe im Lebenskampf und Energie im Schaffen. Ja, dies alles ist leicht auszusprechen, aber werde ich als Professor mit Frau und Familie auch außerhalb der Familie wirken können? Ich empfinde Angst davor, denn der Professorenstand ist sehr abhängig und die materiellen Sorgen könnten die schönsten Grundlagen zerschlagen. Und wir brauchen keine bleichen Theoretiker, verkrackte Professoren. Solche Individuen gibt es bei uns ohnehin zu viel. Gesunde, praktische Leute tun uns Not und ich sehe selbst ein, dass unsere Professoren die größten Theoretiker sind, weil sie in dem absolutistischen System zu viel eingezwängt sind. Meine Mutter hat recht, wenn sie vor diesem Berufe Angst hat. Aber was soll ich wählen, da doch schon Jahre dahingegangen sind und mich nichts so interessiert als die Kunst und Literatur. Ich wuchs in einem solchen Milieu auf, welches jede neue Ausgabe registriert, jede Zeitschrift wird gelesen und neu erschienene Künstlerkarten werden gekauft, es wird also schwer diese Krankheit abzuschütteln und nach etwas neuem zu greifen«.     

Fontana Secca, 28. V. 1918

»Ich war krank und kam zur Erholung hierher. Alles grünt. Einen kleinen Rheumatismus habe ich erwischt und meine Gesundheit ist nicht so, wie sie war. Von meiner moralischen Kraft habe ich auch viel verloren, aber ich glaube, dass ich mich nach einer Woche wieder auf den alten Stand emporschwingen könnte«.

Offiz. Feldw. Solarol, 3. VIII. 1918

»Hier ist für mich gegenwärtig das einzig Aktuelle: Interdum vero oportet violentia uti, et viriliter appetitui sensitivo contraire; nec advertere quid velit caro, et quid non velit; sed hoc magis satagere, ut subjecta sit etiam nolens spiritui. Et tamdiu castigari debet, et cogi servituti subesse, donec parata sit ad omnia, paucisque contentari discat, et simplicibus delectari, nec contra aliquod inconveniens nussitare.

Fürwahr große, kräftige Worte! Als ob der Leib eine ganz andere Person wäre, mit welchem der Geist hantiert nach eigenem Willen. Wenn ich zu einer solchen Kraft gelangen könnte, müsste ich mich nicht so viel mit mir selbst herumschlagen«.

Col alte bei Belluno, 23. VIII. 1918

»Du, nur Dich selbst liebender Mensch: Speck, saftiges Brot, esse viel, trinke genug, lasse alles die Gurgel hinabrinnen und den Bauch füllen. Leben! Der Sinn von allem! Du willst gut sein um wo du gehst zu glänzen und dass du der Sklave bist deines ewig hungrigen Magens, der alles wünscht, der immer etwas kräftiges und saftiges sucht. Und morgen wirst Du sterben, Mensch! Sterben, ja, und das Komißbrot und der Speck und alles andere wird noch da sein und am Tische liegen nur du wirst nicht mehr sein, nicht dein Bauch als ob du nichts gegessen hättest. Oh, du Feigling! Wenn Du schon sterben wirst, so sehe doch, dass der Geist frei sei, dass der Bauch die Macht über dich verliere, du Feigling! Oh Gott, tosende Kraft, dass ich alle meine Leidenschaften in der Faust zusammenballe, sie mit der rechten Hand erfasse und mit der Kraft einer Kanone an den Felsen schleudere, dass sie wie Glas zersplittern und nach allen Seiten fliegen. – Gott, oh Gott, wann werde ich das im Stande sein, wann werde ich gereinigt über die Erde schreiten! Hilf mir, oh Gott, denn es ist besser nicht zu leben, als so zu leben. Memento mori – und der Speck in der Ecke lauert. Wer sagt, dass das Fasten eine Dummheit sei, weiß nichts. Ohne Fasten gibt es kein richtiges Geistesleben. Der Mensch hat dann über sich keine Autorität. Und das ist die Hauptsache. Gib mir, oh Gott, einen starken Willen und sollte ich nackt und barfuß sein. Denn, wenn ich schon auf der Welt bin, ist es alles eins, ob ich einen Stern am Kragen habe oder ob der Ellbogen durch das Hemd hindurchlugt. Die Hauptsache ist das große Ich, die Freiheit des Geistes, die selbst den Tod nicht fürchtet und wobei alles Übrige nebensächlich erscheint! (Ich habe 12 kg am Körpergewicht verloren)«.

Cidalchis, 10. X. 1918

»Entsagung ist der rechte Weg zu Gott, und Leiden daraus entstanden, müssen die Lebensenergie stärken – wenn sie Prinzip des Lebens sind – und sie müssen aus uns starke Menschen schaffen, nicht nur in ethischem Sinne, sondern Menschen vollkräftig fürs Leben: Gelehrte, Arbeiter u. s. w. Die Abstinenz ist nicht nur kein Hindernis für die wissenschaftliche Arbeit, sie muss sogar deren Basis bilden. Heute fühle ich in mir einen so starken Willen, dass ich diese Anschauungen auch in die Praxis überführen will – denn wahrlich der Mensch ekelt sich vor sich selber seiner ungezähmten Leidenschaften wegen«.

Vater und Mutter

Während dieser ganzen Zeit meldet sich Hans seinen Eltern mit Briefen und Karten fast täglich.

Zu Weihnachten 1917. – das erste mal, dass er diese heilige Zeit weit weg von seinen Eltern verbrachte und zwar an der Front, tief im Feindeslande – schickt er dem Vater und der Mutter eine Menge Karten:

»Weihnachtsabend 1917., Feldpost 220. Durch den Nebel sind die verschneiten Bergspitzen zu sehen, die uns umgeben und welche von den Höhenfeuern, die sich die Soldaten anzündeten, erglänzen. Ich weiß es, ihr denkt an mich. Auch meine Gedanken sind bei euch... Unser hl. Abend ist einfach verlaufen. In irgendeiner kleinen italienischen Küche stand auf dem Tisch ein kleiner Christbaum mit 5 Kerzlein und einigen Äpfeln und Nüssen. Die Zivilisten saßen in einer Ecke und beneideten uns um unser Nachtmahl...«

Die Mutter betete viel für ihn, zweimal besuchte sie ihn auch in Wind. Feistritz. Bei jeder Gelegenheit sandte sie ihm Pakete, wie es damals Brauch war. Einige langten an, viele gerieten in Verlust. In den Paketen befand sich Speck, Käse, Schokolade, Tee, Kerzen, Zündhölzern, Schreibpapier, Schuhpaste und Mehlspeise, alles, was ein Offizier an der Front gebrauchen konnte. Nahrungsmittel und Bäckereien teilt er mit seinen Leuten und wenn ihm die Mutter einmal Zuckerl schickte, bittet er sie am 29. IV. 1917 dies zu unterlassen, denn Zuckerle seien für ihn eine Beleidigung und dass sie ihm dafür praktische Sachen senden solle, wie Seife, Soda, Bleistifte und Papier. Nach Empfang eines solchen »praktischen Pakets« dankt er am 23. VI. 1917 den Eltern und meldet ihnen, dass solche praktische Dinge viel nützlicher und besser sind als alle Bäckereien. Seinem Offiziersdiener gefiel eine ihm gesendete Mundharmonika besonders gut, weiteres trug ein Brettspiel und ein Schachspiel viel zur Zerstreuung der Soldaten in ihrer freien Zeit in den Kavernen bei.

Öfter verstand es Hans auch in einem oder dem anderen Briefe humorvoll zu sein, um seine Mutter zu beruhigen:

»Feldpost 369, 19. II. 1917. Liebe Mutter! Ich werde den Herrn Korpskommandanten schreiben, dass sich meine Mutter schon ärgert, weil ihr Sohn nicht nach Hause kommt auf Urlaub, vielleicht wird er es mir dann erlauben«. Ein zweitenmal schreibt er: »Deinem Sohne geht es besser, als er es verdient. Viele wären glücklich, wenn es ihnen ihr Lebenslang so gut ginge, wie mir gegenwärtig«. Und dann, um seine gute Laune zu bezeigen setzt er fort: »Koche Obst ein, denn Du weißt, dass es Dein Sohn gerne hat. Bereite Gemüse vor, Butter, Honig und Eier für meinen kommenden Urlaub. Die Matratzen nimm aus den Betten und lege dafür Bretter an ihre Stelle (Hm!)«. Oft schreibt er ihr, dass er genügend zum Essen habe (auch wenn er gehungert hat), nur darüber beschwert er sich, dass er zu viel Fleisch bekomme und er fürchtet, sagt er im Scherz »nervös zu werden«. Von einigen Bekannten hörte die Mutter, dass es ihm nicht gut gehe und sein Dienst ein schwerer sei. Darauf antwortet er, sie möge diese Nachrichten nicht so tragisch nehmen, denn er hätte wöchentlich dreimal Nachtwache und es sei ihm das wohl ein bisschen schwer, denn er sei das Lumpen nicht gewöhnt... Aber jetzt ist es auch in dieser Beziehung besser geworden. Als die Mutter sehr besorgt war, weil die täglichen Karten wegen der Offensive nicht anlangten, welche vielmehr dann später auf einmal alle ankommen, tröstet sie Hans und macht aufmerksam im Wiederholungsfalle nicht besorgt zu sein, denn dann kämen ja viele auf einmal an. Öfter auch schreibt er der Mutter wie hoch er sich in den Bergen befinde, 1200, 1400 und 1600 m, wie die Bergesluft und die Alpenmilch gut sei, wie er sich dabei »besser befinde, als dort bei Eueren Torten...«.

Ganz anders ist die Korrespondenz mit seinem Vater, welcher als Vertreter der Militärbahn in Pécs (Fünfkirchen) weilte. Während Hans der Mutter zumeist von sich selber schrieb und ihr nur die schönsten Seiten seines Lebens an der Front schilderte – nicht selten mit viel Humor – schreibt er seinem Vater zumeist ernste Briefe vom Krieg und Frieden, über den Zweck des Lebens und über Gott.

»Tatsächlich ist der Katechismus ein großes Kunstgebilde, denn auf die einfachste Art löst er die schwersten Lebensfragen und predigt nicht nur, wie wir leben sollen, sondern er gibt uns auch die Mittel an, wie wir Hindernisse hinwegräumen können, die sich uns entgegenstellen«. Besonders erfreuten Hans einige Karten, die er Ende Juni 1917 an der Front von seinem Vater erhielt, weil sich darin dessen großes Gottvertrauen offenbart.

Als ihm sein Vater – anfangs April 1915 in Wien – mitteilte, dass ihm der Bruder Georg, Hans Onkel, mit dem er als Kind einige schöne Tage in Abbazia verlebt hat, gestorben sei, tröstet ihn Hans in einem Briefe vom 5. IV. 1915: »Lieber Vater! Sei nicht zu traurig. Leben heißt Entsagen. Darauf mussten wir gefasst sein. Auch an uns kommt einmal die Reihe und wir dürfen deswegen nicht gar zu traurig sein, denn wir wissen, dass unser Leben nicht ohne Ziel sein kann, dass es etwas gibt, was länger dauert und stärker ist als unser elendes Erdenleben... Ich will für Onkel Georg beten, dass ihn Gott eine schönere Fortsetzung dieses Lebens gewähre...«.

Aus Wind. Feistritz schreibt Hans dem Vater unter dem 3. VI. 1916: »Die Freiheit des Geistes und Körpers ist eine Bedingung des menschlichen Seins. Nun, auch das ist gut, wenn wir den heroischen Kampf um deren Bestand kämpfen müssen. Ich freue mich schon im voraus, wie die Muskeln des Geistes und des Körpers in diesem Kampfe gespannt und gestärkt werden. Dann werde ich im Frieden auch etwas schaffen können«.

In der Karte vom 20. VI. 1916 aus Wind. Feistritz freut sich Hans, dass ihn sein Vater Verständnis entgegenbringe und fügt bei: »Das Leben ist nicht so leicht, aber die Freude liegt im Willen, auszuhalten. Deshalb wäre ich noch zufriedener, wenn ich in eine noch schwerere Lage käme, als in welcher ich mich hier befinde. Denn ich lebe hier wie zu Hause und möchte doch meine Seele stählen...«. In der Karte vom 20. VII. 1916 kehrt er wieder auf dieselbe Thema zurück und freut sich besonders, dass er beim Vater einen stärkeren Sinn für Gott bemerkt. Hans Leben fließt nicht so einfach dahin, wie er es sich im Civil gedacht hat, aber er empfindet eine gewisse Freude darin, dass er Hindernisse zu beherrschen lernt.

Auf eine Frage des Vaters über das religiös-geistige Leben, antwortet Hans am 25. V. 1917: »Es ist mir nicht möglich Dir mein Innenleben zu offenbaren. Das kann man nur mündlich und nur in gewissen Zeiten. Wenn Du Dich orientieren willst, lese Jörgensens »Unsere liebe Frau von Dänemark« und »Die Reise durch das franziskanische Italien«.«

Der Vater bestellte sich und las tatsächlich diese beiden Bücher und schrieb ihm darüber, was ihn sehr freute. Hans bedauert nur, wie er in seinem Brief vom 28. VI. 1917 schreibt, dass die Mutter »trotz des Krieges altmodisch blieb, dass sie noch immer nur an die goldenen Knöpfe, Reithosen und lockiges Haar denkt...«.


16. VI. 1916

18. VI. 1918

18. IV. 1918

31. VII. 1918.

Du wirst nach jenem gerichtet, was du machst und nicht nach jenem, was du weißt.

Nämlich, nach seiner damaligen Auffassung, welche wohl viel zu streng war. Isp. Z. b. unter, 17. VI. 1917 (Seite 214), 27. I. 1918, 5. III. 1918, 31. VII. 1918, 23. VIII. 1918 (Seite 218).

»Sohn, trauere nicht. Wenn manche schlecht von Dir denken und wenn sie sprechen, was Du nicht gerne hörst. Auch du selbst sollst von Dir schlecht denken und niemanden für schwächer, als du selbst es bist, betrachten!«

»Siehe, alles besteht im Kreuze und alles hängt vom Sterben (seiner selbst) ab«.

»Und es betrübt sich oft meine Seele bis zu Träume und fürchtete für sich, wegen der Leidenschaften, die anstürmen«.

»Gib jedem nach, der deiner Auffassung nicht übereinstimmt, wegen deines und ihrem Frieden. Wisse, dass es eine große Weisheit ist: von eigener Weisheit nichts zu halten. Wo der Gehorsam bereit ist, dort ist auch ein freudiges Gewissen. Wo Demut ist, dort ist auch Weisheit. Wo Friede und Eintracht ist, dort ist Gott und alles Gute«.

14. XI. 1918.

18. XII. 1919.

»Oft muss man sich mit der Gewalt bedienen und sich männlich den sinnlichen Tendenzen entgegenstellen. Man braucht nicht darauf zu achten, was der Körper will oder nicht will, sondern mehr darauf, dass der Leib – auch gegen seinen Willen – untergeordnet wird. Und man muss den Körper so lange erziehen und bezwingen bis zum Sklaven der Seele, bis er zu allem bereit wird, bis er sich gewöhnt auch mit wenig zufrieden zu sein, bis er sich auch mit einfachen Dingen freut und sich den Schwierigkeiten nicht mehr widersetzt«. Im. Chr. III, XI, 10.

Aus dieser Bemerkung in der Klammer sieht man, dass das Hungergefühl nicht eine unordentlich Gier war, sondern ein natürliches Bedürfnis infolge des durch Strapazen und Mühseligkeiten geschwächten Organismus.

tigen Menschen vernichtet, welche ihn aus unübersichtlicher Höhe der Menschenwürde mit titanischer Kraft in die Gedankenlosigkeit, in den Unverstand wirft – wo sie einen neuen Begriff erschafft, welcher in gar keiner Verbindung mehr mit dem Menschen steht. Jemand wird mir sagen, dass sich hier der große Gedanke der Natur abspielt, dass dies Liebe sei, ein großes Lebensprinzip oder ähnliches! Es ist geistige Armut, Leere, Sünde!«

Vilago bei Feltre, 20. IV. 1918

»Bin zum ‚Gasschutzoffiezier’ beim II. Bataillon ernannt. Es ist schwer sich über diese Welt zu erheben«.

 Fontana Secca, 10. VI. 1918

»Gestern habe ich den ganzen Tag durchgefastet, weil ich vorgestern zu sehr dem Essen (ich habe schwarzen Kaffee getrunken und anderes) ergeben war. Es war genug schwer: der Mensch ist zu viel der Sklave seines Leibes. Weil ich nichts gegessen hatte, war ich übler Laune. Am Abend half mir die Gnade Gottes. Als ich meinte der Einsamste zu sein – und ich bei der Mannschaft befand – hörte ich wie einer Nationalieder vorlas. Ich nehme dieses Buch und begann zu lesen, dann spreche ich mit den Leuten und sie werden, wie von einer geheimen Kraft getrieben, begeistert. Ich schreibe dies der Wirkung der Gnade zu. Der Mensch kann erzählen und erklären soviel er will, wenn er aber nicht ein Mensch à la bonheur ist, so bleiben die Worte unfruchtbar. Unserer Generation fehlt der starke Wille«.

Hans hatte an der Front verschiedene Kameraden. Einer war ein Baron und Morphinist; er weinte immer und es wurde ihm schlecht, so oft er Schießen hörte. Hans freute sich des Ankommens bekannter bosnischer Freunde, aber er wurde entäuscht.

Zingarella, 15. IV. 1917

»Draußen Schnee und Regen. Ich habe kaum mehr ein Gefühl für die Natur, seit ich mit ihr zu kämpfen gezwungen bin. Die letzte Zeit weiß ich selbst nicht wie ich lebe. Die Verbindung mit Gott ließ nach. Der Ankunft meiner bosnischen Freunde habe ich mich zu früh gefreut, denn ich erlebte nur Entäuschung. Wir waren zu lange getrennt in der Welt und unsere Anschauungen und unser ganzes Fühlen ging auseinander. Ich war der von Kummer erfüllt, denn Gott, wo Du nicht bist, dort ist auch keine Freude. Kraft, Kraft, Kraft!!! Wen soll ich fürchten, wenn wir hier Wanderer sind und es für uns Ruhm bedeutet sich durchs Leben zu schlagen und Schätze anzuhäufen für jenes große Leben. Kraft und wieder Kraft, bitte ich Dich, Herr!«

In der oberflächlichen und verdorbenen Gesellschaft, die ihn umgab, gab Hans der Verkehr mit Prof. R. reichlich Trost, der ihm Nazor erzählte, von seinen Werken und seinem Leben; sie erörten vieles gemeinsam und lasen französiche Dichter. Auf der Offiziersfeldwache Solarol, lernte Hans am 1. VIII. 1918 den jungen, niederländischen Maler Fabritius kennen, der ihm viel von der Insel Java erzählte. Oft gedenkt Hans seiner Kameraden auf den anderen Kriegschauplätzen und schreibt ihnen. Einige davon sind im Kreige auch schon gefallen. Als er im April 1918 als Frequanntant des Militärgaskurses kurze Zeit in Wien befand, besuchte er die Mitglieder der kroatischen Vereins »Hrvatska« in ihrem Klub, welcher Besuch ihn einen heiteren Eindruck hinterlassen hat.

Mit Schmerz und Hochachtung erinnert er sich seines Kammeraden Ivo Kuvačić, welcher im Sommer 1918 gestorben ist:

»Er war eine heilige Seele. Ewig wütete in ihm der Innere Kampf und er gelange zu einem gewissen Grade der Askese. Er war Professor ex professo; etwas was sich im gewöhnlichen Leben nicht findet. Ein begeisterter Anhänger Solovjevs; er war uns am liebsten, wenn er davon sprach. Er wollte die Sphinx seiner Nation enträtseln und war bis zum Schlsse in Unruhe«.

Aus Hans Tagebuch erkennen wir weiter klar, wie schwer er in der neuen Umgebung und an der Front gelebt hat.

Graz, 18. III. 1916

»Nun heißt es an seine Seele denken. Wir haben soviele Übungen, dass der Mensch kaum dazu gelangt, sich mit irgendeiner geistigen Arbeit zu beschäftigen. Von morgen an will ich aber doch versuchen etwas zu lesen und die Kultur meiner Seele fortzusetzen, um mich wieder in jene schöne Welt der Nacht zu versetzen. Gerade dieses habe ich jetzt am notwendigsten. Es besteht große Wahrscheinlichkeit, dass auch ich bald an die Front muss. Aufrichtig gesprochen, fürchte ich den Tod nicht, ja, dort oben ist das wahre Königreich. Nur mit dem Gedanken, ob ich wirklich dahin gelange, bin ich noch nicht versöhnt und ich bin mir nicht bewusst, ob ich ein genug starkes Seelenleben führe. Seit ich beim Militär bin, habe ich die Verbindung mit Ihm verloren und ich habe auch aufgehört über mich nachzudenken, was ich an mir verbessern könnte und ich bin mir auch darüber nicht im Reinen, ob ich auch einer guten Sache diene (nämlich als Soldat). Oft wünschte ich Schmerz und Leiden und wenn sie mich öfter befielen, fragte ich mich ob sie dem Ziele dienen. Zuletzt befällt mich auch der Gedanke ob ich tatsächlich auch den Eid ablegen musste, mit anderen Worten, feierlich vorsprechen, gegen jene zu kämpfen, welche die Herren in den Kanzleien bestimmen. Immer war ich gegen den Krieg; am liebsten möchte ich alle Menschen umarmen und sie untereinander versöhnen und nun soll ich sie töten! Nehmen wir den Fall, dass wir gegen einen Tyrannen kämpfen, da wirft sich die Frage auf, ob wir Menschen hier auf Erden zu Richtern auserkoren sind? Antwort: »Nein«. Aber dem gegenüber sehen wir wieder Fakta: das Wunder der Jeanne d'Arc und die Kriege Ludwig des Heiligen, was ein klarer Beweis ist, dass auch die Vorsehung zugelassen hat, materiell gegen die Unterdrücker der Seele zu kämpfen. Dieser Beweis ist stärker und ich könnte mich trösten, dass der Kampf gegen die Italiener seitens der Kroaten eine Art heiligen Krieges sei«.

Graz, 20. III. 1916

»Vieles könnte ich schreiben; aber ich weiß, dass alles abgerissen schiene, wie meine Gedanken ungeordnet sind. Dazu bin ich von den Übungen müde. Also; gestern hörte ich den Troubadour… Auch in »Maria Trost« war ich. Es ist mir lieb, dass ich gegenwärtig wenigstens kleine Leiden ertragen muss. Im Verhältnis ist das nichts, nur eine körperliche Müdigkeit, wonach man ausgehungert sich hinlegt und wie eine Kanone schläft. Ich leide gerne; wenn ich auch bei diesen Worten zittere, fürchte ich, dass sie zu stark sind. Es leidet mehr meine Mutter, mein Vater und jene Millionen Arme, die die größten Leiden ertragen würden für eine Brotrinde. Und ich habe ja alles«.

Graz, 23. III. 1916

»Jetzt, da ich mich ein wenig zurechtfand, (die Seelenkämpfe haben wieder begonnen!) werde ich bald nach Wildon müssen. Ich bin mit mir selbst unzufrieden; ich sehe, dass ich während der kurzen Militärdienstzeit geistig zurückblieb. Sicherlich trägt die Schuld das neue Leben, in dem ich mich noch nicht recht orientieren konnte. Unbekannte Beispiele möchte ich einführen. Ich bin etwas hungrig und damit ich nicht unaufhörlich esse, esse ich dreimal täglich. Und sonderbar: hier sind Speisen mit Nüssen, Bisquits und ähnlichen Dingen für verzärtelte Kinder. Immer empfande ich, dass es eine Willensschwäche ist, sich diesem sinnlichen Genusse hinzugeben. Der Mensch brauchte überhaupt nicht an's Essen zu denken, sonder er sollte essen, was man ihm bringt. So machte ich es zu Hause, aber hier bin ich noch im Zwiespalt: es gibt wenig zu essen und nichts nahrhaftes. Der Organismus ist wie vergiftet, immer fühle ich dies Bedürfnis neben der gewöhnlichen Kost noch etwas süßes zu mir zu nehmen. Möglich, dass dies Gewohnheit ist, wie das Rauchen, Morphium und ähnliches. Mit der Zeit will ich trachten, mir es abzugewöhnen. ‚Iudicaberis ex facto, non ex scientia’ glaube ich, sagt der von Kempen. Vieleicht gehört eine so prosaische Sache nicht ins Tagebuch, aber in meinem jetzigen Leben spielt sie eine Rolle. Es handelt sich bei mir nicht mehr um theoretisches Christentum, sondern ich bin ein Mitglied der Gesellschaft geworden und muss praktischer Katholik werden. Und dieser, scheint mir, offenbart sich in diesen alltäglichen Kleinigkeiten. Die bitterste Sache aber ist jedenfalls das Militär. Christus hat faktisch gesagt: gebt Gott, was Gottes ist und dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und trotzdem habe ich mich hier nicht zurechtgefunden. Ich rechne mit Fakten: den Menschen töten. Sobald ich es bedenke, kann ich micht nicht erkennen. Ja, ich träumte nur immer von Brüderlichkeit und Liebe. F. sagt mir, die katholische Moral fordert hier dem Kaiser Gehorsam, dass es nämlich ethische Pflicht sei, den Militärpflichten zu genügen. Für mich ist es ein großes Problem. Wenn dies in der Geschichte immer so wäre, vielleicht würde sich die ganze Zeitgeschichte nicht bewegt haben. Wer hat Staaten geschaffen und gestürzt, wenn nicht der Gehorsam. Wenn der Herr etwas schlechtes befielt, so darf es, so meine ich, der Diener nicht ausführen. Damit will ich nicht sagen, dass ich einer schlechten Sache diene; ich ahne sogar eine große Mission dieses Krieges, aber sie ist mir noch nicht klar genung. Aber ich sage auch, dass der Krieg vermeidbar war«.

Graz, 27. III. 1916

»Bei Beurteilung der Menschen schaue ich auf die Eigenart des Charakters, wie alle um mich herum, nicht nachdenkend über den Zweck des Menschen, oder überhaupt über die Frage, was der Mensch sei, wie seine Seele dem Leibe verbunden sei… mit anderen Worten, ich vermag in die Tiefe nicht einzudringen. Ich bin zuviel Egoist, mit dem Körper eng verbunden. Ich beurteile die Menschen nach dem, wie sie mich behandeln und sie sind mir nicht besonders lieb, wenn sie mich quälen. Ich muss mich über die eigenen Leiden emporheben und nachdenken, wozu sie führen und ob jener, der die Leiden verursacht, ethisch handelt (Zugsführer!). Ich bin ein sehr schwacher Mensch. Als wäre ich mit kleinen Fäden zusammengebunden. Ein wenig nur schritt ich ins Leben und schon bin ich meinen Grundsätzen untreu geworden. Nur an's Essen denke ich oft und überesse mich möglicherweise auch. Auch bin ich nicht in allem genau; bin oberflächlich. Aber die größte Qual verursacht mir, dass ich niemals Gelegenheit finde der hl. Messe beizuwohnen. Nonsens. Ich hätte Opfer bringen müssen und Gelegenheit wäre gefunden. Gerade jetzt brauche ich geistige Kräfte: muss ich aus der unversiegbaren Quelle die Liebe schöpfen, die die Seele mit Erleuchtung füllt, die lichter ist als der Tag, die sich in Seelenfrieden verwandelt, der im Gefühl von etwas Unbekannten, Unermesslichen ruht. Sehr, überaus stark möchte ich wieder zu dieser Quelle. Deus, adiuva me!«

 Wind. Feistritz, 6. IV. 1916

»Eigentlich kann ich mich auch hier nicht zurechtfinden. Um mich herum wird geschwätzt und es werden militärische Dinge gelernt. Seelisch ist meine Stimmung ärger als in Graz. Zeitweise erfaßt mich eine Wut – eine wirkliche Wut – auf die menschliche Dummheit und ich könnte alles zerstören. Die Erde möchte ich bei einem Ende erfassen und sie in die Welten gerne schleudern, dass sie umherfahre und zerstäube. Freilich, manchmal auch empfinde ich eine Befriedigung, geradezu ein Glück, dass ich ungerecht leide; dass ich ähnlicher sei Christums. Aber doch, welch' ein Unterschied. Einzig in dieser seelischen Qual kann ich mir beiläufig den gekreuzigten Christus vorstellen; um nichts, ohne irgendein Interesse sein Leben geben, sich ungerecht für die Menschheit kreuzigen zu lassen. Oh, mein Gott!«

 Wind. Feistritz, 14. IV. 1916

»Das Leben ist monoton. Es freut mich, dass ich Prof. R. getroffen habe, einen guten Freund des Dichters Nazor«.

 Wind. Feistritz, 16. IV. 1916

»Nach langer Zeit war ich wieder in der Kirche. Glänzend – so bin ich heute – erfüllt von irgendeinem Lichte, von begeisterter Liebe. Dieses mystische Leben als ob man sich plötzlich bekehrte. Mater dolorosa, mater amabilis – wie bist du gut. Den Nachmittag verbrachte ich schön mit R. und Leutnant K. Wir saßen in einem Gasthaus in Ober-Feistritz. In einem Zimmer saßen die Freiwilligen und sangen. Wir lasen Baudelaire. Dem R. gefielen einige Vergleichungen besonders gut. Er war ganz begeistert. Am meisten hat er uns die Lieder der Ljuvene erklärt, ihre Entstehung und Bedeutung. Er erzählte uns auch von seiner Liebe zur Musik. Er kennt Lohengrin, wegen der Oper Aida ist er einmal von Graz nach Wien gefahren und Tosca kann er beinahe auswendig. Er sagte, der Dichter müsse ein einfacher Kabinettarbeiter sein, der lernen, denken und an seiner Dichtung wie ein Bildhauer meiseln müsse. Die Erklärung der Gedichte werde ich ein andermal wiedergeben«.

 Wind. Feistritz, 24. IV. 1916

»Dieses sind der zweiten Ostern, die ich in der Fremde verbringe. Ostersonntag – gestern – empfing ich die hl. Kommunion und sie gab mir Kraft und füllte meine Seele mit unermesslichen Glück«.

Wind. Feistritz, 5. VII. 1916

»Ich kann nicht viel denken, Hitze, Müdigkeit, Flöhe – hoho – alles dies bringt den Menschen um. Dazu noch diese militärische Dinge lernen!«

Wind. Feistritz, 15. VII. 1916

»Dieser Tage findet die Offiziersprüfung statt, deshalb unterbreche ich fortwährend«.

 Mürzzuschlag, 15. VIII. 1916

»Zeitlich stand ich auf, ging zur hl. Kommunion und bestrebte mich, mich in dieses Mysterium zu vertiefen. Es scheint mir, als wäre ich ziemlich tief in mich selbst und in jene Welt eingedrungen. Nein, nicht alles habe ich gesehen, aber so als fühlte ich wie einen Nebel jene Gesetze, jenes Etwas, welches alles bewegt und dahinter die Madonna mit dem Kinde und außer diesem auch Jenes noch größere, welches alles was ich gefühlt, in der Hostie vereinigt«.

 Lebring, 10. IX. 1916

»In Mürzzuschlag habe ich wegen des Interesses an den Problemen des Lebens Whitmann und den St. Augustin studiert. Und jetzt fühle ich, dass eine Stagnation in der Seele entstand, denn ich bin viel unter Menschen, irre zwischen den Baracken umher wie ein in sich zurückgezogener Pfilister. Nun habe ich die Macht über 500 Soldaten und hätte Gelegenheit, »Volke zu helfen«. Ich weiß nicht, was ich mit ihnen anfange; ich moralisiere nicht gerne; einen Analphabetenkurs zu halten ist unbequem. Also ich plaudere mit ihnen, sie erzählen mir von ihren Leiden, zeige einigen wie sie schreiben sollen. Mein Seelenleben ist gerissen; ich lese Carlyle und sehe, dass er der Prophet des 19. Jahrhunderts ist«.

 Pècs, 22. X. 1916

»In dieser Zeit war ich eine Woche in Lebring und einen vierwöchigen Urlaub erhaltend, eine Woche in Banjaluka, dann eine Woche in Wien und nun schließlich bin ich eine Woche hier gelandet. In Wien kaufte ich Skripten und begann römisches Recht zu studieren; da kommt K. hierher und überzeugt meinen Vater, dass es nicht gut sei jemanden zu einem bestimmten Studium zu zwingen. Gut, der Vater lässt sich überzeugen, aber mit der Mutter gibt es noch Verhandlungen; sie will sich nicht ihrer Vorurteile über die Philosophen entledigen. Nach ihrem Urteil sind es Leute, die gebückt einhergehen, mit alten, verstaubten Halbcylindern am Kopfe, gelben Spatzierstöcken und mit der ewigen Pelerine. Aber die Sache ist fertig, ich schreibe mich auf Romanistik und Germanistik ein und als Nebenfach Kroatisch«.

 Lebring, 11. XI. 1916

»Nun muss ich wieder in diese trübe Luft, auf das nasse Feld und muss die armen Leute muntern, Vater und Sohn zusammen, schrecklich. Wie das Leben doch die Leute verdirbt. So stirbt Generation auf Generation aus«.

 Zingarella, 31. III. 1917

»Der Krieg kann nicht lange dauern. Ein alter Mann aus Sinj erzählte mir, dass man ihm von Zuhause schreibt, in einem Hause wären neun Personen Hungers gestorben. N. flocht zwischen den Zeilen eines Briefes an mich die Notiz ein: »das Volk hier hungert. Zwischen Pale und Višegrad sterben sie an Hunger«. Dieser Tag sind zwei Führer zu den Italienern überlaufen, ein Schreiben hinterlassend, in dem sie die andere auffordern, ihrem Beispiele zu folgen. Der Krieg dauert schon zu lange und die Leute sehen nicht ein, warum sie kämpfen; dazu erhalten sie noch fatale Nachrichten vom Hause. Die politischen Verhältnisse, besonders der Plan der Deutschen, dass im Staat die deutsche Sprache eingeführt werde, wird die Mannschaften auch beeinflußen. Die Leute hier hungern; heute sogar ist nicht einmal Kukuruzbrot (besser gesagt Kommis) zu haben, sondern nur Zwieback«.

Zingarella, 17. IV. 1917

            »Die Italiener haben genung geschossen. Wenn die Kanonen dröhnen, denke ich, dass mir der hl. Franziskus predigt: Advenae et peregrini sumus. Ich sehe, wie ich beim Militär die Seele verliere. Aber habe ich denn das Recht mich mit Gewalt jenem zu wiedersetzen, welches meine Seele brechen will? »Wenn Dich jemand auf die eine Wange schlägt, biete ihm die andere an«. Revolutionen sind also gerechtfertigt? Demut, Revolution, ich weiß nicht wie sie übereinstimmen, nur davon bin ich überzeugt, dass der Krieg nicht zeitgemäß ist, denn die Feindschaft zwischen den Nationen besteht tatsächlich nicht, sondern nur die Feindschaft zwischen den Klassen. Der moderne Krieg ist Revolution«.

Monte Rasta, 9. IX. 1917

»Schwere Verhältnisse sind eingetreten. Hier muss ich öfter Patrouillengänge unternehmen. Die hl. Eucharistie ist hier nicht zu haben, als ob das Agnus nicht mehr das Zentrum des Kosmos bildete, als ob Er nicht mehr bestünde. Gott, du Tröster, komme, meine Natur mit den Atomen der Ewigkeit zu durchdringen, damit ich auf diese Weise – Dir ähnlicher – den Lauf des Seienden verstehe. Für Reue sorgen die anderen Staaten, aber die hl. Eucharistie ist ihnen Nebensache! »Fili, non aegre feras si quidam de te male senserint et dixerint, quod non libenter audias. Tu deteriora dete ipso sentire debes, et neminem infirmiorem te credere«. «

St. Gregorio, 27. I. 1918

»Das Leben ist schwer; ich strebe nach Abstinenz, aber es geht nicht so leicht. Ich bin bestrebt mir das Frühstück abzugewöhnen und das Essen am Nachmittag. Einige Tage schon schlafe ich auf der Erde und will auch versuchen, früher als gewöhnlich aufzustehen (wenigstens um 6 Uhr), damit ich mich mehr mit Gott befassen kann. Ich spreche zu viel, bin zu viel in Gesellschaft und schwach im Leiden. Wenn unser Regiment ins Gebirge in »Stellung« geht, will ich mich freiwillig melden, um mit ihnen hinauf zugehen, damit ich mich wenigstens gewöhne an das Erwarten des Todes. Herr hilf mir!«

Fonzaso, 5. III. 1918

»Es erschien eine Verordnung, nach welcher ich einen dreimonatlichen Urlaub zur Fortsetzung der Studien erhalten könnte. Aber ich fürchte mich davor. Ich fürchte den Hunger und glaube, dass ich mich nicht vollständig dem Studium widmen könnte. Ich will trachten demutsvoll den Willen Gottes zu erfüllen, dass ich nicht gierig sei nach der Wissenschaft und dass ich soviel arbeite, als ich vermag. Studium darf nicht Selbstzweck werden, es muss, bei aller Schönheit, die es in sich selbst birgt, etwas zum Reiche Gottes auf Erden beitragen. Deshalb denke ich, dass, bei aller Liebe zu seinem Fache, jeder Mensch sozial leben muss im Leben und dass er jenen hilft, welche leiden. Denn das Studium ist en Produkt des Leidens: die Technik will dem Menschen in materiellen Unfällen Erleichterung schaffen und die Kunst betrachtet das leidende Leben der Menschen und zieht daraus ideelle Konsequenzen. Das Leben ist alles… Ich denke als Schüler in dem Verein des hl. Vinzenz (internationaler, religiöser Hintergrund) zu arbeiten, dann in der »Hrvatska« (national-religiöser Hintergrund).

Weiters ist es notwendig danach zu streben, nur zweimal täglich zu essen, umso materiell frei zu sein. Aus Prinzip will ich nicht in der übrigen Zeit essen, selbst wenn es mir jemand anträgt. Auf die Beherrschung des Körpers darf ich nicht vergessen. Hartes Lager, frühzeitig aufstehen, zeitweise strenge fasten, so, dass ich in jedem Moment mit meinem Körper machen kann, was ich will. Die Pflege der Gesundheit und der körperlichen Schönheit ist ebenfalls wichtig. Einen schauderhaften Eindruck machen die Geistlichen, die Nonnen und andere gute Menschen, wenn sie in ihren Äußeren vernachlässigt sind oder ein unästhetisches Betragen zur Schau tragen u.s.w. Die neue Generation muss gesund sein, heiter und schön, das, was hässlich ist, ist eine Folge der Sünde. Deshalb muss der Mensch sich beherrschen und die Pflege der Gesundheit und Schönheit als Mittel betrachten zu seiner Selbstbeherrschung und zur Stärkung des Willens. Gott darf niemals vergessen werden! Nach der Vereinigung mit Ihm streben. Täglich – am besten den frühen Morgen – zur Betrachtung und zum Gebet benützen, wenn möglich in der Nähe der Eucharistie oder bei der hl. Messe. Diese Stunde muss die Quelle des Tages sein, in dieser Stunde soll der Mensch die ganze Welt vergessen, verlieren alle Sorgen der Welt, alle Nervosität des Lebens, dass er ruhig sei wie einst in der Wiege. In dieser Stunde müssen die Pläne für den nächsten Tag gefasst werden, es muss nachgedacht werden über seine Fehler und gebetet werden um Gnade, dass die eigene Schwachheit beherrscht werde. Es wäre schrecklich, wenn dieser Krieg mir nicht geistigen Nutzen gebracht hätte! Ich darf nicht so leben, wie ich vor dem Kriege gelebt habe, ich muss ein neues, neugeborenes Leben beginnen im Geiste eines neuen, erkommenden Katholizismus. Gott, der Herr möge mir aber Hilfe leisten, denn der Mensch alleine, vermag nichts aus sich selbst!«

 Mte. Solarol, 100ˣ unterhalb ¤ 1672, 15. VI. 1918

»Wir führen ein beklagenswertes Leben. In einer finsteren, feuchten italienischen Kaserne nächtigen wir. Hier ist unser Bataillons-Kommando. Ich übernahm die Adjutantur und bin so beschäftigt, dass ich kaum zum Beten Zeit finde. Hier wird viel geschossen. Gestern fielen hier 12 Mann. Die Gräben sind blutig; die Mannschaft von der Feuchtigkeit und vom Unwetter krank. Wahrlich ein schweres Kreuz für die Leute. Ich danke Gott, dass ich vollkommen gesund blieb in dieser Feuchtigkeit. Nebel und Kälte geißeln uns. Man erzählt, dass sich unsere Truppen vom Montella zurückzogen. Das dokumentiert glänzend unsere Führung, mit anderen Worten, die Unfähigkeit des österr. Systems. Gottes Finger ist hier auch im Spiel. Überall hat eine Handvoll östrr. Soldaten die italienische Übermacht überwältigt und jetzt kann die Übermacht (die materielle und der Zahl der Soldaten nach) Österreich das schlechte italienische Heer nicht bewältigen. Ja, nach den Schätzen der italienischen Ebene waren sie lüstern. Die Sünde ist der Anlaß zu den größten Katastrophen der Menschheit. Der Sinn des Lebens ist das Mysterium Crucis; ich muss daher mit meinem gegenwärtigen Zustand zufrieden sein. Aber es ist zu schwer einem System Dienste zu leisten, welches den Menschen und seine Ideen vernichtet«.

Solarol (Kaverne), 11. VII. 1918

»Ein bitteres Leben! Ich schlafe nicht mehr in der nassen Kaserne. Mein Lager habe ich in einer offenen Baracke zwischen der verlausten Mannschaft aufgeschlagen. Ich bin voller Läuse, unrein und lebe wie ein Tier. Ich kann nicht mehr denken. Helfer sind die Momente, wenn die Menage kommt. Auch an das Schießen habe ich mich gewöhnt… Minen und Granaten donnern und schwirren um uns, fliegen und rauchen über unseren Köpfen, aber wir bücken uns kaum um den Kopf vor den Gellern zu bergen. Wenn man längere Zeit an der Front ist, wird die Todesgefahr zur alltäglichen Sache und man denkt wahrlich wenig an den Sinn des Lebens. Dies allerdings nur solange man keine Toten sieht, und man dem Tode nicht ins Antlitz sieht. Die Explosionen der Minen wirken wie Donnerschläge, aber nichts weiter. Ich würde mich des Vorstürmens nicht fürchten und würde – so scheint es mir – heldenhaft sein, wenn dieses Ding eine ideelle Grundlage hätte. Dann würde ich mich auch in der Heldenhaftigkeit üben. So aber bin ich gleichgültig und lege mein Schicksal in die Hand Gottes, der weiß, was für mich besser sei; warum sollte ich mich also fürchten?«

Solarol (Kaverne) 13. VII. 1918

»Unsere Baracke wurde von einem Volltreffer getroffen. Dem Šimo wurde der Kopf abgerissen, Šobata und andere wurden schwer verwundet und den Klapec hob er in die Luft und warf ihn einige Meter weit. Ich sah wie ein aktiver Hauptmann, ein 40-jähriger Mann, weinte, da er einen Mann verlor. Auch die anderen waren erschrocken. Ich habe es dem Gebete meiner Mutter und meinem goldenen Freunde zu verdanken, dass ich am Leben blieb, denn ich – wiewohl ich viel an Gott denke – bete eigentlich sehr wenig. Den ganzen Tag liege ich in der Kaverne, esse ein wenig, schreibe auch zeitweise, aber ich kann mich nicht sammeln, um in das ungeheuere mystische Meer einzudringen. Irgendeinen Tag sah ich einen Geistlichen, oh, wie gerne hätte ich die Hand geküsst, die den Heiland gehaltene. Soll ich mir bessere Tage wünschen, wenn ich bedenke, dass auch ich dorthin gehen werde, wohin Šimo ging. - Oh, Gott es wäre am besten, ich wäre schon bei Dir. Verbrenne mit der Flammen Deiner Barmherzigkeit alle Parasiten der Sünde, die sich in meiner Seele einnisteten, damit ich gut und heilig vor dir erscheinen kann; oder aber, dass ich wenigstens im Leben von heiliger Freude und übermenschlichen Willen erfüllt sei. Es ist leicht zu schreiben, aber es ist schwer heilig zu leben«.

Solarol (Kaverne) 26. VII. 1918

»Wir sind lebende Tote. Den ganzen Tag liege ich im Schützengraben und denke ich sei in einer Gruft. Nirgends Freiheit, Licht. Die Lampe brennt, Hauptmann G. liest den Dorian Gray, ich empfange Schriften und lege sie in die Aktentasche, warte bis die Menage kommt. Wahrhaftig, ein Leben, unwürdig eines Menschen. Würde ich nicht an meine Eltern denken und an die Heimat, dann ich hoffe, dass auch dieses Leben ein Ende nehmen werde, ich bleibe nicht eine Minute hier«.

Offiziersfeldwache
(zwischen Fontana Secca und Mt. Solarol)
31. VII. 1918

»Ich bin ein großer Sünder; lebe wie ein Tier, esse und bin ein Sklave«.

 Banjaluka, 2. XI. 1918

»Jugoslavien ist frei! Vor vier Tagen hat sich das hiesige Militär (dalmatiner Kavallerie) »befreit«. Sie drangen in die Verpflegsmagazin ein und plünderten sie aus. Auch das Spital beschädigten sie stark. Verbrechertypen aller Art, feiges Gesindel der verschiedensten Stände, sowie italienische Kriegsgefangene zeigten ihren Heroismus. Die Schießerei wiederhallte den ganzen Tag. Diese 2 Tage wurde das Militär abtransportiert und der Nationalrat übernahm die Macht. Die Mehrheit sind Serben, welche mit unermündlichen Energie arbeiten und zeigen, dass sie wirklich die Freiheit verdienten. Ihre Leiden und Tränen, die sie diese letzten Jahre in Kerkern erduldeten und vergossen, haben sie gestärkt. Die Kroaten arbeiten sehr wenig und jede Aktion hat serbischen Charakter. Die Ordnung haben sie bald hergestellt; sie gründeten ein nationales Militär. Wenn ich mich auch der Freiheit freue, kann ich mich dennoch nicht zurechtfinden. Alle sehen auf mich mit einer gewissen Geringschätzung, als sei ich ein »Fremder«. Aber ich glaube, dass diese Krise bald überbrückt sein werde. Jetzt kann ich daraus lernen und zeigen, dass ich geistig frei bin, keine Angst fühlend vor den Instanzen, welche auf die »Fremden« mit scharfem Auge wachen. Nein, alles ist in Gottes Absicht gelegen, deshalb fürchte ich weder für die Eltern, noch für mich; Er ist unser Vater und Er sorgt für seine Kinder – und das usque ad mortem. Tisza, so spricht man, sei verwundet worden, in Wien und Budapest herrscht Aufstand. Die Front zieht sich zurück und die Entente hat den Jugoslavischen Staat anerkannt. Es ist Friede und ich bin Zivilist«.

Maslovare, 21. XI. 1918

»Ich bin ein Vögelein Gottes, das zum Wasser flog, um zu trinken«.

Maslovare, 27. XI. 1918

»Ich führe ein sehr bequemes Leben (gegenüber dem Leben an der Front); ich kann sagen, ein ideales Leben. Ich arbeite für mich und lese so viel ich will, ich frage das Volk aus und speziell die Weiber. Die Unmoral hat sich sehr verbreitet. Die Weiber sind in Geschmacklosigkeiten und Eigensinn versunken; speziell eine schöne Wirtin, die sich in ihrem Eigensinn niemandem unterordnen will. Ansonsten kritisiere ich viel die andere und ich bin selbst ein arger Schwächling. Ich fürchte mich vor Wölfen und habe wenig früher auf den Hund des Besitzers Urbais geschossen, aber ihn zum Glück nicht getroffen. Hier ist angenehme Angelegenheit zur praktischen Übung des Glaubens, indem ich nie finstere unheimliche Orte besuche: Gott, Gott besiege in mir diese unwürdige Schwäche!«

Dem Tode in die Augen

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Ich bin überzeugt, dass alles seinen Zweck hat, auch dieser Krieg und meine kleinen Leiden. Durch die Leiden sieht der Mensch alles anders und versteht tiefer das bittere Wort: Leben. Diesen Gedanken bestätigt mir der Heilige von Kempen (De im. Ch. II. 12): »Ecce in cruce totam constat, et in moriendo totum iacet« und außerdem viele Stellen in Evangelium, wie z. B. Lukas 9, 23.: »Und zu allen sprach er: wer mir nachfolgen will, der soll sich selber entsagen, sein Kreuz täglich auf sich nehmen und mir folgen!« Ebenso die rührende Worte: »Jesus sagte ihm: die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel des Himmels ihre Natur, aber der Menschensohn hat kein Obdach, das seinen Haupte Schutz bieten könnte« (Lukas 9.58.). Wieviel erinnern mich diese Worte an diese Kriegszeit, da die Menschen soviel erdulden müssen, ohne dass es notwendig sein müsste. Alles dieses nur der schlechten Menschen wegen, die ein Nachtlager verweigern, welche den Krieg verlängern. Es scheint mir, als ob es immer so sein müsste, denn Christus sagt: »tollat crucem suam quotidie« und in unaufhörlicher Qual und Huldsamkeit besteht das Mysterium dieses Lebens. Ja, es ist leicht in warmer Stube dieses auszusprechen, mit Geld in der Tasche und mit Nahrung versorgt, aber das Leben bedeutet jenes unsichtbare geistige, ohne irgendeiner Vergänglichkeit. »Und er sprach zu ihnen: nehmt nichts mit auf den Weg, nichts, weder Sack, noch Brot, auch kein Geld, habet auch nicht zweierlei Kleider!« (Lukas 9.3.). Ja, der Schmerz ist das Mark des Lebens, er beherrscht es, er ist der Beginn der Religion. Wo sie nicht ist, können wir von einem wirklichen Leben nicht überzeugt sein. Der Schmerz, dieses so einfache Wort, bedeutet: kein Brot haben, krank sein, in ewiger Lebensgefahr schweben, schwere Bürden tragen, ungerecht zurückgesetzt und gestraft werden; dieses alles bedeutet Schmerz, dieses alles macht Geschichte und nach verschiedentlichen Erschütterungen, kehrt ein Teil der Menschheit wieder auf den wahren Weg zurück. Die Mehrheit der Menschen leidet; einer mehr, der andere weniger; aber das Leiden besteht immer.

Ja, das Leben und Leiden spricht, dass der Körper nichts ist, dass das Grab kommt, und die Menschen fühlen instinktiv, dass damit auch der Lohn kommen wird. Und gerade die Menschen, welche gelitten haben, werden am besten wissen, was der Schmerz ist und das Leid. Es ist ein schrekliches Ding. Sie haben schon Angst vor diesem Leiden auf Erden und wie erst, wenn sie an die großen Qualen im Fegefeuer denken oder gar in der Hölle. Ja, wunderlich mögen diese Worte jenem dünken, der niemals langdauernde Schmerzen gefühlt, welche ihm auch im Schlafe keine Ruhe geben und ihm immer verfolgen wie ein Verhängnis. Führwahr, den Menschen, welcher gleich Prometheus der Verehrung jener höheren Kraft entsagen wollte, diesen Menschen führt dieses unbarmherzige Leiden und das lebendige Bewusstsein an ein jenseitiges Leben zurück zur Religion«.

 Zingarella, 19. V. 1917

»Man sagt, dass heute Nacht ein großes Feuer auf die Italiener beginnen werde, um sie zu täuschen und zu veranlassen ihre Truppen hierher zu ziehen. In der Nacht haben die Italiener irgendeinen Berg uns weggenommen; die ganze Nacht hindurch, war ferner Kanonendonner zu hören, ein Trommeln, als wäre dort eine große Kegelbahn, ein dumpfes, unregelmäßiges Rollen«.

 Singarella, 6. VI. 1917

»Öfter werden Verwundete vorbeigetragen. Am ärgsten ist die Wirkung der Minen; sie zerreißen den Körper und verwunden schrecklich. Flugzeuge gibt es eine Menge; die Geller blitzen um unsere Köpfe. Außerdem beschießen die Italiener mit schweren Kalibern die Wege«.

 Zingarella, 12. VI. 1917

»Samstag in der Nacht führte ich zwei Kompagnien des 14. Inft. Rgts. vom Malga Cima. Die Mannschaften, müde vom Marschieren konnten kaum beruhigt werden, als sie, wie ich später erfuhr, weiter auf den Monte Formo gehen mussten. Vor der Morgendämmerung kehrte ich zurück, legte mich nieder, aber im Schlafe höre ich das Schießen und Pfeifen der Artillerie-Geschosse. Die Italiener begannen ein kleines Trommelfeuer und die Granaten explodierten um unsere Baracken. Ich schlich mich mit den Leuten zum Regiments-Kommando, trotz der Explosionen der Lufttorpedos, die die Erde erschütterten. Großer Lärm, Schreien, Pfeifen, Geprassel. Alle möglichen Töne, auf welchen sich der Teufel in seinem Übermut balancierte, wie auf einem gespannten Gummiseil. Als ich gestern nach der Inspizierung der Wache zum Regiments-Kommande rückkehrte und in die Baracke lief, wo sich auch Dervišević befand, sprach er mit gedehnter Stimme: »Ich fürchte mich nicht, Bruder, nicht im geringsten, die Kugel soll mich treffen. Am Isonzo habe ich zu Gott gebetet, er soll mich nicht schonen; man kann nicht leiden und die Menage tragen, auf der mehr Kot ist, als sie selbst schwer ist. Nur um die jungen Menschen tut es mir leid, wie du einer bist. Glückliche Reise, vertraue auf Gott und fürchte Dich nicht«.«

Zingarella, 18. VI. 1917

»Ein großes Feuer, dass die Sonne verdunkelt. Ein Höllenlärm am Monte Zebio, die Fenster klirren unaufhörlich von den furchtbaren Minen. Aus dem hellen Tag entstand ein trüber. Durch das Tal – Straßensperre – zieht langsam der Nebel und bedeckt alles. Es ist 7 Uhr morgens und nun nach dem Feuer kommt der Regen…«

Zingarella, 20. VI. 1917

»Von einem Höhepunkt - oberhalb des Regiments-Kommandos – beobachte ich das Trommelfeuer auf den Monte Zebio. Die Erde siedet, längs einer ganzen Front erheben sich die Rauchstrahlen der Explosionen, weiß, dunkelrot, rötlich. Unaufhörlich und immer an einer anderen Stelle spritzen diese Strahlen zur Höhe. Dann wieder fliegt eine Granate hinter der Kampflinie, staubt auf und wirft einen schwarzn Strahl hinauf. Ein ohrenbetäubender Lärm in den verschiedensten Nuancen. Von der Schießerei sind alle Fenster in der Baracke zersprungen. Die Flugzeuge kamen herangeflogen, gleich einem Schiffsgeschwader, würdig, in bestimmten Reihen – »schachbrettförmig«. Oberhalb uns stießen sie auseinander und werfen auf uns weiße Bomben ab.

Eine davon fiel kaum 100 Schritte vor uns, erschütterte die Erde und warf eine ungeheuere Wolke schwarzen Rauches auf. C'est la vie, c'est la historie«.

Zingarella, 26. VI. 1917

»Gestern Nachmittag um 4 Uhr marschierte ich auf den C. d. Campo Verde. Von oben sah man eine italienische Kampfgruppe und den weißen Rauch der um sie explodierenden Granaten. Bei der Division übernahm ich silberne Medaillen, um sie nach Baitle zum III. Korps zu tragen, denn der Kaiser wird hierher kommen und selbst die Leute auszeichnen. Bei der Division herrscht großes Gedränge; Automobile, Pferde, Wagen, Artilleriemunition, Geklirr von Drähten und Geräusch der Apparate zum Sprengen. Transporte verwundeten Italiener (ans Porta Lepozze) in Stahlhelmen. Zerissen und blutig. Es gibt darunter Fakine und schöne kultivierte Männer, gut rasiert mit schwarzem Bart. – Mysterium crucis… Von der Kote 1949 ist ein herrlicher Blick ins Tal – 800 m unter uns ein Wachholder- und Buchsenwald; Gras, Blumen und verschiedentliches Laub. Es erzittert einem das Herz vor Freude, vor dieser Herrlichkeit, wenn man längere Zeit wieder eine so schöne Landschaft vor sich erblickt. Nun gingen wir wieder hinunter ins Tal der Assa und dann nach Baitle. Heute um 10 Uhr Vormittag kehrten wir wieder über Ghartela (eine ganze Stadt) und über die Kote 981, durch Galviasor, unser Quartier«.

Monte Rasta, 9. IX. 1917

»Die Aussöhnung, der Frieden, welchen Papst den kriegsführenden Völkern empfohlen, wird keinen Erfolg haben, denn er hat heute keine Macht über sie. Früher, da war es anders…, denn die Völker, einig im Glauben, hatten Vertrauen zu ihm. Der heutige Papst, folgt den Spuren seiner Vorgänger, denn er steht über allen Nationen und gibt jedem sein Recht. Aber des Papstes Worte fallen auf unfruchtbaren Boden, weil jeder Staat seinem eigenen Interessen folgt und von gemeinsamen Kulturbestrebungen nichts hören will. In dieser Hinsicht sind heute alle Staaten demoralisiert und denken, dass nur die Macht und Stärke den Frieden bringen wird und große Ideen seien unnütz. Gerade jetzt sehen wir, wie notwendig es sei, dass das Papstum seinen eigenen freien Staat besitze, dass es kosmopolitisch wirken könne, denn wir sehen, wie es gegenwärtig ist, dass die italienische Zensur die wahren Interesse der übrigen Nationen zerstört. Heute bestehen zwei Wege, um zum Frieden zu gelangen, mit Gewalt, d. i. dass die eine kriegsführende Partei gezwungen wird Frieden zu schließen, oder…, durch Revolution, denn so wie heute die Staaten gestimmt sind, können nur die expansiven, nationalen Interessen etwas erreichen und Vorschläge, oder international Konferenzen über den Frieden sind nichts anders als Utopie…« (Brief an seinen Vater).

Monte Rasta, 20. IX. 1917

»Am 18. früh feuert die italienische Artillerie unuterbrochen. Wir blieben vier Stunden in der Kaserne. Einige Häuser wurden zerstört. Heute, um Mitternacht plötzlich Geschrei und Rufe: Allarm, die Italiener rücken vor. Schon seien sie da! Es entsteht große Verwirrung, schon sehe ich sie, in der Fantasie, über die Böschungen stürmen. Nun müssen sie schon hier sein. Ich springe hinaus, die Mannschaft ordnet sich in Reihen und wartet. Ich frage draußen nach, die Wache sagt: »Die Lampe leuchtet auf, die einen warfen sich nieder und die anderen springen nach vorne«. Wir schauen, schießen Leuchtraketen ab, die Feldwache kehrt zurück, aber von Italienern keine Spur. Dieser Tage, heißt es, sollen wir an den Isonzo«.

Monte Rasta, 26. IX. 1917

»Ein wenig früher, sah ich wie einer unserer Flugzeuge abstürzte. Zuerst sah man Rauch, dann loderte gelbes Feuer auf und er stürzte senkrecht zu Erde, hinter sich weißen Rauch ziehend nieder. Er fiel mitten in Assiago nieder, neben einer kleinen Kirche, von wo noch lange danach eine Rauchwolke aufstieg. Die Leute sagten, sie sahen den Piloten fallen »Wie einen Fes«. Schnell danach sahen wir wie auf die zwei markierten Straßen, der nordöstlichen und östlichen, die nach Assiago führen, Staub aufwirbelt. Autos rasen in die Stadt, zur Stelle des Sturzes. Es waren dies zwei starke Bilder; zwei kleine Exzerpte aus dem Weltkrieg. Ein brennender Flugzeug, und ein Mensch, der wie »ein Fes« niederstürzt. Tod und Schmerz!«

Homec, 27. X. 1917

»Übergang über den Krn. Der Mond übergießt mit seinem Licht die beschneiten Berge. Die Italiener verließen überstürzt den Krn, die Magazine gefüllt mit Nahrungsmitteln, Wäsche und Schuhen; in den Unterständen Malrequisiten, Apparate und andere wertvolle Sachen. Wir nächtigten auf und unter »Decken«. Den nächsten Tag Abstieg. Unterwegs finden wir Geschütze, Maschinengewehre, Champagner, Hühner, Kaffee, lauter Dinge, die bei uns eine Seltenheit sind. Der ganze Weg vom Krn hinunter ist übersäet mit den von den fliehenden Italienern zurückgelassenen Sachen. Wir marschieren weiter von Dreznica nach Karfreit. Hier finden wir wieder Schuhe, ganze Autokolonnen, Bizikeln, Gewehr, verstreute Schriften, Telephone. Die Mannschaft aß die ganze Zeit, wechselte die Wäsche und füllte die Rucksäcke mit Nahrungsmitteln und sangen. Auf erbeuteten Wagen verluden wir die Rucksäcke und die Leute marschieren nun erleichtert weiter«.

 Tarcento, 30. X. 1917

»Es war ein schwerer Weg. Der Regen peitschte uns ins Gesicht, alle Brücken sind zerstört; wir müssen in der Nacht durch Kotsümpfe waten. In solchen Zeiten erfasst Verzweiflung des Menschen Seele. Aus einer Gefahr in die andere tritt der Soldat. Wir nächtigten in Pascoli. Wir wunderten uns Reis vorzufinden. Gestern blieben wir in Molmento. Ein schönes Städtchen, Nahrung und andere gute Sachen in Hülle und Fülle. Soviel findet man bei uns nicht einmal in Friedenszeiten. Die Einwohner flüchteten und unsere Soldaten plündern umbarmherzig. Die Offiziere suchen die Apotheken nach Alkohol ab. Es ist ein Graus zu sehen, wie Wäsche, Hosen, Nähmaschinen umhergeschleudert in den Häusern liegen. Ich denke da an meine Eltern, so ein großes Unglück wäre es, wenn sie ihr Heim flüchtet verlassen müssten und all die Dinge, die sie in langer Zeit gesammelt, der unbarmherzigen Soldateska überlassen müssten, welche in Zeiten des Sieges wie die Tiere nur an sich denken. Schrekliche Bilder!«

Feltre, 13. XI. 1917

»Da mir einige Aufzeichnungen in Verlust gerieten, muss ich die wichtigsten Begebenheiten vom neuen verzeichnen. Am 25. in der Nacht bei Mondschein Übergang über den Krn, der mit Schnee bedeckt war. Eine herrliche Landschaft. Die von den Italienern verlassenen Gräben voller Nahrungsmittel: Brot, Konserven, Wein. In der Offiziersmenage Champagner und andere wichtige Sachen. Wir nächtigten am Krn, dann Abstieg nach Karfeit. Die Einwohner betrunken. Aus Freude. Eine alte Lehrerin singt. Die Deutschen brechen in die Häuser ein und benehmen sich wie wahre Barbaren. Wir marschieren weiter über Homec, Bergogne, Pascole, Molmento nach Torcento. Unsere Truppen plündern erbarmungslos die verlassene Stadt. Die Offiziere streifen um die Apotheken. Ein reiches Land. Käse, Kaffee, Öl, Reis in Hülle und Fülle«.

Santa Maria, 18. XI. 1917

»Gestern wurde am Cornelli gekämpft. Von der Kote 1093 beobachte ich wie unsere Artillerie einen Berg beschießt. Früher ist auf einem Wege eine Panik entstanden. Die feindliche Artillerie feuert auf unseren Train; vernichten eine Batterie. Hier fand Hauptmann Huber den Tod. Die Welt denkt an Medaillen, an die Ehre des Regiments. Die Italiener, die sich übergeben wollten, wurden alle niedergeschossen. Dieses Morden und Schinden eckelt mich an und wenn ich dies betrachte, verliere ich alle apstrakten Begriffe (Patriotismus, Ehre). Ich liebe die Menschheit, liebe hauptsächlich die kleinen, unbekannten Menschen, die auf ihren Rücken die ganze Last der Geschichte tragen«.

Tagliamento, 5. XII. 1917

»In der Nacht auf den 3. wurde am Tagliamento gekämpft. Auf dem östlichen Ufer des Flusses hat der Stab genachtmalt bei Feuer und Mondschein. Man hörte das Feuern und Schießen, das Knettern der Maschinengewehre und das Krachen der Handgranaten. Darauf kommt der Befehl zum Vorgehen und bei klarem Mondschein überschreiten wir die Brücke. Auf der Insel plötzlich Stillstand. Hier erwartet uns ein Schrapnelregen, der uns wie Blitz und Donner mit Eisen überschüttet. Viele sind verwundet worden. Wir suchten Schutz unter dem Eisenbahndamm, aber schlafen konnten wir nicht, denn die Kanonen auf der linken Seite haben nur zu gut gezielt. Aber auch den zweiten Brückenteil hat die vierte Kompagnie erobert und nun stürmen auch wir ihnen nach«.

Rocca, 17. XII. 1917

»Zwei ‚Dreißiger’ schießen schon den ganzen Nachmittag – wie man sagt – gegen den Monte Grappa. Das ganze Dorf erzittert und das Feuer sprüht aus dem Rohr hervor, dass es ein Graus ist. Gestern hatte die Offensive gegen Italien beginnen sollten, aber der Schnee verhinderte sie. Sie soll, wie wir hören, heute Nacht beginnen. Unser Regiment ist schon nahezu einen Monat auf Erholung. Wir waren in der Villa Pajeri in Carara alle Male, in Artena Cana, Padaveni und Fonzaso. Ich nächtige auf Heu in kaltem Zimmer und lerne langsam italienisch. Der Gedanke des Friedens – mit Russland ist bereits Waffenstillstand – erhält uns. Die Gefangenen sind nicht mehr so heiter und sorglos, wie sie es Anfang waren. Die Bürger sind in diesen westlichen Gegenden viel stolzer als die um Toppa herum, wo man uns mit Wein und Äpfeln empfing, rufend »a Roma«.«

 Rocca, 18. XII. 1917

»Die Nacht verlief ruhig. Um 6 Uhr früh donnern die ‚Dreißiger’ und das Trommelfeuer beginnt. Die Berge widerhallen. Ich gehe nach Cismone um Relaisposten aufzustellen. Eine kleine feindliche Granate schlägt 80 Schritte vor uns ein, auf der Brücke, wo der Cismone in die Brento sich ergießt. Der Ort Cismon ist zur Gänze zerstört. Die Täler rauchten und hoch in der Luft ist es als ob tausend Hunde bellten; aus der Ferne feuern die ‚Dreissiger’. Gefangene kommen an, gegen 800; schreckliche Leute; beschmutzt von gelber Erde, sehr gedrückt. Unsere Verwundeten in selbem Zustand schleichen ihnen nach. Man spricht, dass wir die Front durchbrochen aber viele Leute verloren haben; am meisten von der eigenen Artillerie«.

 Casaro Bolzano 14. II. 1918

»In meiner Gesellschaft: Schnaps, Wein und Rauch. Nein, das is keine Gesellschaft für mich. Herrgott, ich bitte dich, hilf mir mich selber beherrschen«.

Vilago bei Feltre, 25. IV. 1918

»Ich bin zum Gasschutzoffizier beim II. Bataillon ernannt worden. Es ist schwer sich über diese Welt empor zu heben. Aber, italienische illustrierte Zeitungen lesend, tritt mir die ganze Tragik dieses Krieges klar vor Augen. Die Mentalität Europas ist einheitlich! Die Staaten sind, einer vom anderen, verhältnismäßig gut getrennt und wenn wir die österr. deutschen oder italienischen Blätter lesen, werden wir sehen, dass die Tugenden und Fehler die gleichen sind. Bei den verschiedenen Nationen ist nur die Kleidung eine andere. Die Italiener malen und zeichnen überall, wie sie vorrücken, wie ihre Truppen Heldentaten vollbringen, wie sie leiden. Überall wird die Schwäche des Feindes dargestellt. Von einer objektiven Kritik keine Spur. Genau wie bei uns (und diese Leute der gleichen Mentalität bekämpfen sich). In jedem Blatt steht auch etwas über die königliche Famile. Es wird für den Thronfolger Propaganda gemacht. Wie man sieht die dynastische Idee wird zum Geschäft. Auch bei uns ist es nicht anders. Die italienischen Weiber! Ich selbst sah es nicht, aber nach den Erzählungen anderer, sind sie nicht wählerisch. Wenn die Italiener hier sind, muss dieses wohl zur Gewohnheit gehören. Alle sind gleich… Auch unsere Offiziere sprechen davon und scheuen sich nicht auch Frauen und Mütter so zu behandeln. Wahrscheinlich sind auch diese nicht besser, wie wohl sie verhältnismäßig schön, gesund und kräftig sind. Ich weiß nicht, was für eine Zukunft dieses Volk haben wird. Bei uns hat sich noch der Typ des anständigen, unverdorbenen Mädchens erhalten. Man muss mit allen Kräften bestrebt sein, dass dieser unbefleckt bleibe. Wir brauchen auf jeden Fall einen jugoslavischen Staat. Hier fühlen wir ihn schon, große Umwälzung an der Front selbst, die erwacht. Massenhaft werfen die Flugzeuge der Entente Flugzettel in die Schützengräben und Befestigungen«.

Am 3. VII. schreibt Hans seiner Mutter: »Ich fürchte, dass, wenn weiterhin mit den Menschenleben so gespielt wird, die Truppen bald versagen werden«. Aber er blickt auch viel tiefer. Am 30. IV. schreibt er dem Vater: »Die Nachrichten vom westlichen Kriegsschauplatze interessieren mich besonders… Die neuen, schweren Geschütze sind wahrhaftige Wunder der Technik. Aber alle diese Geschütze werden nicht eine einzige Nation retten, wenn sie nicht in sich selbst moralische Werte trägt. Deutschland wird trotz seiner Macht bald fallen müssen… Das ist ein unerbittliches Gesetz, das nichts gemeinsames hat mit technischer Vollendung…«.

Mte. Fontanel, 7. V. 1918

»Der Monat der Maienkönigin. Von oben herab schüttet es in Strömen und ich bin mit taktischen Studien beschäftigt, wie nie zuvor. Schön sind die Berge, aber überall aufgegraben. Ein kleines Bild: wir schauen durch ein 15 - faches Scherenfernrohr und betrachten eine kleine Gruppe von 8 Italienern, wie sie ganz komod einen Draht flechten. Unser Artillerieoberleutnant lässt voller Freude eine Salve abfeuern, eine Granate explodiert mit unter ihnen und wirft einen in die Luft. Über den Treffer freute sich der Oberleutnant und lachte und hörte nicht zu lachen auf. Es war ihm besonders lieb, »dass der Schuss die Katzelmacher so gut erwischt hat«. So geht der Krieg, dem einen ist er Sport, dem anderen Unterhaltung und – vielen der Tod«.

 Fontanel, 10. V. 1918

»Auf dem Wege zur fünften Kompagnie (Calcinohang) schießt der Italiener auf unsere Mannschaft wie auf Hasen. Die Armen flüchten von einer Seite des Anhangs zur anderen, aber er feuert und schießt drauf los wie auf flüchtendes Wild bis er sie schließlich nicht trifft. Sport! Mit den verschiedensten Kalibern schießt er ins Tal Cinespa. Unser Beobachtungsstand ist vollkommen zerstört«.

 Fontanel, 16. V. 1918

»Heute wurde mit Minen geschossen. Oh, mit welchem Mittel führt man Krieg! Hier ist ein »Propagandabureau«, dessen Aufgabe es ist, bei den Italienern revolutionäre Ideen zu verbreiten und Hass und Zwietracht in der Entente zu säen. Ich lebe schrecklich. Der Wille ist schwach. Ich bin dem Essen zu sehr ergeben. (In Wahrheit war dies der natürliche Hunger, verstärkt durch die schweren Anstrengungen und der mangelhaften Kost)«.

 Fontanel, 20. V. 1918

»Vor meinem Fenster tragen die Sanitätsmannschaften auf einer Feldtrage einen mit Blut bespritzten Koch vorbei, mit einer Decke bedeckt, das Gesicht rot, rot – Blut, Blut, Blut, Blut, dass die Gesichtszüge nicht zu erkennen waren. Er war Kompagniekoch. Den ganzen Nachmittag wird mit 15 cm Granaten in das Tal Cinespa und auf Fontanel geschossen. Mysterium vitae – ein mit Blut bespritzter Mensch. Vor Adam bis heute haben Millionen Menschen das gleiche erlitten und werden es erlitten bis zum Jüngsten Gericht. Ich war am Fontana Secca und besichtigte unsere neuen Positionen. Schön ist es da oben, wie in einer Sommerfrische. Der Telephondraht geht bis zum Kommando. Ein schöner Ausblick ist auf die mit Schnee bedeckten Dolomiten, auf den Meleta, Pasubio. Man sieht Seren und Campo und den Weg zur Kote 433. Auf der anderen Seite bietet sich der Ausblick auf Tomba, das Piavetal und die Ebene. An heiteren Tagen – sagt man – sieht man das Meer, die Kirche von San Marko und Schiffe. Pfingsten! – Ich bin krank – Magen-Katarrh. Infolge der Krankheit leidet auch mein seelisches Sein«.

 Fontana Secca, 28. V. 1918

»Schwach bin ich. Ich nahm mir vor kein Wasser zu trinken – und trank es doch. Von Tag zu Tag bemerke ich immer mehr einen Rückschritt. Bin ein Schwächling geworden. Jetzt lese ich »Il Santo« von Fogazzaro. Er interessiert mich. Ich betrachte den aufgewühlten Grappa, Mt. Meate, Solarolo und andere Berge. Von allen Seiten klaffen die Schlünde der Kavernen. Neue Gräben wühlt man in die Erde, neue Kanonen dröhnen. Unsere Beobachter sehen durchs Fernrohr. Alles gährt vor Arbeit. Markierungen werden hergestellt, die Menage wird geholt, Material wird getragen, Tag und Nacht gegraben und garbeitet. Überall sieht man dicke Drähte, durch welche der elektrische Strom fließt, Maschinen treibend und die Draht-Hindernisse füllend. Am Grappa ist irgendein Denkmal. Auf diese Berge verwenden die Italiener eine starke Energie. In einigen Monaten haben sie sie gänzlich durchbohrt; führwahr ein erhabenes Werk zur Verteidigung der Heimat. Man spricht, dass um den 15. VI. herum wieder eine Offensive beginnen werde. Unser Volk geht vor Hunger zugrunde. Gott, helfe! Gib mir die Gnade, dass ich bedingungslos Herr werde über den Leib. Es ist besser zu sterben, als ein Weichling zu werden, ein Spiel der Leidenschaften. Maienkönigin Du, verzeihe mir, dass ich so wenig Deiner gedenke. Gott, Gott – mehr mystische Welt!«

Fontana Secca, 1. VI. 1918

»Es ist interessant durch das Fernrohr das Gewimmel auf den italienischen Bergen zu beobachten. In der Ferne – am Mt. Meate, bei der Kote 1489 arbeiten und graben sie unaufhörlich. Auf der Pyramidenkuppe und am Solarol beobachtete ich, wie sie durch einen Graben (in ihren grünen Pelerinen) etwas ziehen, dann gehen, graben. Ihre Wachen sind an gleicher Stelle, ihre Köpfe mit dem Stahlhelm gucken hervor, klein wie Nüsse. Viel Munition wird angehäuft. Unsere Artillerie schießt nach verschiedenen Richtungen (Einschießen). Vorgestern sah ich Venedig. Man sah das Meer und im Nebel getaucht die Kirche von S. Marko, eine Brücke und Schiffe, die wie schwarze Schatten am Wasser schwimmen«.

Fontana Secca, 8. VI. 1918

»Gestern ist wieder einer unserer Flugzeuge, einer flammenden Kugel gleich, abgestürzt. Er fiel in der Richtung Giaron. Von der Kote 1611 ist ein herrlicher Rundblick. Auf der Straße, die in Serpentinen auf den Mt. Grappa führt, arbeiten viele hundert Italiener. Kavernen gähnen nach allen Seiten. Bei dem Kirchlein sammeln sie sich zur Arbeiten und gehen dann langsam nach verschiedenen Richtungen auseinander. Am Schiaverno kommen sie langsam aus ihren Unterständen hervor und gehen über den Weg nach allen Seiten. Man sieht Pferde, Geschütze, Minenmaterial… Es wird fleißig gearbeitet, alles zur Verteidigung des Vaterlandes… Um den 11. VI. – spricht man – soll eine große Offensive aus der Richtung Frenzella, Cima, Ecker, Col del Rosso beginnen. Die Österreicher bewaffnen sich bis zu den Zähnen; unzählige Geschütze von 42 cm und 30,5 cm sind im Tal Frenzelli aufgestellt. Starke Infanteriedivisien sind zum Schlage bereitgestellt. Man sagt, die Italiener wären in großer Angst. Am meisten fürchten sie den Gasangriff (wie sollten sie sich davor nicht fürchten?). Täglich erwarten sie die Offensive, immer sind sie »gasbereit«. Bei uns sind alle toll geworden nach einem Hasen im Walde. Ein Hauptmann möchte Gold und Geld, Leinwand und Strümpfe für seine Frau, andere spähen nach Stoffen und die hungrige Mannschaft – von Tag zu Tag immer hungriger – sehen schon die italienischen Konserven und Brot ihnen in den Mund fliegen. Gott, behüte mich, wenn der Durchbruch gelingt, vor jeder Habsucht, erteile mir Deine Gnade, Gesundheit den Eltern und mir, dann wird es keinen reicheren Menschen geben als mich«.

Fontana Secca, 13. VI. 1918

»Morgen beginnt die Offensive. Eine starke Truppenmacht ist hier bereitgestellt. Die »Siebener« sind hier. Dann unser zweites Bataillon und andere. Morgen gehe ich mit zwei Uhren zur 110. Brigade, um sie auf genaue Zeit einzustellen. In der Nacht beginnt das Trommelfeuer und zu Mittag hoffen sie am Mt. Meate zu sein«.

Fontana Secca, 500* sw. der Kote 1385,

Stalla Secca, 19. VI. 1918

»Am 15. früh um 3 Uhr beginnt das Trommelfeuer. Ich war oben am Gipfel Fontana Secca und saß in der elektrisch beleuchteten Kaverne mit dem Divisionär Le Beau, mit seinem Stellvertreter und anderen. Sie spielten Karten und sprachen französische Namen dabei aus, wie Coeur und andere. Von den Ereignissen, die folgen sollen, von den Toten, die fallen werden, nicht ein Wort. So spielten sie bis 2 Uhr 59 min. Dann hörten sie auf und schon beginnt draußen das Grollen des Geschützfeuers. Wir gehen hinaus. Himmel und Erde leuchten und blitzen und ein ganzes Orchester niedriger und hoher Töne begleitet dieses allseitige, erhabene Aufleuchten der Wolken, Berge und Täler. Ich klimme weiter nach oben und betrachte das Blitzen der Granaten, die an die italienischen Bergen auseinanderkrachen. Von verschiedenen Seiten aus den italienischen Gräben steigen ganze Feuerwerke auf, welche sich langsam herablassend, die ganze Umgebung beleuchten. Dies alles dauerte bis 7 Uhr morgens. Der Italiener antwortet mit den verschiedensten Kalibern und mit Gasgranaten (was wir nicht erwarteten, denn wird dachten, dass alle Batterien durch unser Gas vergiftet sind!). Wir mussten sofort Gasmasken anlegen. Um 7 Uhr 40 min. hört das Trommelfeuer auf, um 7 Uhr 50 min. bekommen wir Nachricht, dass Solarol, Poste di Sallon in unseren Händen sind. Eine halbe Stunde später hören wir, dass Boroević die Piave überschritten hat. Nun beginnt auch unser Bataillon vorzurücken. Es kommen die ersten Verwundeten, dann Italiener, Offiziere und Mannschaften. Wir ersahen, dass unsere Truppen starke Verluste hatten und dass sich die Italiener gut vertedigten… Unsere Artillerie hat die Italiener nicht vernichtet. Sie hat überhaupt die feindlichen Gräben schlecht getroffen. Unsere Sturmpatroille mit 70 Mann und 4 Maschinengewehren eroberte den Solarol (Pyramidenkuppe). Die Infanterie langte nicht rechtzeitig heran und die übriggebliebenen 20 Mann hielten sich gegen 4 anstürmenden ital. Kompagnien, bis sie sich zurückziehen mussten. So opfert unser Kommando unverständigerweise das Menschenmaterial. Sie spielen Karten in der wichtigesten Situation und sorgen nicht für die elementarsten Prinzipien des Angriffs. Im feindlichen Feuer langten wir in die gegenwärtige Stellung – der früheren Offiziersfeldwache – und besetzten die Kavernen. Es kamen auch die Führer der Sturmpatroillen, schöne, mutige Männer, welche ohne jede Furcht zu sterben wissen. Prachtvoll sind unsere Leuten, nur einen Führer brauchen sie! Hier lag ein schwer verwundeter italienischer Offizier, er jammerte und stöhnte vor Schmerzen: »Quanto malo, Manfredo« (sein Offiziersdiener), und das wiederholte er zwanzigmal, wie eine Maschiene. Länger als eine Stunde stöhnte er, bis ich ihn nach rückwärts zur Kote 1580 tragen ließ, wo es sich ein kleiner »Hilfsplatz« befand. Nie werde ich seinen dankbaren Blick vergessen und den Druck seiner blutigen Hand. Ein schöner junger Mann war er. Einem Menschen, welcher leidet, einen Liebesdienst erweisen, ist die größte Sache in dieser Panik. Sie ist die Grundlage jedes geistigen Lebens. Die Offensive wurde zum Stillstand gebracht, aus politischen Gründen. Wahrlich, bezeichnend für die Anordnung, die in Österreich herrscht. Die italienischen Gräben sind angefüllt mit unseren Toten. Furchtbare Bilder, ein furchtbarer Gestank. Die Schützengräben sind tief, aber schwach und unerdenklich. Die Aufenthaltsräume sind feucht, die Kavernen schwach. K. soll in Rasać begraben sein. Schrecklich! Dieses immer lachende Gesicht, voll Idealismus und Leben, er hat uns so plötzlich verlassen! Gott sei ihm barmherzig!«

Solarol (kaverne), 16. VII. 1918

»Gestern ist ein großer Angriff der Italiener abgeschlagen worden. Sie waren schon eben am Berge und alles dachte schon an die Flucht. Aber unsere Leute sind wirkliche Helden; heiter im Kampf, als ob sie genießen würden, wenn sie sich hervortun können. Schade, dass sie nicht gebildet sind. Schon einige Tage donnerte der Italiener mit schweren Geschützen, zerstörte die Gräben, zerriß die Drahthindernisse. Um 4 Uhr 30 min. beginnt der Angriff. Unsere Sturmbataillone sind sofort am Berg. Flammenwerfer beginnen zu wirken. Den Tautscher, der ganz vorne in der Kaverne als Artilleriebeobachter war, zogen sie zurück. Sie werfen Handgranaten und beginnen mit Maschinengewehren zu trommeln an. Unsere Leute – jeder für sich – treiben die Italiener zurück, erschlagen sie oder nehmen sie gefangen. Viele Tote bleiben am Platze liegen. Noch zweimal erneuerten die Italiener den Angriff, aber auf den Berg gelangten sie nicht mehr«.

In der erhabenen Natur

Seit jeher liebte Hans die Natur. Auch an der Front lebte er durch Jahre in der Natur, war ihr gehorsam, kämpfte mit ihr und immer sah er in ihr ein Werk Gottes. Die nachfolgenden Auszüge aus seinem Tagebuch werden uns auch zeigen, wie er die Natur schön zu beschreiben verstand und sein Verhältnis zu ihr.

Graz, 18. III. 1916

»Oh, wie schön war heute der Morgenhimmel, so durchsichtig, verziert mit Schafwölkchen, dass der Mensch sich freuen muss zusammen mit dem Gesange der Vögel. Aber nun heißt es auch an seine Seele denken. Wir haben so viele Übungen, dass man nicht dazu kommt sich mit irgendeiner geistigen Arbeit zu beschäftigen. Von morgen an will ich aber doch wenigstens einen kleinen Versuch machen: welches zu lesen und die Kultur der Seele fortzusetzen; wieder zu streben nach der Versetzung in jene schöne Welt der Nacht. Gerade das habe ich jetzt am nötigsten«.

Graz, 29. III. 1916

»Oben am Schloßberg erschien es mir, als wäre ich Guliver. Man hat von oben aus das Gefühl, dass die dreistöckigen Häuser niedliche kleine Häuschen sind, und die Tramway kriecht als wäre ein Spielzeug und die Menschen sind wunderliche Würmer. Würde ich mit einem Fuße auf so ein Häuschen treten, ich könnte es zerquetschen. Wie winzig sind diese Menschen dort unten und sieht man auf sie von oben, erscheint es einem geradezu lächerlich, wenn man bedeckt, dass sie sich untereinander bekriegen, dass einer der anderen zur Verantwortung zieht, dass sie hochnäsig die Nase ziehen u.s.w. Oh, du kleinliches Menschengeschlecht! In die Berge müsstest du gehen, dort ist Leben, dort erst befreit sich der Mensch von Kote der Ebene!«

 Wind. Feistritz, 6. IV. 1916

»Wenn ich nicht zu müde bin, genieße ich in der Natur. Oh, wie ist sie schön. Die Kirschen blühen, weiß sind ihre Blüten und herrlich. Und es kommt mir der Gedanke, wie viel wir von ihnen lernen könnten. Diese Kunst darf nicht ohne praktischen Wert sein. Die Kirsche nährt und sie ist in allen ihren Stadien der Entwicklung so schön, geradezu prachtvoll. So auch die Kunst. Auch sie muss ihren Zweck haben, wie der Genuss der Schönheit, Harmonie und anderes. Weiters kann sie die Dienerin der Religion sein in weitem Sinne des Wortes. Und »l'art pour l'art« – die Natur sagt es selbst – ist eine Dummheit. Was ist in der Natur schön, aber ohne Zweck? Und umgekehrt?«

 Wind. Feistritz, 17. VI. 1916

»Erst heute kann ich so recht erfassen, wo ich bin. Ein steierisches Dorf in grüner Flur. Im Osten und Westen hohe Berge und Weingärten, im Norden Hügel, die sich in der Ferne verlieren. Die ganze Natur ist mit Kirchen geziert. Heute ging ich auf ein paar Minuten zur Zeit der Vesper allein hinaus in die Felder. In der Natur feierliche Milde, und die Grillen zirpten und zeitweise von einer Flöte begleitend, aufkrächtzte ein Frosch aus dem Teiche des Sumpfes. Die Wolken waren auseinandergezogen, grau, im Westen ins gelbliche übergehend. Im Norden konnte man in den Wolken eine wässerige rote Farbe unterscheiden. Die deutsche und slowenische Kirche, als stünden sie sich gegenüber, von links erhoben sich stellenweise aus dem Grün Mauern und von rechts konnte man deutlich ein modernes Gebäude – die Sparkasse und das Gerichtsgebäude sehen. Weiter oben ragen zwei Turme einer Kirche zur Höhe.

Als ich mich in der Seele zu sammeln und diese Stelle zu begreifen wünschte, die Farben und das große Unbekannte, da läutete es zum Angelus, zuerst von der slowenischen Kirche, worauf auch die anderen zu läuten begannen, so als wollten sie mich in die Höhe reißen; wenig zuvor habe ich in der Seele diese geistige Welt gesucht und als ob alles früher wie auf einer Bühne mir erschien, jetzt in diesem Augenblich fühlte ich, dass das alles Ernst sei und dass die unsichtbare Welt zur Wirklichkeit wurde«.

Seewiesen, 23. XI. 1916

»Sollten diese – modernen Menschen – nicht wissen, dass ein Weltall besteht, so groß und herrlich, und dass Er es ist, der es ersonnen, der größer ist als dies alles… ja, dass sie sterben werden, vergehen mit all ihrer »Liebeleien« und…«

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Ich liebe die gegenwärtige Generation, denn sie hat gelitten und eingesehen, dass das Leben eine ernste Sache sei und kein Spielzeug, und dass Leben kämpfen heißt. Ja, ich liebe unsere Soldaten, denn sie haben das Leben durchkostet. Diese neue Generation ist tief; nicht mehr so instiktiv handelnd; Kunst und Wissenschaft erhalten tiefere Nahrung. Das Weltall ist keine Maschine mehr, die sich zwecklos bewegt und der Mensch kein Produkt des Zufalls, nein, alles hat seinen Sinn; alles ist geordnet und genau berechnet. Der Mensch durchschreitet die Natur, dieses »offene Wunder«, wie Carlyle sagt, und bewundert dieses Weltall, das ihn umgibt und eine heilige Furcht umfängt ihn vor diesen großen, erhabenen Werken, er fällt nieder und betet demütig. Diese Demut – eine mystische Blume – ist die Frucht dieses Krieges; der Mensch ist sich seiner Schwäche bewusst, bewusst dessen, dass er jederzeit verunglücken kann«.

Wohl waren solche Gefühle nicht bei allen Soldaten gleich, aber Hans beschreibt seine Erlebnisse und sich selbst.

Zingarella, 15. IV. 1917

»Draußen Schnee und Regen. Ich verliere das Gefühl für die Natur, seit ich mit ihr kämpfen muss«.

Zingarella, 26. IV. 1917

»Wenn der Mensch in Lebensgefahr schwebt, dann betrachtet er die ganze Natur nur von einem Standpunkte, ob dieser oder jener Teil die Gefahr erhöht oder vermindert. Erst wenn er sie besiegt, dann erst kann er die Natur in ihrer ganzen Erhabenheit betrachten und sich kulturell entwickeln. Diese Idee ist die psychologische Basis für das Verständnis der Kultur. Solange der Mensch in Höhlen wohnte und um seine Existenz kämpfte, konnte er in diesen Zeiten ewiger Gefahr die Natur und das Leben eigentlich gar nicht erfassen. Die geistige Kultur konnte sich damals nicht entwickeln, wie in den Zeiten, da die Lebensbedürfnisse ohne große Anstrengung ganz von selbst befriedigt werden konnten. Will sich ein Volk kulturell entwickeln, so muss er materiell selbständig sein. Das Mysterium crucis, welches der Ursprung des Lebens und Fortschrittes ist, schließe ich in diese These ein. Nicht nur das Crux materialis, auch spiritualis (die hl. Jungfrau Maria) muss es geben!«

Zingarella, 4. VI. 1917

»Ich sah vom Monte Kuka auf Roan. Im Tal sieht man die Stadt mit der Kirche. Die Kirche, mein Gott, der Höhepunkt und das Zentrum der Kultur und der ganzen Menschheit. Wie bewundere ich die Menschheit, welche Städte baut und dieses Menschenwerk mit der Idee Gottes vereinigt, gleich dem Bilde Christi. Dort hinunter zieht mich mein Herz; nach Menschen und nach Arbeit geht mein Wunsch, nach der Kolorit verschiedener Sprachen und der Kunst; nach Farben und Buntheit, nach den verschiedenartigsten Mönchsorden, welche unter den Menschen wirken, und in der Kirche, dem lebendigen Leibe Christi. Und die leere Stadt steht da unten; die Kirche, das Symbol der Religion, steht dort gleich einem Memento den Geschlechtern. Und von oben hageln die Geschossgeller und unsere Soldatn schauen traurig dahin. Alle sind sie gegen den Krieg, aber keiner hat die Kraft, sich zu wiedersetzen und den normalen Zustand in der Natur zu schaffen – die Eintracht«.

Zingarella, 17. VI. 1917

»In einer Zwiesprache mit F. – einem Atheisten – drängte sich mir der Gedanke auf: »in was für einer Abhängigkeit steht die Tierwelt gegenüber Gott und wie kommt es, dass ein Tier das andere tötet. Wir in uns empfinden tatsächlich ein Bedauern, wenn wir ein Tier töten, denn es leidet dabei. Aber wir sind von Natur aus gezwungen ein fremdes Leben zu vernichten, wenn wir das unsere erhalten wollten. So ist es in der ganzen Natur. Beim Menschen verstehe ich das Mysterium crucis, aber was verschuldeten die Tiere, dass auch sie leiden?«

Der gute Geist, der Hans leitete, hat ihn auch den Kern der Antwort eingegeben: »Hat vielleicht Adam, von Gott sich losreißend, die ganze Natur mit ins Unglück gestürzt? Christus - der zweite Adam – indem er den Menschen rettet, rettet auch den ganzen Kosmos… durch die Erlösung der Menschen erreicht auch der Schmerz der Natur ihren Zweck«.

Incin, 25. XII. 1917

»Es sind die ersten Weihnachten, die ich in der Fremde verlebe. In der Natur lag gestern jene Stimmung, die für den hl. Abend so karakteristisch ist. Der Himmel war mit einem Dunstschleier bedeckt, welcher mit seinem trüberischen Glanz – vom Monde beleuchtet – seine Reflexe auf die Berge warf, die zum Teile mit Schnee bedeckt waren. Auf dem gegenüberliegenden Hügel gegen Cismone hin, flakerten die Lagerfeuer«.

Col alte bei Belluno, 23. VIII. 1918

»Oh, wie schön ist es hier! Den ersten Tag konnte ich mich kaum fassen duftende Blumen am Tisch, in den verschiedenen Farben prangend, der Glanz des Tages und die frische Sommernatur, es schien mir alles wie ein Traum. Oder habe ich einen grässlichen, finsteren Traum geträumt von irgendeinem Leben in dunkler, feuchter Kaverne, von einer steinernen Natur, die von keiner Sonne beschienen ist, wohin der Segen Gottes – die Blumen – nicht gelangen können; als wäre oben nur die Wohnstätte kalter Gespenster, die sich dort herumtreiben übermütig heulend? Dieser hässlicher Traum ist vorüber und ich danke Gott, dass meinen Eltrern nach langen und schweren Leiden meinetwegen, ein Stein vom Herzen fallen wird«.

Maslovare, 18. XII. 1918

»Christus kam auf die Welt, um seiner Schöpfung die Weihe zu verleihen…«

Kunst, Leben und Religion

Hans hat an der Front in seiner freien Zeit viel gelesen. Der Einfluss dieser Lektüre macht sich auch in seinem Tagbuch bemerkbar. Aber er liest immer sehr kritisierend und er überwacht sein Urteil und den Einfluss der Bücher auf den eigenen Gedankengang und auf das Leben. Noch beim Abgang von der Militärakademie war ihm der Faust eine Art Ideal. Und zwei Jahre später, am 17. VII. 1916, sagt er, auf Goethes Verse weisend:

»Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie, studiert mit heißem Bemühe.

– Da steh' ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor«. –

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Lieber Faust, du hättest auch noch mehr studieren können und würdest auf diesem Wege doch nicht zum »Samen gelangen, welcher alles erhält«. Faustens Arbeit ist nur die Arbeit des Gehirns, welche ganz von selbst schließlich doch zur Gotteserkenntnis führen muss, aber das ist mehr »graue Theorie«. Goethe hätte seinen Faust an die Front schicken sollen, er würde sicherlich mit einer tieferen Lebensanschauung rückgekehrt sein. Es ist leicht mit Hilfe eines Giftes aus einer altertümlichen Fiole zu sterben; aber körperliche Leiden zu ertragen und einzusehen, dass Krieg und Qual die Grundfarbe der Geschichte und des Fortschrittes sind, dass der Schmerz Millionen Menschen auf die Füße gestellt und Throne gestürzt hat, dass der Schmerz der Menschheit christlichen Grundgedanken des Lebens bildet und eine Divinna Commedia geboren hat, dies hätte der weise Faustus einsehen müssen.«

Hans beginnt also immer unzufriedener mit Faust zu werden, inhaltlich, aber auch formell:

Monte Rasta, 17. IX. 1917

»… et contristatur anima mea nonnunquam usque ad lacrimas, quandoque etiam conturbatur, de se usque propter imminentes passiones«. (Im. Chr. III. 50.) Jörgensen sagt, dass der Dichter in solchen Augenblicken die Feder wegwirft und der Maler seine Zeichnung zerreißt. Das sind jene schrecklichen Augenblicke, in denen der Mensch nicht begreift, wozu er lebt, da er nicht begreift, wozu all die Mühen. Wozu soll die Kunst, der Beruf, all das, was ihm so lieb ist, dienen? Ob es wirklich wert sei, dass der Mensch studiert, dass er sich mit Literatur beschäftigt, wenn es etwas anderes gibt, was vielleicht wertvoller sei. Schrecklich sind die Augenblicke, in denen der Mensch die Verbindung mit dem Kosmos verliert, wenn seine Arbeit dem verirrten Wanderer in der Wüste ähnlich ist, der sich müht und quält und nicht weiß in welcher Verbindung es sei mit den Bestrebungen der gesammten Gesellschaft. Schreckliche Zeiten sind es, wenn sich der hl. Geist irgendwohin zurückzieht und das Innere von Finsternis beherrscht wird. Das sind jene Augenbllicke, in welchen Faust und die moderne Gesellschaft verzweifelt, denn sie verloren die Verbindung mit der Urquelle. Es ist natürlich, dass Philosophie, Recht, Medizin und Theologie nicht Selbstzweck sein können, wenn sie nicht zur Wahrheit führen. Und auch das »Leben« (Faust!), derart instinktiv, ist gleichfalls erfolglose Mühe. Deshalb nähert sich Faust schließlich der Wahrheit zu, gute Werke tuend, als praktischer Mensch.

Man wirft Goethe vor, dass Faust einen praktischen Beruf gewählt und in der Kunst keine Befriedigung gefunden hat. Psychologisch wäre dies unverständlich. Goethe hat den Begriff Gott nicht erfasst, er war eine Art Pantheist. Als solcher konnte er sich mit der Wissenschaft nicht zufrieden geben, denn, in welchem logischen Zusammenhang steht sie mit dem Pantheos? Oder, mit anderen Worten: was ist da letzte »warum« in Bezug auf die Wissenschaft? Dieses kann der Pantheist nicht beantworten. Soll er die Natur imitieren, sie verachten oder kürzen?! Aber das ist nocht nicht das letzte »warum«, denn, wie auch Faust selbst erklärt, das allein kann nicht Selbstzweck sein. Ebenso verhält es sich mit der Kunst. Kann die Kunst vielleicht Selbstzweck sein, wird ein konsequenter Maler nicht den Pinsel wegwerfen, sich fragend, wozu dieses Bild, warum will er irgendwelche Ideen darstellen, vielleicht aus seinem Innenleben haraus. Er kann dies nicht allein deshalb tun, weil es ihm behagt. Und schließlich auch dieses Selbstgenießen hört auf. Faust konnte daher logisch kein Künstler werden, wenn auch seine Natur eine künstlerische war, denn Goethe ist nicht zu Gott gelangt. Unter diesen Verhältnissen fand Faust Befriedigung in der praktischen Arbeit, in guten Werken. Diese Begriffserscheinung führt zu Gott, aber sie ist instinktiv, ähnlich dem Muttergefühle. Mütter, welche nicht glauben, welche sogar bösartig sind, vermögen doch ihre Kinder zu lieben. Ebenso edle Menschen – ohne Berücksichtigung ihrer Anschauungen – können relativ mehr Zufriedenheit finden als Künstler. Denn hier ist der Erfolg zu sehen, der erreicht wird.

Eine absolute Zufriedenheit liegt nur in Gott und wäre Goethe sich noch mehr erwärmend zu Gott gelangt, dann hätte Faust die Kunst beglückt. Erst dann hätte sie den richtigen Wert erhalten; erst dann hätte Faust verstanden, wozu Philosophie, Recht und die Kunst dienen: ad maximan dei gloriam. Wäre Faust ein Benediktiner geworden, welche die hieratische Kunst pflegen, oder wäre er schließlich ein tief religiöser Künstler geworden oder ein sogenannter Kunstliebhaber, der in der Welt wirkt und in der Kunst genießt, welche eine Art Vorhof zum Himmel ist, wo alles außerordentlich schön ist, dann wäre erst der III. Teil des Faust die richtige Lösung, welche den Menschen auch literarisch zufrieden stellen würde«.

Als Hans aus dem Theater heimkehrte, wo er in Wien, der Vorstellung von Ibsens Hedda Gabler beiwohnte, schreibt er:

Wien, 9. IV. 1918

»Ein unvernünftiger Zuschauer oder irgendeine Dame der Gesellschaft würde, diesem Drama beiwohnend, sagen, dass Selbstmord nicht böses, dass er jener große Zug sei an Heddas Charakter und dass auch sie sich ohne Gewissensbisse töten wird, käme sie in irgendeine heikle Situation. Der Selbstmord ist nur an sich ein Übel, die Frucht einer – hier – verheimlichten und unbekannten Sünde«.

Hans hat für immer mit der »formalen Poesie« abgerechnet. Er sucht in erster Linie den Inhalt großer Ideen und menschlicher Bestrebungen.

Wind. Feistritz, 12. VI. 1916

»Ich muss mich ein wenig mit dem Leben befassen, denn das Leben ist mehr als Poesie. Zu diesem Resultate gelangte ich Chamberlains »Grundlagen des XIX. Jahrhunderts« lesend. Wenn dieser Autor auch nicht gründlich ist, hat er doch irgendeine Idee, die etwas außerordentliches ist. Er sagt, die Geschichte werde durch Persönlichkeiten vorgestellt, die die Kraft besessen hätten, sich aus ihrem Milieu und dessen Vorurteilen herauszugraben und eine größere Ethik zu bilden. Es ist dies zweifellos übertrieben, aber dieser ihr heroischer Kampf gegen den Leib und die falsche Ethik der Jahrhunderte und Gesetze hat tausende Menschen erobert, hat den Jahrhunderten ein Beispiel gegeben, den Jahrhunderten, welche gleichfalls nach einem großen und schweren geistigen Leben strebten, das der Poesie Leben gibt, wie beispielsweise die Heiligen. Wir wollen keine formale Poesie, die nur die Schönheit der Farben sieht und alle Harmonie; die Poesie muss durch die Retorte eines großen Lebens hindurchgehen, welches dieses alles in Harmonie zu legen verstehen und es auf jenen Punkt bringen muss. Wo man fragt »was«, »woher«? Beim Lesen von Maeterlincks »Blauer Vogel«, bedauerte ich die große Mühe dieser Leute, die aufrichtig irgendwo in der Ferne die Wahrheit suchen und nicht um sich selbst schauen, - sie sehen das Christentum nicht… Ein christlicher Künstler könnte ein solches Werk niemals schaffen, weil sich ihm die Anschauung über das Leben fertig darbietet, seine Aufgabe besteht lediglich darin deren Größe aufzudecken, sich darin zu vertiefen und sie auszubauen. Wenn der moderne Künstler diesen Kampf allseitig durchleben würde, er müsste zum Resultate kommen, dass die »Gottesliebe«, der blaue Vogel ist. Dieser Künstler müsste konvertieren und sein Kunstwerk würde der Struktur nach, ähnlich sein dem Werke Maeterlincks. Es wäre dies ein Kunstwerk in vollem Sinn des Wortes«.

Die Erkenntnis, dass das »Leben mehr sei als die Poesie«, dominiert von neu an in Hans Seele. Beim Lesen von Knut Hamsuns »Hunger«, bemerkt er:

Banjaluka, 20. IX. 1916

»Ja, das Leben ist mehr als alle Bücher… Man muss damit rechnen, dass es nicht viele reine Leser gibt… Das Weib ist nicht allein der Liebe wegen auf der Welt, auch sie ist – animal religiosum. Man braucht nur an die Seelengröße der Nonnen und ihre große Wirksamkeit zu denken«.

 Der furchtbare Ernst des Lebens an der Front hat in Hans Seele zuerst die Kunst auf eine reale Grundlage gestellt und sie dem Leben untergeordnet und sie dann umgebildet und zur Dienerin des Glaubens und der Kirche gemacht. Religion und Glaubensleben treten immer mehr auf die erste Stelle in Hans Seele, aber immer noch irgendwie an sein künstlicheres Gefühl gebunden.

Seewiesen, 26. XI. 1916

»Gestern stürzte einer der Leute ab und blieb tot. Heute empfing die hl. Kommunion und kam zur Überzeugung, dass die ganze Historie mit Blut geschrieben ist; dass alle Kulturwerke Produkte des Leidens und Schmerzens sind. Der Schmerz hat den Menschen vor der Lässigkeit gerettet; er goss ihm immer Angst ein vor unbekannten noch größeren Leiden. Wer die Kultur verstehen will, hat leiden müssen, nicht nur seelisch, auch körperlich. Schwer, grässlich! Die Herren Theoretiker, die in warmer Stube sitzen, können über alles spotten und Gott verneinen, aber mögen sie doch ins Leben treten und körperlichen und seelischen Leiden ausgesetzt sein, dann sollen sie sagen ob es dumm sei in der kalten Kirche zu stehen und den »Hokuspokus« einer stillen Messe zu betrachten. Und doch steht man geduldig da und sieht ein, dass der Schmerz notwendig sei, und dass er wahrlich ein Mitbezug auf Christus nichts sei, welcher uns gezeigt hat, dass es Mitbezug auf die Ewigkeit tatsächlich nichts sei«.

Wind. Feistritz, 19. VII. 1916

»Ringsum alles still und stumm. Auch ich bin jetzt ruhig. Lange und lange konnte ich beten, mit Schmerz in der Seele, nur damit Er da oben mir aus dem Herzen alles reißt, was mich mit der Zeitlichkeit verbindet, den ganzen brutalen Egoismus, der immer nur an sich denkt. Oh, ihr arme Menschen, die nichts einsam sein können. Im Wirbel des Lebens klebt sich der Mensch des Irdischen an und unbemerkt beginnt der Mensch im zeitlichen zu leben. Es ist schwer reich zu sein; denn es ist dann Pflicht dem anderen davon zu geben, doch nicht dieses allein; wir müssen uns auch freuen, wenn wir geben, selbst wenn der andere unverschämt sein sollte… deberes te subiicera omnibus. Und dann: ich gebe, aber im Inneren besteht noch jener Egoismus, der bedauert, der sich über jenen ärgert, der verlangte u.s. w. Wirklich grässlich! Der ganze geistige Bau fällt in sich zusammen, stürzt und staubt…

Ja, das Leben ist mehr als Kunst und Literatur, es ist für uns das einzig Große, der Ursprung von Allem. Wie bin ich glücklich, wenn ich aus diesen kleinen Alltagssorgen herausschwimmen und dem Gedanken an die herrliche Einrichtung des Makrokosmos und Mikrokosmos genießen kann. Es scheint als schwebte die Erde in der Luft, sich bewegend in die Fernen der stolzen Welten; alles lebt und gährt. Dann hier, die kleinen Leute, die arbeiten (gegenwärtig mähen sie und binden Garben) und die Heuschrecken wetteifern um die Felder. Alles bewegt sich, breitet sich aus, gährt – überall ist Leben, und ich in dieser Sommernatur voller Früchte, ärgere mich wie in alter Philister über jene, die vielleicht um neue Krone betteln oder aus Übermut lärmen. Oh Gott, Gott, reiße dies alles aus mir heraus, mache aus mir einen Menschen, und nicht einen Frosch, der immer nur in diesem Kote krächt. Wenn ich bedenke, daß dieses Leben nur ein Schatten ist, eine reale Hypothese und nichts mehr, dann wundere ich mich über mich selbst am meisten.

Wenn ich mich am Abend niederlege und mich in dieses Graue, Dunkle vertiefe, schient es mir als wäre in mir alles leer und ich versuche immer tiefer zu dringen und überall zu suchen. Aber ich kann nichts finden. Alles ist unbestimmt, und ich weiß selbst nicht wie, da erscheint gedankenlos der starke Wunsch nach dem Brote, nach der kleinen Hostie. Dann weiß ich nichts weiter, die ganze Vernunft schläft und mein Mund und mein Inneres verlangt nach der Hostie, verlangt nach der Verbindung mit ihr. Aber wahrlich, die ganze Größe dieses Verlangens kann ich nichts fühlen. Bald habe ich Prüfungen abzulegen, damit sehe ich immer wieder, wie weit ich noch habe zur Vollkommenheit! Immer bin ich bestrebt Herr zu sein über die Situation um mich her; ich habe den Wunsch Menschen so kennen zu lernen und ihre Tätigkeit so zu beobachten als würde mich das nichts angehen, aber manchmal beschlicht mich so eine kleine Angst, die Angst vor der bevorstehenden Prüfung. Oh, welche Schmächtigkeit, wenn ich bedenke, wie viel Generationen gestorben sind, ohne dass man sie kennt und mich ergreift Schauder. Schmutz, eckliger Schmutz klebt noch an mir. Noch viel Arbeit werde ich haben, bis ich ihn abwasche. Ja, so bin ich ein immer, wenn ich bedenke, dass der Tod kommen und dieses Leib zerfallen wird und alles, was ich unbewusst empfinde, dass dieses Dunkel, Seelische, das ich kaum fühle, ungeheuer groß wird, voll Licht und Perspektiven und den ganzen Raum einnehmen wird«.

Mürzzuschlag, 15. VIII. 1916

»Schmerz, Leid und Qual. Entweder bin ich krank oder es ist wieder der Mangel an Gesellschaft, dass ich nicht vom Herzen lachen kann. Oh, wie wäre ich glücklich, könnte ich den kleinen Kindern gleich, weinen, oder heiter sein und mich für irgendwelche Jugendideale begeistern. Immer quält mich das Problem des Lebens; es eckelt mich hineinzugehen und trotz aller Mühseeligkeit wünsche ich ewig in der Religion Genuss zu finden, aber es geht nicht. Ich stand frühzeitig auf, ging zur hl. Kommunion und bestrebte mich in dieses Mysterium mich zu vertiefen. Es schien mir, als wäre ich ziemlich tief in mich selbst und in jene Welt eingedrungen. Nein, nicht alles habe ich gesehen, aber ich glaubte wie in einem Rebel jene Gesetze zu fühlen, jenes Etwas, das alles bewegt und dahinter die Madonna mit dem Kinde und dann noch Jene noch größere, das alles vereinigt, was ich gefühlt, vereinigt in der Hostie. Aber das sind nur Augenblicke, und die Überzeugung, dass ich in irgendeinem Kloster volle Befriedigung finden könnte, hat sich nicht bewahrheitet. Unruhe treibt mich nach dem allen umher; ich fühle einfach, dass es etwas geben müsste, das mich zufriedenstellen müsste. Ich sehe meine Schwäche ein, meine Abhängigkeit. Ich wundere mich, wie ich dereinst für die Kunst begeistert sein konnte und für ähnliches. Als wäre dies nur eine Selbsttäuschung gewesen. Das Leben ist mehr als alles und ich kenne das Leben nicht und finde das Glück nicht des Lebens«.

Zingarella, 20. IV. 1917

»Das sind jene, die das Wort hören, aber die Sorgen dieser Welt und der nichtige Reichtum und die anderen Leidenschaften, die sie ergreifen, ersticken das Wort, dass es ohne Frucht bliebt« (Mark. 4, 18. 19.).

Diese Worte sind am besten auf mich anwendbar. Einerseits war es die Begeisterung für die Kunst, der ich seinerzeit und auch teilweise heute noch, das ganze religiöse Leben geopfert habe. Gerade das religiöse Leben sollte die Grundlage des Lebens bilden und das Übrige sollte nur wie ein Kleid den Körper umgeben. Aber ich stecke zu tief in dieser Welt und bedenke nicht, dass wir advenae et peregrini sind und ich lese auch bis zur Übertriebenheit. Ich will von morgen an bestrebt sein, meiner Mannschaft helfen das Kreuz zu tragen«.

All diese Erkenntnisse und Erlebnisse wollte Hans in Form eines Romans beschreiben:

Campo, 25. III. 1918

»Als ich mit meinem Vater in Zagreb im Kafe Cosso saß und die Menschen hier beobachtete, die ohne Leiden leben, dachte ich: Siehe, der moderne und Kulturmensch hat sich ein bequemes Leben eingerichtet. Er erhob sich über den Körper damit, dass er auf die einfachste Weise alles zur Verfügung hat, was der Leib bedarf. Seiner Geistigkeit, der Sorge um leiblich-materiellen Bedürfnisse los, wird präzisiert und der moderne Mensch wird dadurch geistig stark hervorgehoben. Hierbei denke ich auch an Dorian Gray und an viele andere sensitive verfeinerte moderne Leute (bei Huysmans). In diesem Leben ist die wahre Berufung, dass sich die Seele befreit von der Sklaverei des Leibes… Da sitzen nun die Leute in Kaffeehaus. Indem sie die Zeitungen lesen, genügen sie ihrer Neugierde: sie töten die angeborene Langeweile. Alles außerhalb Gottes erzeugt Langweile und deshalb beseitigt sie der Mensch mit künstlichen Mitteln, mit Trinken, Zeitungen, Kinos, Korsos, Romanen. Wird es dunkel, ein kleiner Handgriff und es wird Licht; wird ihm die Kehle rauh, wie auf Flügeln eilt der Kellner herbei und bringt ihm Kaffee u. dgl.; wird es ihm langweilig, steht er auf, setzt sich in die Tramway und im Augenblicke ist er zu Hause.

Der kleinste Wunsch wird ihm erfüllt, so dass sein Geist, - unabhängig von den Bedürfnissen des Körpers – seine Wege gehen kann. Das ist ein Bild des Kaffeehauses. Es ist der erste Teil eines dreiteiligen Romans. Der zweite Teil: Nehmen wir an, ein solcher Mensch, ein junger Schüler, oder ein Richter oder sonst was ähnliches, der ein solches Leben führt, ginge in den Krieg. Welch' ein Kontrast? Früher wusste er kaum, dass er einen Körper besitze, und nun strömt der Regen, er steigt einen Berg hinan und bis auf die Knochen durchnächst schleppt er seinen Rucksack. Dieser zieht ihn zur Erde, die Schultern brennen ihn, durch die Schuhe stechen die Dornen, die Füße werden schwielig. Er marschiert mit der Truppe, bleibt stehen, setzt sich nieder, streckt sich auf dem harten Gestein aus und dann muss er seinen Leidensweg wieder weiter schreiten.

Er hat schon längere Zeit nichts gegessen. Die Leere des Magens verursacht Krämpfe. Schwach und ausgepumpt kann er sich kaum rühren. Er fühlt tatsächlich, dass er lebt, dass er einen Nacken hat, der wie gelähmt ist, brennende Schultern und Hände, die sich selbst zu schwer vorkommen: das Rückgrat schmerzt ihn, der Bauch zieht sich zusammen und die Füße versagen vor Müdigkeit fast die Bewegung. Die Haut ist ganz nass, es fließt unter den Kleidern. Uns so geht dieser Mensch, dem es früher vor der Musik, die ein Begräbnis begleitete, gegraut hat, an verstümmelten Leichen vorbei, er sieht die toten Köpfe, Körper, Füße, das vertrocknete Blut und fragt: wozu dies alles? Es wird geschossen und er sieht wie um ihn die Menschen fallen, jammern, stöhnen, wie das Blut fließt und die Körper davon rotgefärbt werden. Auch er wird diesen Weg gehen, wohin, wohin? Was ist das Leben? Nur der Tod ist real.

Was sind unsere Idee, Sehnsüchte, Idealen, Leidenschaften? Einzig der Tod ist wirklich. Und auch er wird hier liegen, tot, gelb, unbeweglich wie ein Stück Holz. Und weiter wird sich die Erde bewegen und die Sonne wird leuchten und die Menschen weiter leben, als ob dies alles nicht geschehen wäre, als ob er nie gelebt hätte. Wozu also lebte er, wenn alles unverändert bleibt? Ist dieses alles ohne Sinn, ein Zufall …? Nein, das kann nicht sein. Weshalb sollte er sich davor fürchten? Vor dem Tode vielleicht? Er ist nicht der einzige. Viele Tausende starben vor ihm, auch jetzt sterben sie und ihm ist es alles eins. Und warum sollte es ihm nicht gleich sein, wenn er stribt? Auch er ist nicht mehr als die anderen alle! Worin liegt denn aber der Sinn des Lebens? In diesem Leben liegt er sicherlich nicht… denn dieser hört mit dem Tode auf. Ob er wohl eine christliche Idee hat? Und die gleichen Silogismen anführend, gelangt er zum Christentum. Er überlebt den Krieg und kehrt nach Hause zurück. Der zweite Teil geht seinem Ende entgegen. Zu welchem Resultate ist er gelangt? Im Kaffeehause kann er einen Teil seines Lebens nicht verleben. Immer steht vor seinen Augen das Bild der Menschheit, die leidet und er kann hier nicht bequem leben, wo er weiß, dass soviele Menschen mangels an allem fühlen, dass sie einen Körper haben…Und welches Leben wäre das richtige? Im Einklange mit der Idee des ersten Teils, dass die Zeitlichkeit die Unabhängigkeit vom Körper verlange! Dieses Problem ist im ersten Teil gelöst, dem Menschen alles gebend was sein Körper braucht. Aber diese Idee ist nicht im Einklange mit der leidenden Menschheit im zweiten Teile. Es muss ein Kompromis gefunden werden. Nur die Askese kann diesen Wiederspruch praktisch lösen.

Mit der Askese wird der Mensch zum Herrn der Zeitlichkeit. Er verbraucht nur das allernotwendigste, lebt am bescheidensten, wie der ärmste Mensch. Dieses ist für das materielle Leben. Für das Seelische muss er die Evolution des Christentums entwickeln. Die Kollision in der Seele dieses Menschen muss er ad absurdum führen; dieser Mensch sah das Gute, dass die Askese zur Vollkommenheit führe, aber aus sich selbst vermag er nichts. Er verzweifelt – wohin, wohin? Er ist der Repräsentant der Menschheit, welche den Messias erwartet. Mit Betrachtungen, Anschauungen und Gedanken über die Geschichte gelangt er zum Zentrum des Universums, um welches sich die Menschheit in den Bereichen von Natur, All und über irdisches Leben – in konzentrischen Kreisen dreht – zur Hostie. Das Werk schließt mit der Johannesoffenbarung, ich weiß die Worte nicht mehr, und deren Sinn es ist, dass das Lamm (das Opfer) das Zentrum des Universums ist. In Roman spiegelt sich am besten das Leben. Diese Einleitung geht aus der Beobachtung des Lebens im jetzigen Kriege hervor.

Für seinen Roman wäre es notwenidg auch noch das Problem des Todes einzuflechten und die geistige Atmosphäre der heutigen Zeit wäre in die Hauptlinie ausgearbeitet. Dieses Leben findet Ausdruck in der Literatur. Aber bei den Deutschen ist davon keine Rede, bei uns noch weniger, denn die Jugoslaven sind zu sehr um ihre Existenz besorgt; sie kämpfen noch. Die Franzosen sind geistig am agilsten. Bourgets-Lazarina berührt bereits diese Probleme, und das Problem des Todes löst sie auf ähnliche Weise. Aber Bourget ist schon in einer Art Schablone verfallen. Er liefert Werke, die die Bekehrung zum Katholizismus beinhalten. Sein Spezies ist, im Leben jene Evolution zu studieren, welche zum Christentum führt. Er sucht viele Variationen, nach welchen sich die Personen bekehren. In der »Schuld« bekehrt sich ein Arzt, ich glaube, dass er die Schuld der Eltern büßt, in der »Lazarina« bekehrt das Gebet eines leicht sterbenden jungen Helden«.

Geistige Wiedergeburt

Das Leben an der Front, Blut, Tod und alle die Kriegsschrecken hoben Hans immer mehr zu Gott. Inmitten der Kriegsentsagungen wird das Gebet, Fasten, Beherrschung des Leibes, Stärkung des Willens und die heilige Kommunion seine einzige Sehnsucht.

Wind. Feistritz, 10.V.1916

»Vieles ist in dieser letzten Zeit durch meinen Kopf gezogen. Da ist einmal der Kampf gegen den Leib, jenes Streben mich mit der Vernunft über das alles emporzuheben, mich zu vereinigen mit der Natur und dann mit Gott. Der Kampf ist schwer, er dauert ewig. Außerdem waren hier meine Eltern und ich fühlte mich durch einige Stunden wie einst, als liebendes Kind zu ihnen, die auch mich über alles lieben. Und ich sah wie die Vorsehung für alles sorgt; wie alles seinen Sinn hat, sogar auch meine Militärzeit. Wäre diese nicht gewesen, ich glaube kaum, dass sich Mama zu Gott gewendet hätte und nun hat sie es getan. Mein heißestes Gebet hat Erhörung gefunden. Und auch der Vater sagte, als er hier die herrliche Natur betrachtete, ihn erfass das Gefühl der Anbetung. Noch lebt in ihm die falsche moderne Logik, aber auch die wird vergehen... Gott, mein Gott, wie ich Dich liebe, wie dankbar bin ich Dir, dass Du jetzt die Seele erfüllst mit wunderbarer, voller Süßigkeit. Wie hebt sich meine Seele, sie fliegt zu Dir empor, als wollte sie mit übermenschlicher Kraft die Brust sprengen, damit sie zu Dir gelangen könne, nur mit Dir ewig sich vereinige«.

Wind. Feistritz, 30. VI. 1916

»Das beste Lebensbuch ist: »De imitatione«. »Quicunque non concordat cum spiritu tuo, illis cede propter pacem tuam et insorum. Hoc pro magna sapientia tene; si de propria sapientia nihil habes. Ubi prompta aboedientia, ibi laeta conscientia. Ubi humilitas, ibi sapientia. Ubi pax et concordia, ibi Deus et omnia bona«.

Wind. Feistritz, 23.VII.1916

»Ich habe Dienst bei der Stationswache. In der rechten Patrontasche ist eine schärfe Patrone und in der linken ein ganzes Magazin (als ob ich jemanden töten würde!) Im Zimmer rückwärts «hängt ein Russe, rundig Gesicht und kleiner blonder Schnurrbart. Die Augen sind blau. Er sagt, nicht einmal in Russland gebe es solche Strafen. Mein Gott, wie schrecklich! Das zivilisierte Europa ist noch unkultivierter als die früheren Jahrhunderte und da spricht man noch von der Geistesfreiheit, von der Individualität des modernen Menschen, während dem er ärger niedergedrückt ist als früher. Warum wirft man dem Katholizismus die Unterdrückung der Individualität vor, die Aufzwingung von Dogmen, die geglaubt werden müssen? Und doch achtet dieser Katholizismus jenen, der es nicht tut, versteht die Qualen des Menschen, der sein Leben lang sucht. Und dieses moderne Europa tyrannisiert den Geist, unterjocht ihn und befiehlt, und wenn sich der Geist nur ein wenig widersetzt, schon wird er wie der Russe hier – angebunden oder wie im Dienstreglement, I. Teil, der Apologetik dieses Systems, jeder Abschnitt mit den Worten schließt: «ist niederzumachen«.«

Banjaluka, 20. IX. 1916

»Wie doch die Zeit vergeht. Das ganze Leben ist zerrissen, nirgends kann ich mich sammeln. Ich kann einen ganzen Satz nicht voll niederschreiben, geschweige denn etwas gründlich erwägen. Schon das, dass ich Samstag bei der Beichte war und Sonntag nicht zur hl. Kommunion ging, zeigt von meiner seelischen Zerrissenheit. Außerdem kam mir die Lektüre von Hamsuns »Hunger« mit einigen überflüssigen erotischen Stellen ungelegen in die Hand. Ich hätte etwas gebraucht, was meine Seele in dem Einen vereinigen und emporgehoben hätte, aber nicht noch mehr zerrissen hätte, was mich gezwungen hätte, die Sinnlichkeit zu fühlen und zum hundertsten Male zu beherrschen«.

Pécs (Fünfkirchen), 22.X.1916

»In der Seele ist es mir noch jetzt grässlich; dieses maschinelle Leben: essen, schlafen und ziellos und ohne Gedanken umhergehen. Im Menschen herrscht das Bestreben vor etwas zu schaffen, dass ihn eine Sache in Anspruch nimmt, um welche sich, wie das Mineral um den Kern, alles konzentrisch sammelt. Aber nicht so, wie bei mir; ich schließe die Augen, denke nach über den Prozess des Denkens und versuche in jene Welt einzudringen den Übergang suchend, den Unterschied zwischen den beiden. Dann schaue ich in jenes Wunder des Weltalls, wie alles hängt und jagt, wie sich alles bewegt in dieser Leere, aus nichts; dann erfasst mich Angst vor der Hölle... Plötzlich fühle ich, wie das Alles ein Nichts ist, nur eine vergängliche Phase in diesem Geheimnis, als sich das, was in uns kocht und wirbelt, befreite und in jene Welt entfloh. Jetzt erscheint mir die tiefe Perspektive noch ziemlich dunkel, so dass dann das Rechte entsteht. Indem ich an diese Vergänglichkeit denke, freut mich kein Studium, keine Literatur, überhaupt nichts auf dieser Welt. Einzig ein asketisches, ein Mönchsleben in Anbetung der Eucharistie könnte mir möglicherweise Befriedigung gewähren. Etwas anderes, so scheint es mir, nicht. Wie sollte ich, beispielsweise, Freude haben an der Sammlung von Künstlerkarten und ähnlichen Dingen, wenn die Welt so schrecklich hungert. Wie dürfte ich wünschen, allein in meinem Stübchen zu leben, wenn ich mich damit nicht selbst täuschen wollte, nicht zwischen Menschen gehend, um ihre Leiden nicht zu sehen und ihre Psyche nicht kennen zu lernen. Welches Recht habe ich, in der Kunst zu genießen, wenn der Kampf ums Brot und ums Dasein in seiner Eigenart mit allen Leiden und Niederlagen der Ursprung ist aller Poesie, ja sogar ein notwendiges Bedürfnis ist, wenn wir dieses Leben begreifen wollen als eine Vorbereitung einer qualvollen Arbeit gleich deren Lohn – Jenes Große »Unbebannte« ist. Ich muss von diesem Dilemma herauskommen«.

Seewiesen, 26. XI. 1916

»Heute war ich bei der hl. Kommunion, wobei ich zur Überzeugung kam, dass die Geschichte mit Blut geschrieben ist, dass alle Kulturwerte nur Produkte des Leidens sind. Schon des Leidens wegen ist die Religion notwendig. Der Schmerz hat den Menschen von der Faulheit gerettet. Sie hat ihm immer Angst eingeflösst vor unbekannten, noch größeren Schmerzen. Wer die Kultur verstehen will, muss gelitten haben, nicht nur seelisch, sondern auch körperlich«.

Seewiesen, 17. XII. 1916

»Deshalb rufe ich mir und allen ein Memento zu: durchleben wir ein tiefes und großes Leben, seien wir uns bewusst, dass wir wirklich bestehen und widersetzten wir uns jener Harmonie nicht, die im Weltall herrscht. Das körperliche an uns ist tatsächlich kein Leben, das Leben ist jenes dunkle, unsichtbare, voll Tiefe und Perspektive, das sich in auserwählten Stunden verbreitet, um jene andere große Welt zu fühlen, jene unsichtbaren Kräfte, die wirken und alles das bewegen. Und gerade, um je besser in dieses unermessliche Weltall eindringen und um noch objektiver das äußere Leben betrachten zu können, das uns umkreist, müssen wir in uns jede Leidenschaft vernichten um nach asketischem Leben streben. Wer nur ein wenig versucht hat, diesem Ziele zuzustreben, wird die Welt um sich in einem ganz anderen Lichte sehen, wird jene geheimen Fäden der Sünde besser fühlen, die sich um die moderne Gesellschaft schlingen und die sich mit ihr spielen wie die Katze mit der Maus. Und je mehr das Leben von der Askese erfüllt ist, desto stärker unterweisen uns jene geheimen, lauten Stimmen in Mysterium des Daseins... Am Abend kommen mir immer tiefe, gottesfürchtige Gedanken und beim Lichte des Tages verliert sich dieses mystische Leben und der Mensch verliert beinahe die Verbindung mit dem Zweck des Lebens und führt ein instinktives Vegetieren, anstatt jeden Augenblick sich seiner Abhängigkeit von der Harmonie des Weltalls bewusst zu sein«.

Zingarella, 18.V.1917

»Unsere Geschütze donnerten ekelhaft. Die ganze Baracke zittert, wenn diese 15 cm fangen an zu donnern. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles. Ob die Kanonen schießen oder nicht, ich gehe meinen Weg, als ob nichts wäre. Die Gedanken, dass wir «Ankömmlinge» sind, erneuern sich nicht mehr so oft. Schmerz und Qualen tausender Verstümmelter, Toten und ausgesogener Menschen waschen dem Menschen das Vergängliche ab und suggerieren ihm mit großer Energie geradezu den Sinn des Lebens. Die erste Angst vor den Gewehrgeschossen und Schrapnellen (auf dem Wege zur Brigade) sprachen immer zu mir die Worte des Herrn: »Was seid ihr furchtsam? Habt ihr immer noch nicht den Glauben?« (Mark. 4, 40). Warum also sich fürchten? Ja, Er dort oben weiß schon, was mit mir sein wird, Er liebt mich unermesslich und weiß, ob es besser sei für mich, dass ich sterbe oder weiterlebe. Warum also sich fürchten, wenn Er meine Wege bestimmt. Also leben und Ihn ewig lobpreisen und sich um die Todesgefahr nicht sorgen. Was ist das Leben? Eines Tages sah ich einen Mann bei einem Friedhof liegen, ausgestreckt lag er da wie ein Holzklotz. So als ob er nie gelebt hätte. Ist als der Zweck des Lebens zu genießen, den Leidenschaften nachzugeben? Ein wunderlicher Gedanke, wenn mit dem Tode dies alles aufhört. Warum lebt in mir dieses große Streben nach Vervollkommnung meiner selbst, nach Annäherung an Jenen Allerhöchsten, warum ruft mir irgendeine übernatürliche Kraft immer zu: faste, esse nicht zu viel, »werde ein Übermensch«.«

Zingarella, 12. VI. 1917

»Unsere Leute sind eigentlich keine Fatalisten, sie überlassen sich ganz dem Willen Gottes, denn so sagen sie, sie werden solange leben, als Er ihnen gutgeschrieben hat, d. h. solange als es Ihm gefällt. So fühle auch ich, deshalb habe ich kein Angstgefühl, nur um Nachlass der Sünden bete ich. Dieser furchtbare Lärm, die Explosion der Granaten und Minen, dann Stille und nun das Gewehrgeknatter in der Luft das Kreisen der Flugzeuge, Tote und Verwundete, dieses alles ist lebende Geschichte. Über dem allen schwebt die erhabene Erscheinung Christi: Ich habe das Schwert gebracht. Jetzt erst verstehe ich die Fülle und Beschaulichkeit dieser Worte: wenn ihr Mir nicht nachfolget, wenn ihr alle nur an euch denken werdet, werdet ihr euch von meinem Leibe trennen und zwischen euch wird Unfrieden entstehen, Krieg, mit allen seinen schrecklichen Phasen. »Ich bringe das Schwert« - diese Worte klingen mir immer in den Ohren. Und das Heilmittel dagegen: revenons a l'église! Kehren wir zur Kirche zurück!«        

Zingarella, 22. VI. 1917

»Ich sah gegen 20 Tote, die bei den letzten Kämpfen gefallen sind. Mit Zeltblättern zugedeckt liegen sie da; man kann ihre Körper genau unterscheiden, einige sind ohne Füße, einige ohne Kopf. Bei einem schaute der gelbe Fuß hervor, dessen Haut pergamentgleich glänzt. Ja, das ist das Leben. Ich will nicht sentimental werden, denn das ist Schwäche, aber hier ist der größte Ernst, der uns zuruft: lass dich nicht unterkriegen! Besiege den Tod! Christ schwebt über jenen: wer an mich glaubt, wird nicht wissen, was der Tod ist. Die Askese: das Leben zu betrachten und die Arbeit einzig in dieser Richtung zu bewerkstelligen, ohne jede Konzession »an diese Welt«, ist das einzig wahre Vorgehen im Leben. Aber wer lebt heute auf diese Weise? Alles, das sich hier abspielt, aber die Menschen hier leben instinktiv wie bisher. Wird geschossen, decken sie sich in die Kaverne und hört das Schießen auf, sprechen sie, wer sich mehr gefürchtet hat, wer am längsten in der Kaverne blieb u. s. w. Auch ich bin nicht besser. Um wie vieles unterscheiden wir uns doch von den ersten Christen? Ich möchte oft Christi Leib als Speise nehmen, denn er liebt mich mehr als irgendjemand und der mir teurer ist als irgendetwas auf der Welt. Aber ich bin dessen nicht würdig, ich bin zu schwach, um mich ohne Bedenken für die allerheiligste Hostie zu opfern. Richtig sagt der Kempenser: in der Hostie zu genießen sind wir bereit, aber wenn es uns bestimmt ist sein Kreuz zu tragen in Freude, dann verzweifeln wir«.

Mtz. Rasta, 5. X. 1917

»Wann wird die Zeit kommen, in der wir nicht mehr zu essen brauchen, dass wir nicht werden kämpfen müssen für das kleinste Gut? Oh, Adam, du weißt nicht, was du getan! In unsern Körpern besteht ein Gesetz, der grundverschieden ist von jenem in unserer Seele. Die Natur ist verdorben und unsere Seele verfällt in Finsternis. Wann wird sich in uns das Selbstbewusstsein regen, wann wird die Seele sich selbst verstehen, real fühlen den Bund mit Gott? Abstinenz und die Eucharistie sind die Wege, die uns dahin führen. Fasten und Kommunion, zwei Gegensätze: das Fasten, das uns Leiden verursacht und uns des Genusses beraubt, nur die Kommunion, die uns einen unermesslichen Genuss gibt und unseren Leib in den göttlichen Leib verwandelt.

Wunderlich sind der Menschen Wege. Wer weiß, ob ich am Leben bleibe? Wir gehen bald nach Kärnten, von wo aus der Angriff stattfinden wird. Gott bestimmt das Schicksal der Nationen. Er weiß, was für mich das Beste sei. Ich will mit allem zufrieden sein und nehme dankbar alles an, was Er mir zuteilt. Wenn meine Eltern in Trauer versetzt werden, wird auch dieser Schmerz vergehen, denn nicht »das Tal der Tränen« ist unsere Heimat. Ich denke oft, wie glücklich die Menschen in den Klöstern sind, die sich immer mit Gebeten beschäftigen können und mit guten Werken, wo der Mensch nicht seinen Willen ausübt, sondern arbeitet wie Andere es bestimmen. Die Entsagung vom eigenen »Ich« und die Vertiefung einer Seele in Gott, dass sie auf sich selbst vergisst... Nur zwinge man mich nicht Menschen zu töten, ihr seelenlosen Leute!«

Santa Maria, 18. XI. 1917

»Das Töten und Vertrimmel ist mir ein Grauel und wenn ich das alles ansehen muss, verlieren sich mir alle abstrakte Begriffe. Ich liebe die Menschheit, liebe die kleinen, unbekannten Leute, die auf ihrem Rücken die ganze Bürde der Geschichte tragen. Eine Nation ohne Religion gehört in die Zoologie. Sie denkt nicht an den Tod, plündert und isst. Kommt ein Schmerz, wird sie kleinmütig und droht Gott. Der Tagliamento wird eine geistige Erneuerung werden. Unsere Leute betrachtend, wie sie der Tod hinwegreißt und bei den Stürmen die verwundeten Italiener, wie sie riefen: »oh, mia mamma«, wie ihnen das Blut aus den Wunden fließt, bin ich ein Besserer geworden, denn ich sah ein, das Leben sei ein Nichts, dass der ganze Sinn in der Spiritualisierung des Klostergedankens, der Sehnsucht nach dem Klosterleben besteht, wo der Mensch mit Gott lebt, der immer unveränderlich ist und real. Ruhm, Medaillen sind Dummheiten! Demut, Selbstentsagung, Schweigen und gute Werke sind das einzig Real jetzt und nach dem Tode Jungfrau Maria, hilf uns!«

Incin, 25. XII. 1917

»Weihnachten, das Fest der Kinder. Nirgends fand ich Gelegenheit, um vollkommene Reue zu erwecken um ein stärkeres seelisches Leben, zu beginnen. Zum Nachtmahl gab es Fleisch und ich habe davon gegessen... Also auch nicht einmal das Essen war im Einklang mit der großen Christenheit, die an diesem Tage auch Fasten Eins ist. Und wie mag es erst denen oben am Monte Assolone sein! Den Weg hinauf überschütten die Italiener Tag und Nacht mit Granaten. Glatteis und Abgründe. Oben ohne Dach nächtigen, hungern und in ununterbrochenem Feuer liegen, ist ihr Los. Sie sagen selbst, dass sie so etwas bisher noch nicht erlebt haben. Ich aber bin da unten und weiß nicht, welchen Umständen ich das zu verdanken habe. Oder ist das die Frucht der Gebete meiner Eltern und meiner Freunde? Es tut mir leid, dass ich nicht mit den Andern leiden darf«.

Wien, 9. IV. 1918

»Das Leben ist alles... und mir droht die Gefahr, dass ich wieder in das graue theoretische Leben der Bücher versinke. Morgen gehe ich zur hl. Kommunion um wieder Kraft für den Kampf zu schöpfen. Die letzten Tage habe ich ziemlich nachgelassen, war ziemlich faul, habe unregelmäßig gegessen, wenig gebeten, gar nicht gelitten, habe mich geärgert und verlor deshalb die Verbindung mit Gott. Es ist wahr, die Literatur ist nicht alles. Literatur und Kunst sind nur Details in dem großen Werke des Reiches Gottes. Der Pflug, der Schuster, der Fleischhacker, der Rechtsgelehrte und der Sicherheitswachmann, sie alle sind Arbeiter an diesem großen Bau. Man fragt nicht viel, was gearbeitet wird. Alle Fächer haben vor Gott den gleichen Wert, nur muss nach seinem Willen gearbeitet werden. Und doch möchte ich so gerne Literatur und Kunst studieren! Wenn es aber notwendig ist, will ich mich aufopfern, um meine Mutter zu bekehren, was viel wichtiger ist als alle Wissenschaft der Welt – denn der Gedanke ist mir schrecklich, dass sie, die ich so liebe, von Ihm abgetrennt bleiben sollte. Warum sollte ich mich also nicht selbst verleugnen, mein Kreuz auf mich nehmen und ein Opfer meiner Mutter bringen? Es ist leicht, über das Christentum zu theoretisieren und sich für Gott begeistern, solange er von uns nichts verlangt, aber praktischer Katholik sein, das ist mein Zweck. Mein Gott, erleuchte mich, dass ich bald zu einer festen Entscheidung gelange. Überall soll Dein Willen geschehen – denn wir sind hier nur provisorisch und in unserer wahren Heimat wird man nicht viel fragen, ob ich Professor war oder Maurer. Aber etwas muss man trotzdem sein!«

Maslovare, 20. XII. 1918

»Heilige Armut! Sich um die sinnlichen Leidenschaften nicht kümmern zu müssen! Alles verschenken und heiß den Nächsten lieben, oh wie viel Freude liegt in dem Allen! Die Frucht bleibt von selbst aus. Man sollte eine längere Zeit so leben, wie das Gewissen es Einem auferlegt, dann kann man glücklich sein und braucht nicht den Tod fürchten. Meine Angst vor der Nacht und Finsternis und vor den Wölfen hier ist nur ein Beweis, dass bei mir etwas nicht in Ordnung ist. Warum fürchtest du dich, Kleingläubiger, Ich schlafe nicht, Ich bin immer bei dir und wache über dich – auch wenn du glaubst, dass ich schlafe. Wie auf dem Schiffe – bist auch du auf keinem sicheren Orte, wenn du in warmer, geschlossener Stube bist, sondern im dunklen Wald, von Wölfen umkreist, die heiser bellen. Warum fürchtest du den Tod und Leiden? Ich weiß es, wann und wie du sterben wirst und brenne in Liebe zu dir oder denkst du vielleicht, dass Ich dich verlassen werde?! Und sollte Ich zulassen, dass die Wölfe dich zerreißen, glaubst du vielleicht, dass es nicht Mein Beschluss war und dass Ich dich deshalb weniger liebe? Fürchte niemanden mein Sohn, wenn auch dein Leib verfault, du wirst auch weiterhin bestehen. – Oh mein Gott, gib mir Kraft, Dich heiß zu lieben, dass ich an Dich so stark glaube, dass ich ohne Überlegung und ohne Furcht, unschuldig wie ein Kind, niemandem je von Ängsten erzählte, Orte aufsuche wo der Tod droht (in den Stollen der Kohlenbergwerke)«.

Hans war unterbrochen bestrebt, sich zu vervollkommnen. Das Leben Christi ist ihm noch zu erhaben, dass er es als sein direktes Muster hätte nehmen können. Verständnisvoller sind ihm und näher die zugänglicheren Heiligen und Gottes Auserwählte, welche ihm als eine Art Vermittler erscheinen, welche ihm den Begriff von der Größe Christi vermitteln. Deshalb liest er außer der Hl.

Schrift und der Nachfolge Christi (in lateinischer Ausgabe) auch die Lebensbeschreibungen der Heiligen. Besonders erwähnt er das Leben der hl. Elisabeth und des hl. Iosapfat. Aber er begnügt sich nicht nur damit, Betrachtungen anzustellen und über das Glaubensleben zu lesen, er ist in erster Linie bestrebt, seine Persönlichkeit vollständig umzugestalten, denn »im Leben eines Heiligen ist am interessantesten sein eigenes Geistesleben, seine Wirksamkeit in der Gesellschaft ist nur die Folge seiner Persönlichkeit«. Deshalb prüft Hans seine Gemütsverfassung, dabei gleichzeitig auch eine Autoanalyse und Autokritik vollziehend. Und darin war er sehr streng, vielleicht zu streng, wahrscheinlich deshalb, weil er während dieser Zeit keine regelmäßige Geistesführung hatte bzw. haben konnte.

Zingarella, 17. VI. 1917

»Langsam erstirbt die Jugendbegeisterung. Ich falle immer mehr auf das Niveau eines schwachen Menschen. Früher dachte ich mehrere Sprachen zu erlernen und jetzt kann ich nicht soviel französisch, wie ich früher konnte. Übrigens alle jene ästhetischen und literarischen Gedanken, als ob sie nicht mehr, als ob sie nicht mehr existierten. An die Oberfläche stiegen andere, nichtästhetische Fragen. Die Philosophie des Lebens interessiert mich am stärksten. Ich lese Solovjews: die geistigen Grundlagen des Lebens, die Hl. Schrift, Pelicco und will in das Mysterium des Lebens eindringen. Ah mein Gott, wie werde ich da wohl eindringen können, wenn mein Wille so schwach ist und ich ununterbrochen sündige namentlich im Essen. Fürwahr mühselig ist das Leben. Ich habe Angst, mit Genuss ein Stück Brot zu essen, weil mir oft das Gewissen sagt, es ist genug, aber ich esse es doch und breche es freiwillig vom Leibe Christi«.

Casare Bolzano, 20. II. 1918

»Ich erinnere mich eines Trappisten, der sehr wenig aß. Es war dies im Jahre 1916. zu Weihnachten. Freund Nino feierte seine Primiz. Als ein Freiwilliger aus Seewiesen auf einen dreitägigen Urlaub ankam, laden mich die Trappisten mit ihm zum Mittagessen ein. Ich hatte Appetit und aß viel. Ein alter Trappist nahm von allem nur wenig. Ich wunderte mich, verstand ihn nicht. Jetzt verstehe ich ihn«.

Wien, 9. IV. 1918

»Und was wird aus mir? Eine schwere Frage, die mich schon längere Zeit quält. Literatur und Kunst interessieren mich, obwohl ich gegenwärtig daran keinen so großen Genuss empfinde wie ehedem. Die Jugendbegeisterung schwand dahin... denn wir sind auf dieser Welt nur vorübergehend... im Augenblick sind wir nicht mehr hier und dieses Leben hat nur insofern einen Sinn, als es eine Vorbereitung ist für jenes zweite Leben. (So ist es auch mit dem Leben der Nationen und der Menschheit). Wenn ich die Philosophie absolviere und Professor werde, werde ich heiraten. Denn ich denke, wer ledig zu bleiben gedenkt und studiert hat, der soll hl. Weihen empfangen und in einem absolut mystischen Leben wirken. Derjenige, der nicht studiert hat, soll ins Kloster eintreten. Ich will nach Heiligkeit streben, nach der Vereinigung mit Gott dem Herrn und ihn bitten, dass er mir Widerstandskraft gebe im Lebenskampf und Energie im Schaffen. Ja, dies alles ist leicht auszusprechen, aber werde ich als Professor mit Frau und Familie auch außerhalb der Familie wirken können? Ich empfinde Angst davor, denn der Professorenstand ist sehr abhängig und die materiellen Sorgen könnten die schönsten Grundlagen zerschlagen. Und wir brauchen keine bleichen Theoretiker, verkrackte Professoren. Solche Individuen gibt es bei uns ohnehin zu viel. Gesunde, praktische Leute tun uns Not und ich sehe selbst ein, dass unsere Professoren die größten Theoretiker sind, weil sie in dem absolutistischen System zu viel eingezwängt sind. Meine Mutter hat recht, wenn sie vor diesem Berufe Angst hat. Aber was soll ich wählen, da doch schon Jahre dahingegangen sind und mich nichts so interessiert als die Kunst und Literatur. Ich wuchs in einem solchen Milieu auf, welches jede neue Ausgabe registriert, jede Zeitschrift wird gelesen und neu erschienene Künstlerkarten werden gekauft, es wird also schwer diese Krankheit abzuschütteln und nach etwas neuem zu greifen«.     

Fontana Secca, 28. V. 1918

»Ich war krank und kam zur Erholung hierher. Alles grünt. Einen kleinen Rheumatismus habe ich erwischt und meine Gesundheit ist nicht so, wie sie war. Von meiner moralischen Kraft habe ich auch viel verloren, aber ich glaube, dass ich mich nach einer Woche wieder auf den alten Stand emporschwingen könnte«.

Offiz. Feldw. Solarol, 3. VIII. 1918

»Hier ist für mich gegenwärtig das einzig Aktuelle: Interdum vero oportet violentia uti, et viriliter appetitui sensitivo contraire; nec advertere quid velit caro, et quid non velit; sed hoc magis satagere, ut subjecta sit etiam nolens spiritui. Et tamdiu castigari debet, et cogi servituti subesse, donec parata sit ad omnia, paucisque contentari discat, et simplicibus delectari, nec contra aliquod inconveniens nussitare.

Fürwahr große, kräftige Worte! Als ob der Leib eine ganz andere Person wäre, mit welchem der Geist hantiert nach eigenem Willen. Wenn ich zu einer solchen Kraft gelangen könnte, müsste ich mich nicht so viel mit mir selbst herumschlagen«.

Col alte bei Belluno, 23. VIII. 1918

»Du, nur Dich selbst liebender Mensch: Speck, saftiges Brot, esse viel, trinke genug, lasse alles die Gurgel hinabrinnen und den Bauch füllen. Leben! Der Sinn von allem! Du willst gut sein um wo du gehst zu glänzen und dass du der Sklave bist deines ewig hungrigen Magens, der alles wünscht, der immer etwas kräftiges und saftiges sucht. Und morgen wirst Du sterben, Mensch! Sterben, ja, und das Komißbrot und der Speck und alles andere wird noch da sein und am Tische liegen nur du wirst nicht mehr sein, nicht dein Bauch als ob du nichts gegessen hättest. Oh, du Feigling! Wenn Du schon sterben wirst, so sehe doch, dass der Geist frei sei, dass der Bauch die Macht über dich verliere, du Feigling! Oh Gott, tosende Kraft, dass ich alle meine Leidenschaften in der Faust zusammenballe, sie mit der rechten Hand erfasse und mit der Kraft einer Kanone an den Felsen schleudere, dass sie wie Glas zersplittern und nach allen Seiten fliegen. – Gott, oh Gott, wann werde ich das im Stande sein, wann werde ich gereinigt über die Erde schreiten! Hilf mir, oh Gott, denn es ist besser nicht zu leben, als so zu leben. Memento mori – und der Speck in der Ecke lauert. Wer sagt, dass das Fasten eine Dummheit sei, weiß nichts. Ohne Fasten gibt es kein richtiges Geistesleben. Der Mensch hat dann über sich keine Autorität. Und das ist die Hauptsache. Gib mir, oh Gott, einen starken Willen und sollte ich nackt und barfuß sein. Denn, wenn ich schon auf der Welt bin, ist es alles eins, ob ich einen Stern am Kragen habe oder ob der Ellbogen durch das Hemd hindurchlugt. Die Hauptsache ist das große Ich, die Freiheit des Geistes, die selbst den Tod nicht fürchtet und wobei alles Übrige nebensächlich erscheint! (Ich habe 12 kg am Körpergewicht verloren)«.

Cidalchis, 10. X. 1918

»Entsagung ist der rechte Weg zu Gott, und Leiden daraus entstanden, müssen die Lebensenergie stärken – wenn sie Prinzip des Lebens sind – und sie müssen aus uns starke Menschen schaffen, nicht nur in ethischem Sinne, sondern Menschen vollkräftig fürs Leben: Gelehrte, Arbeiter u. s. w. Die Abstinenz ist nicht nur kein Hindernis für die wissenschaftliche Arbeit, sie muss sogar deren Basis bilden. Heute fühle ich in mir einen so starken Willen, dass ich diese Anschauungen auch in die Praxis überführen will – denn wahrlich der Mensch ekelt sich vor sich selber seiner ungezähmten Leidenschaften wegen«.

Vater und Mutter

Während dieser ganzen Zeit meldet sich Hans seinen Eltern mit Briefen und Karten fast täglich.

Zu Weihnachten 1917. – das erste mal, dass er diese heilige Zeit weit weg von seinen Eltern verbrachte und zwar an der Front, tief im Feindeslande – schickt er dem Vater und der Mutter eine Menge Karten:

»Weihnachtsabend 1917., Feldpost 220. Durch den Nebel sind die verschneiten Bergspitzen zu sehen, die uns umgeben und welche von den Höhenfeuern, die sich die Soldaten anzündeten, erglänzen. Ich weiß es, ihr denkt an mich. Auch meine Gedanken sind bei euch... Unser hl. Abend ist einfach verlaufen. In irgendeiner kleinen italienischen Küche stand auf dem Tisch ein kleiner Christbaum mit 5 Kerzlein und einigen Äpfeln und Nüssen. Die Zivilisten saßen in einer Ecke und beneideten uns um unser Nachtmahl...«

Die Mutter betete viel für ihn, zweimal besuchte sie ihn auch in Wind. Feistritz. Bei jeder Gelegenheit sandte sie ihm Pakete, wie es damals Brauch war. Einige langten an, viele gerieten in Verlust. In den Paketen befand sich Speck, Käse, Schokolade, Tee, Kerzen, Zündhölzern, Schreibpapier, Schuhpaste und Mehlspeise, alles, was ein Offizier an der Front gebrauchen konnte. Nahrungsmittel und Bäckereien teilt er mit seinen Leuten und wenn ihm die Mutter einmal Zuckerl schickte, bittet er sie am 29. IV. 1917 dies zu unterlassen, denn Zuckerle seien für ihn eine Beleidigung und dass sie ihm dafür praktische Sachen senden solle, wie Seife, Soda, Bleistifte und Papier. Nach Empfang eines solchen »praktischen Pakets« dankt er am 23. VI. 1917 den Eltern und meldet ihnen, dass solche praktische Dinge viel nützlicher und besser sind als alle Bäckereien. Seinem Offiziersdiener gefiel eine ihm gesendete Mundharmonika besonders gut, weiteres trug ein Brettspiel und ein Schachspiel viel zur Zerstreuung der Soldaten in ihrer freien Zeit in den Kavernen bei.

Öfter verstand es Hans auch in einem oder dem anderen Briefe humorvoll zu sein, um seine Mutter zu beruhigen:

»Feldpost 369, 19. II. 1917. Liebe Mutter! Ich werde den Herrn Korpskommandanten schreiben, dass sich meine Mutter schon ärgert, weil ihr Sohn nicht nach Hause kommt auf Urlaub, vielleicht wird er es mir dann erlauben«. Ein zweitenmal schreibt er: »Deinem Sohne geht es besser, als er es verdient. Viele wären glücklich, wenn es ihnen ihr Lebenslang so gut ginge, wie mir gegenwärtig«. Und dann, um seine gute Laune zu bezeigen setzt er fort: »Koche Obst ein, denn Du weißt, dass es Dein Sohn gerne hat. Bereite Gemüse vor, Butter, Honig und Eier für meinen kommenden Urlaub. Die Matratzen nimm aus den Betten und lege dafür Bretter an ihre Stelle (Hm!)«. Oft schreibt er ihr, dass er genügend zum Essen habe (auch wenn er gehungert hat), nur darüber beschwert er sich, dass er zu viel Fleisch bekomme und er fürchtet, sagt er im Scherz »nervös zu werden«. Von einigen Bekannten hörte die Mutter, dass es ihm nicht gut gehe und sein Dienst ein schwerer sei. Darauf antwortet er, sie möge diese Nachrichten nicht so tragisch nehmen, denn er hätte wöchentlich dreimal Nachtwache und es sei ihm das wohl ein bisschen schwer, denn er sei das Lumpen nicht gewöhnt... Aber jetzt ist es auch in dieser Beziehung besser geworden. Als die Mutter sehr besorgt war, weil die täglichen Karten wegen der Offensive nicht anlangten, welche vielmehr dann später auf einmal alle ankommen, tröstet sie Hans und macht aufmerksam im Wiederholungsfalle nicht besorgt zu sein, denn dann kämen ja viele auf einmal an. Öfter auch schreibt er der Mutter wie hoch er sich in den Bergen befinde, 1200, 1400 und 1600 m, wie die Bergesluft und die Alpenmilch gut sei, wie er sich dabei »besser befinde, als dort bei Eueren Torten...«.

Ganz anders ist die Korrespondenz mit seinem Vater, welcher als Vertreter der Militärbahn in Pécs (Fünfkirchen) weilte. Während Hans der Mutter zumeist von sich selber schrieb und ihr nur die schönsten Seiten seines Lebens an der Front schilderte – nicht selten mit viel Humor – schreibt er seinem Vater zumeist ernste Briefe vom Krieg und Frieden, über den Zweck des Lebens und über Gott.

»Tatsächlich ist der Katechismus ein großes Kunstgebilde, denn auf die einfachste Art löst er die schwersten Lebensfragen und predigt nicht nur, wie wir leben sollen, sondern er gibt uns auch die Mittel an, wie wir Hindernisse hinwegräumen können, die sich uns entgegenstellen«. Besonders erfreuten Hans einige Karten, die er Ende Juni 1917 an der Front von seinem Vater erhielt, weil sich darin dessen großes Gottvertrauen offenbart.

Als ihm sein Vater – anfangs April 1915 in Wien – mitteilte, dass ihm der Bruder Georg, Hans Onkel, mit dem er als Kind einige schöne Tage in Abbazia verlebt hat, gestorben sei, tröstet ihn Hans in einem Briefe vom 5. IV. 1915: »Lieber Vater! Sei nicht zu traurig. Leben heißt Entsagen. Darauf mussten wir gefasst sein. Auch an uns kommt einmal die Reihe und wir dürfen deswegen nicht gar zu traurig sein, denn wir wissen, dass unser Leben nicht ohne Ziel sein kann, dass es etwas gibt, was länger dauert und stärker ist als unser elendes Erdenleben... Ich will für Onkel Georg beten, dass ihn Gott eine schönere Fortsetzung dieses Lebens gewähre...«.

Aus Wind. Feistritz schreibt Hans dem Vater unter dem 3. VI. 1916: »Die Freiheit des Geistes und Körpers ist eine Bedingung des menschlichen Seins. Nun, auch das ist gut, wenn wir den heroischen Kampf um deren Bestand kämpfen müssen. Ich freue mich schon im voraus, wie die Muskeln des Geistes und des Körpers in diesem Kampfe gespannt und gestärkt werden. Dann werde ich im Frieden auch etwas schaffen können«.

In der Karte vom 20. VI. 1916 aus Wind. Feistritz freut sich Hans, dass ihn sein Vater Verständnis entgegenbringe und fügt bei: »Das Leben ist nicht so leicht, aber die Freude liegt im Willen, auszuhalten. Deshalb wäre ich noch zufriedener, wenn ich in eine noch schwerere Lage käme, als in welcher ich mich hier befinde. Denn ich lebe hier wie zu Hause und möchte doch meine Seele stählen...«. In der Karte vom 20. VII. 1916 kehrt er wieder auf dieselbe Thema zurück und freut sich besonders, dass er beim Vater einen stärkeren Sinn für Gott bemerkt. Hans Leben fließt nicht so einfach dahin, wie er es sich im Civil gedacht hat, aber er empfindet eine gewisse Freude darin, dass er Hindernisse zu beherrschen lernt.

Auf eine Frage des Vaters über das religiös-geistige Leben, antwortet Hans am 25. V. 1917: »Es ist mir nicht möglich Dir mein Innenleben zu offenbaren. Das kann man nur mündlich und nur in gewissen Zeiten. Wenn Du Dich orientieren willst, lese Jörgensens »Unsere liebe Frau von Dänemark« und »Die Reise durch das franziskanische Italien«.«

Der Vater bestellte sich und las tatsächlich diese beiden Bücher und schrieb ihm darüber, was ihn sehr freute. Hans bedauert nur, wie er in seinem Brief vom 28. VI. 1917 schreibt, dass die Mutter »trotz des Krieges altmodisch blieb, dass sie noch immer nur an die goldenen Knöpfe, Reithosen und lockiges Haar denkt...«.


16. VI. 1916

18. VI. 1918

18. IV. 1918

31. VII. 1918.

Du wirst nach jenem gerichtet, was du machst und nicht nach jenem, was du weißt.

Nämlich, nach seiner damaligen Auffassung, welche wohl viel zu streng war. Isp. Z. b. unter, 17. VI. 1917 (Seite 214), 27. I. 1918, 5. III. 1918, 31. VII. 1918, 23. VIII. 1918 (Seite 218).

»Sohn, trauere nicht. Wenn manche schlecht von Dir denken und wenn sie sprechen, was Du nicht gerne hörst. Auch du selbst sollst von Dir schlecht denken und niemanden für schwächer, als du selbst es bist, betrachten!«

»Siehe, alles besteht im Kreuze und alles hängt vom Sterben (seiner selbst) ab«.

»Und es betrübt sich oft meine Seele bis zu Träume und fürchtete für sich, wegen der Leidenschaften, die anstürmen«.

»Gib jedem nach, der deiner Auffassung nicht übereinstimmt, wegen deines und ihrem Frieden. Wisse, dass es eine große Weisheit ist: von eigener Weisheit nichts zu halten. Wo der Gehorsam bereit ist, dort ist auch ein freudiges Gewissen. Wo Demut ist, dort ist auch Weisheit. Wo Friede und Eintracht ist, dort ist Gott und alles Gute«.

14. XI. 1918.

18. XII. 1919.

»Oft muss man sich mit der Gewalt bedienen und sich männlich den sinnlichen Tendenzen entgegenstellen. Man braucht nicht darauf zu achten, was der Körper will oder nicht will, sondern mehr darauf, dass der Leib – auch gegen seinen Willen – untergeordnet wird. Und man muss den Körper so lange erziehen und bezwingen bis zum Sklaven der Seele, bis er zu allem bereit wird, bis er sich gewöhnt auch mit wenig zufrieden zu sein, bis er sich auch mit einfachen Dingen freut und sich den Schwierigkeiten nicht mehr widersetzt«. Im. Chr. III, XI, 10.

Aus dieser Bemerkung in der Klammer sieht man, dass das Hungergefühl nicht eine unordentlich Gier war, sondern ein natürliches Bedürfnis infolge des durch Strapazen und Mühseligkeiten geschwächten Organismus.