ZUR GESCHICHTE DER LITURGISCHEN BEWEGUNG

on Andreas SCHONBERGER, «Zur geschichte der liturgischen bewegung», Una voce korrespondenz, Dusseldorf, studeni-prosinac 1980., br. 6, str. 408-413

UNA VOCE KORRESPONDENZ

Herausgeber: UNA VOCE Deutschland e.V.

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10. Jahrgang, Heft 6    November/Dezember 1980

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Von Andreas Schönberger

Als „spannend, aufklärend und anregend“ bezeichnete die französische Una Voce-Zeitschrift (Nr. 93/1980) die Lektüre eines im Frühjahr 1980 erschienenen Buches, das 7 Beiträge von Abbé Didier Bonneterre zur Geschichte der Liturgischen Bewegung, die dieser für die Revue „Fideliter“ in den Jahren 1978/1979 geschrieben hatte, zusammenfaßt.1 Sein vollständiger Titel lautet: „Die Liturgische Bewegung von Dom Guéranger bis Annibal Bugnini oder das trojanische Pferd in der Stadt Gottes“. Die Überschrift allein schon genüge, meint Una Voce, zu zeigen, wie groß das Interesse dieser Studie für alle Freunde sei und wie sehr man sich über ihr Erscheinen freuen müsse. Sie forsche ja nach den Ursprüngen jener liturgischen Umwälzungen, welche die Anhänger von Una Voce erleiden und bekämpfen.

Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß nicht beabsichtigt ist, hier eine vollständige Übersetzung des 180 Seiten starken Büchleins zu veröffentlichen. Es dürfte aber nicht unwichtig sein, auch den Lesern der Una Voce Korrespondenz wenigstens in groben Zügen einige seiner Schwerpunkte zu vermitteln. Dabei sollte man nicht übersehen, daß die Geschichte der Liturgischen Bewegung außerordentlich verschlungen ist, daß es manchmal fast unmöglich erscheint, die Spreu vom Weizen zu scheiden, und daß es gewiß ungerecht wäre, den guten Willen und den Idealismus der handelnden Personen von vornherein in Frage zu stellen.

Dom Guéranger, Papst Pius X. und die Anfänge der Liturgischen Bewegung

„Ich stelle die Festigkeit und die Ausstrahlungskraft des Werkes von Dom Guéranger fest, in dem die zeitgenössische ,Liturgische Bewegung‘ ihren Vorläufer begrüßt“, schrieb Papst Paul VI. an den Abt von Solesmes am 20. 1. 1975. Abbé Bonneterre bestreitet diese Verwandtschaft. Seine Untersuchungen sollen beweisen, daß es falsch und verderblich ist, zu behaupten, diese „Bewegung“ — zumindesten in ihren zeitgenössischen Formen — sei die Erbin oder gar die Fortführerin der Vorstellungen von Dom Guéranger und dem hl. Pius X. Nicht ohne Grund hat er seiner Studie ein Zitat aus „L’Abbé Gabriel“ des abgefallenen Priesters Roca (1830—1893) vorangestellt: „Ich glaube, daß der göttliche Kult, so wie ihn die Liturgie, das Zeremoniale, das Rituale und die Vorschriften der römischen Kirche regeln, demnächst durch ein ökumenisches Konzil eine

Fragen zur Konzelebration

eine tägliche Konzelebration in Domkirchen und Klöstern gibt es in der Überlieferung der Gesamtkirche keine Legitimation. Viel wichtiger wäre es, statt dessen wieder das gemeinsame Chorgebet stärker zu pflegen.

5. Als Alternative zur Konzelebration sei die Priesterkommunion vorgeschlagen. Diese hat in der Ostkirche ebenfalls eine lange Praxis; hier ist außerdem eine tägliche Zelebration der einzelnen Priester unbekannt. Übrigens findet sich auch im römischen Kirchenrecht keine derartige Verpflichtung (vgl. CIC can. 805). Im byzantinischen Ritus nehmen die Priester, wenn sie kommunizieren wollen, im Talar und mit der Stola angetan am Gottesdienst teil. Sie stehen jedoch nicht am Altar, sondern in dessen Nähe und treten lediglich zum Empfang des Leibes und Blutes des Herrn herzu, um genauso wie der Zelebrant am Altar zu kommunizieren.

Auch nach dem Wunsch des heiligen Franziskus von Assisi sollen „die Brüder in ihren Niederlassungen nur eine Messe am Tag feiern, wie es in der heiligen Kirche Brauch ist. Sind aber mehrere Priester zu Hause, so gebe sich der eine um der Liebe Gottes willen damit zufrieden, daß er der Feier des anderen beiwohnt“ (Schriften, herausgegeben von Bonmann, p. 111).

Ein Priester sollte jedoch nie nach Art der Laien und zusammen mit diesen die Eucharistie empfangen.

6. Die beschriebene Praxis der Priesterkommunion anstatt der Konzelebration ist vor allem bei Zusammenkünften (z. B. Exerzitien) angebracht, besonders dann, wenn keine oder nur wenige Gläubige anwesend sind. Eine Konzelebration ist hier auch deshalb nicht zu empfehlen, da die Zahl der Priester in einem angemessenen Verhältnis zu den übrigen Gottesdienstteilnehmern stehen sollte. So kann eine größere Zahl an Konzelebranten bei einem Pontifikalamt an höheren Festtagen durchaus am Platze sein.

7. Damit sich die Praxis der Konzelebration auf die Dauer als fruchtbar erweist, ist es notwendig, daß den einzelnen Priestern, ähnlich wie dies im byzantinischen Ritus der Fall ist, bei der Feier mehr als bisher eigene liturgische Funktionen zukommen, etwa bei der Übertragung der Opfergaben zum Altar.

Wir müssen dankbar sein, daß uns die Liturgie-Konstitution den frühchristlichen Brauch der Konzelebration, der in den Kirchen des Ostens durch alle Jahrhunderte lebendig geblieben war, erneut geschenkt hat. Doch sollte diese Praxis nie dazu dienen, die tägliche Meßfeier für die Priester bequemer zu machen oder bei bestimmten Anlässen, wie z. B. im Beerdigungsgottesdienst, die Feierlichkeit zu erhöhen oder bestimmte Personen zu ehren.

(Vergl. den Artikel „Über den Mißbrauch

der Konzelebration“ im zweispaltigen Teil des Heftes.)

FALI STRANICA 410

Zur Geschichte der Liturgischen Bewegung

Umgestaltung erfahren wird, die ihm die ehrwürdige Einfachheit des goldenen Zeitalters der Apostel zurückgibt und ihn gleichzeitig in Einklang bringt mit dem neuen Zustand des Bewußtseins und der modernen Zivilisation.“…

Abbé Bonneterre wird es uns gewiß nicht verübeln, wenn wir im Hinblick auf Dom Guéranger zunächst einem kroatischen Autor, Ivan Merz, das Wort geben. Dieser schreibt in seiner Doktorarbeit „Der Einfluß der Liturgie auf die französischen Schriftsteller von Chateaubriand bis heute“2: „Indessen, trotz dieser offenkundigen Rückwendung zur französischen liturgischen Tradition bei den Intellektuellen (gemeint ist hauptsächlich Chauteaubriand mit seinem 1802 erschienenen Werk ,Genie du Christianisme‘) konnte die große Masse des Volkes aus dieser Erneuerung keinen allzu großen Nutzen ziehen. Es war ja gerade Frankreich gewesen, das im Laufe des voraufgegangenen Jahrhunderts die Einheit der römischen Liturgie zerbrochen hatte. So teilten sich im Jahre 1828 20 verschiedene Breviere und 20 verschiedene Meßbücher, zum großen Teil ohne jeden doktrinalen und ästhetischen Wert, die Kirche Frankreichs. Wenn man keine guten Gebetbücher besitzt und keine Gelegenheit hat, Gottesdienste zu erleben, die entsprechend den Erfordernissen der gregorianischen Ästhetik abgehalten werden, dann ist es ganz natürlich, daß die Liturgie keine tiefen Spuren in der Seele der Franzosen hinterlassen konnte. Doch gerade in diesem Augenblick erschien ein genialer Mann, der, mit seltenen wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer erstaunlichen ästhetischen Bildung ausgestattet, ganz allein Frankreich zur liturgischen Einheit zurückführte. Dom Guéranger hieß dieser berühmte Benediktinermönch, dem es gelang, den Widerstand eines reaktionären Episkopates und Klerus zu brechen und in Frankreich alle grotesken Erinnerungen an die liturgischen Bücher des 18. Jahrhunderts auszulöschen. (…) Die Kenntnis seiner ,Institutions liturgiques‘ (1840) ist unerläßlich für jeden, der die unter vielfachen Aspekten betrachtete Liturgie studieren und verstehen möchte. Außerdem

Andreas Schönberger

hat er das ,L’Année liturgique‘ veröffentlicht, worin er versuchte, in einer Art Dauerkommentar dem französischen Publikum alle Schönheiten des Kirchenjahres nahezubringen. Es ist weiterhin wichtig, folgende Tatsache zu unterstreichen: Die größten Schriftsteller der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie die unserer Zeit haben dieses Werk gekannt und viele unter ihnen gestehen, unter seinem Einfluß gestanden zu haben. Dieses Werk der Vulgarisierung hat also eine ganze Generation von Freunden der Liturgie geformt, und wenn wir behaupten können, daß eine Anzahl von Franzosen wieder zu ,liturgischen Wesen‘ wurden, so ist das Dom Guéranger zu verdanken. Die Kunst eines Huysmans, eines Verlaine, eines Claudel und vieler anderer ist der Liturgie verpflichtet. Die 28 zwischen 1910 und 1920 erschienenen literarischen Werke, die wir zur Kenntnis bekamen, stellen eine Art Apologie der liturgischen Schönheiten dar. Obwohl das wohltuende Wirken der Benediktiner von Beuron in Deutschland, das dank der Arbeiten des dänischen Schriftstellers Joergensen in der ganzen Welt geschätzt wird, nicht ohne Wert ist, hat es doch keine so tiefen Spuren in den Büchern hinterlassen wie etwa die Benediktiner von Solesmes oder deren Kapelle in der rue Monsieur (Paris).“ Wo aber deutet sich, fragen wir, auch nur eine Schriftstellergeneration an, die ihre Eingebung aus der neuen Liturgie schöpft, sieht man ab von einem Herrn Willms und seinen dichterischen „Ave Eva“-Ergüssen, vor denen und ähnlichen uns der Herr verschonen möge?

Wenn, wie Merz schreibt, die liturgische Erneuerung in Frankreich bis in die zwanziger Jahre zum großen Teil das Werk von Guéranger war, worin, so müssen wir weiterfragen, bestand dann deren eigentlicher Sinn? Hierzu zitiert Abbé Bonneterre den Benediktinerpater J. Froger: „Ohne im geringsten den bildenden und erzieherischen Wert dieses Betens für die sich darin übenden Gläubigen zu verkennen, war Guéranger mit Recht der Ansicht, daß der Liturgie als einem geistlichen Opfer als höchstes Ziel das Lob zu eigen ist, daß sie Gottes Herrlichkeit uneigennützig und selbst-vergessen besingt. Vor allem Ausdruck der Gefühle des Glaubens, des Vertrauens, der Liebe, der Freude, der Hoffnung, vermag die Liturgie nicht anders als zurückzugreifen auf den Gesang, die Musik, auf die Poesie als der einzigen Sprache, die geeignet erscheint, deren Begeisterung und ,nüchterne Trunkenheit‘ nach außen darzutun. Insofern ist die Liturgie weitaus mehr lyrischer als didaktischer Natur und“, fügt Bonneterre hinzu, „wesentlich theozentrisch“.

Im Jahre 1903 bestieg der hl. Pius X. den Stuhl Petri. „Ausgestattet mit einer enormen pastoralen Erfahrung, hatte dieser hl. Papst unter der Dekadenz des liturgischen Lebens schrecklich gelitten. Doch er weiß,

Zur Geschichte der Liturgischen Bewegung

daß eine Erneuerungsbewegung im Werden ist, und ist daher entschlossen, alles zu tun, damit diese Früchte trage.“ Noch am 22. November des gleichen Jahres schrieb er sein berühmtes Motu proprio „Tra le sollecitudini“, das der Wiederherstellung der Kirchenmusik gewidmet ist und der Liturgischen Bewegung einen entscheidenden Impuls geben sollte. In dem Motu proprio findet sich auch jener Satz, der für deren Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung wurde: „Da es unser lebhaftester Wunsch ist, daß der echte christliche Geist auf jegliche Art erneut erblühe und bei allen Gläubigen Eingang finde, ist es notwendig, Sorge zu tragen vor allem für die Heiligkeit, für die Würde des Tempels, in dem die Gläubigen sich versammeln, gerade um jenen Geist aus seiner ersten und unentbehrlichen Quelle zu schöpfen, aus der lebendigen Teilnahme nämlich an den allerheiligsten Geheimnissen und an öffentlichen und feierlichen Gebet der Kirche“ (Hervorhebung durch uns). Auch ein so vorbehaltloser Anhänger der Liturgischen Bewegung bis hinein in ihre Entartung wie Ferdinand Kolbe3 erkennt an, daß Papst Pius X. „Maßnahmen von großer Tragweite“ auf liturgischem Gebiet getroffen hat, auch wenn er es sich nicht enthalten kann, ihn zu charakterisieren als den „Papst der schroffsten Abwehr nach außen hin durch Verdammung und Antimodernisteneid“ und als „Vollstrecker des abgelaufenen Jahrhunderts“ — die Todsünde schlechthin in den Augen unserer Modernisten… Weit schlechter noch als Pius X. ber kommt bei Kolbe der Abt von Solesmes, Dom Guéranger, weg. Zwar gibt er dessen dauerhaftes Wirken für eine erneuerte Liturgie zu, doch die „bedenklichen Züge“ überwiegen im Urteil Kolbes: Verherrlichung der aus dem Mittelalter überkommenen Liturgie, Fehlen historischer Kritik, Romantiker, vom Mittelalter Besessener, Zentralist, Buchstabengläubiger („Liturgie war eben [für Guéranger] der Buchstabe der römischen Bücher“), Anhänger einer Mysteriensprache. Schließlich die Wertung: „Somit fälit es uns schwer, ihn zu den Urhebern der Liturgischen Bewegung zu rechnen. Denn dazu gehört für uns der seelsorgerliche Gesichtspunkt, dem gesamten Volk die verstehende Teilnahme zu ermöglichen.“

Akzentverschiebung

Gerade der seelsorgerliche Gesichtspunkt war es, der einen anderen „Vater“ der Liturgischen Bewegung bewegte: Dom Lambert Beauduin (1873—1960). Dieser belgische Benediktiner, von ungeheurer Energie und Schaffenskraft, verlieh der Bewegung Dom Guérangers nicht nur neuen Auftrieb, sondern …


1 Abbé Didier Bonneterre, Le Mouvement Liturgique, Editions Fideliter, Broût-V?rnet, F 03110 — Escurolles.

2 „L’influence de la liturgie sur les écrivains français de Chateaubriand à nos jours.“

Ivan Merz (in seiner Familie hieß er noch „Hans“) wurde am 16. 12. 1896 in Banjaluka (Bosnien) geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Wien und von 1920—1922 an der Sorbonne und dem Institut catholique in Paris Literaturwissenschaften. Dort verfaßte er auch die erwähnte Doktoratsthese, die uns freundlicherweise von P. Bozidar Nagy S.J., Zagreb, zur Verfügung gestellt wurde. Merz war durch Kriegserfahrungen, Studium und seine Kontakte mit französischen Intellektuellen und Konvertiten zum überzeugten Katholiken geworden und legte das Gelübde ständiger Keuschheit ab. Als Sprachprofessor am erzbischöflichen Gymnasium seiner Heimat widmete er seine Freizeit dem Jugendapostolat. Leidenschaftlich interessiert an liturgischen Fragen, war er einer der Führer der Liturgischen Bewegung in Kroatien. Er starb am 10. 5. 1928 in Zagreb im Rufe der Heiligkeit. Der Diözesanprozeß mit dem Ziele seiner Seligsprechung wurde im Jahre 1958 eröffnet.

3 Ferdinand Kolbe, Die Liturgische Bewegung, Pattloch-Verlag, Aschaffenburg, 1964. — Seiten 22, 24 und 25.